Joseph, Roosevelt, Obama

Der Ruf nach einem New Deal in Zeiten der Krise

Von Miriam AlbrachtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Albracht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wenn ich aber sage: austeilen, so mein' ich's nicht einmal für allemal, sondern austeilen soll man den Kleinen und Armen, den Großen und Reichen aber soll man verkaufen. Denn Spreuzeit heißt teure Zeit, und ist der Nil klein, so sind groß die Preise, und teuer soll man verkaufen den Reichen, dass man den Reichtum beuge [...]."

Hier spricht Thomas Manns Joseph, der Ernährer, über seine Pläne, seinem Gastland Ägypten über die drohende Rezession (die sieben mageren Jahre) hinwegzuhelfen, indem er schon in Zeiten der Konjunktur (die sieben fetten Jahre) Vorsorgepolitik betreibt - freilich auf Kosten derer, die viel haben.

Erkennt man im "Nil" die heutigen Geldströme, so könnte hier auch ein ganz moderner Volkswirt die Träume der heutigen Weltbevölkerung lesen. Denn in Zeiten der Wirtschaftskrise, des Zusammenbruchs des amerikanischen Bankensystems und der immer mehr auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich wird, ähnlich wie in den Jahren nach dem Börsencrash von 1929, das maßregelnde Eingreifen des Staates in den allzu freien Markt gefordert.

Und in der Tat gibt es viele Parallelen zwischen der Krise von 1929 und der heutigen - und selbstverständlich auch einen neuen alten Schuldigen: die "Gier und Verantwortungslosigkeit einiger", wie der neue, 44. Präsident der USA, Barack Obama, im Januar dieses Jahres feststellte. Mit einer ähnlichen Rhetorik verdammte auch Franklin Delano Roosevelt bei seiner Antrittsrede am 4. März 1933 die "skrupellosen money changers".

Der "Materialismus-Hedonismus", den Wolfgang Schivelbusch für die 1920er-Jahre diagnostizierte, und der in der gegenwärtigen Presse schon mal "angloamerikanische[r] Pumpkapitalismus" genannt wird, führt, heute wie damals, zu einer "Entmachtung der Wall Street" zu Gunsten von staatlicher Macht.

Und so lässt Obama in diesen Tagen frisch verkünden: "Wir [er und der britische Premier Gordon Brown] glauben an freie Märkte, [...] damit Unternehmen und Geschäfte gedeihen, aber [...] es braucht auch ein ausreichendes Regulierungssystem, damit die Märkte nicht außer Kontrolle geraten." Vertrauen, hier gar Glaube, ist gut, Kontrolle ist besser. Das wusste schon Lenin. Und da, wo der Markt zusammenbricht, müssen eben gezielte Investitionen her und wenn es sein muss, auch (Teil-)Verstaatlichungen, wie in Deutschland der Fall Commerzbank zeigt.

Wir kennen das bereits: Der 32. Präsident der Vereinigten Staaten steht seit den 1930er-Jahren für die radikalsten und umfangreichsten Reformen, die Amerika je gesehen hat. Sein New Deal sah eine Neuordnung der sozialen Verantwortung und einen planvollen Eingriff in die Wirtschaft vor. Der Ausbau der Infrastruktur und gezielte Investitionen in Bildung, Kultur und Umwelt sollten die Arbeitslosigkeit des Landes bekämpfen. Hinzu kamen Sozial- und Steuerreformen, die vor allem den kleinen Mann entlasten sollten und eine massive Besteuerung der Wohlhabenden vorsahen.

Genau auf diesen New Deal, der zum Synonym für den Neubeginn geworden ist, bezieht sich die Weltpresse nun, wenn sie von der "neue[n] Ära" des charismatischen Barack Obama spricht. Und schon ertönt der Ruf nach einem "New New Deal" im Stile Roosevelts, um eine "second Great Depression" abzuwenden, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen und so das krisengeschüttelte Amerika (und mit ihm die ganze Welt) moralisch und wirtschaftlich wieder aufzurichten.

Schillernde Mutmacher im Stile Roosevelts und Obamas bringt meistens eine Krise hervor, und sicher tragen auch ihre Vorgänger hierzu bei.

Im vierten Band der Joseph-Tetralogie, der unter dem Eindruck der Politik und des Charismas des Präsidenten Roosevelt im amerikanischen Exil entstanden ist, verhält es sich jedoch anders. Denn Joseph lässt es zur Krise gar nicht erst kommen. Seine biblischen Wirtschaftsmaßnahmen können noch aus dem Vollen schöpfen und das Volle ist hier der durch den Nil fruchtbare Boden der fetten Jahre. Sein Reichtum gedeiht nicht an der Börse, sondern 'aus' dem Boden, macht sich natürliche Kreisläufe der Natur zu Nutze. Und zum Glück schickt Gott den Menschen bekanntlich zuerst die fetten und dann die mageren Jahre. Doch natürlich muss diese Abfolge erst einmal erkannt und klug gedeutet werden, bevor Maßnahmen gegen den drohenden Mangel ergriffen werden können.

Joseph, Jaakobs Elftgeborener, das "inspirierte[ ]", in die Ferne versetze "Lamm", ist dieser Mann der Stunde. Mehr Wirtschaftsweiser als Traumdeuter, versteht er die ökonomische Brisanz der Träume und hat auch gleich das richtige Wirtschaftskonzept parat.

Und das ist so einfach wie effektiv: Überblick über die Lage des Landes verschaffen (er besucht sogar Armenviertel), Vorsorge durch Anhäufung in den Zeiten der Fülle und kluge, gewinnbringende Austeilungspolitik in Zeiten der Dürre. Denn das in zahlreichen Speichern angehäufte Korn wird je teurer verkauft, desto reicher die Bittsteller sind.

Als aber alles Geld verbraucht ist, die Hungersnot aber noch nicht beendet, gibt das Volk Joseph gegen Korn sein Vieh. Als die beweglichen Güter aufgebraucht sind, übergeben sie Joseph gegen Korn ihr Land, das sie jedoch weiterhin bewirtschaften können. Und dieses Land wird noch mit dem "Fünften" besteuert. Eine "Verbindung von Volksfürsorge und Kronpolitik" also.

Dies ist schon das Ergebnis. Doch bei Thomas Mann geht bekanntlich selten etwas allzu schnell vonstatten, und so entwickeln die ersten drei Bände der Tetralogie bereits die alles entscheidende Grundvoraussetzung, das besondere Talent, das lebensspendende Politik überhaupt erst möglich macht. Der Roman nennt diese Begabung "Gottessorge".

Was hierunter zu verstehen ist, führt Thomas Mann sehr genau in seinem Essay "Joseph und seine Brüder. Ein Vortrag" aus: "In Sünde leben heißt gegen den Geist leben, aus Unaufmerksamkeit und Ungehorsam am Veralteten, Rückständigen festhalten und fortfahren, darin zu leben. Und von der gerechten Furcht vor dieser Sünde und Narrheit ist jedesmal die Rede in dem Buch, wo von ,Gottessorge' die Rede ist. Die ,Gottessorge' ist die Besorgnis, das, was einmal das Rechte war, es aber nicht mehr ist, noch immer für das Rechte zu halten und ihm anachronistischerweise nachzuleben; sie ist das fromme Feingefühl für das Verworfene, Veraltete, innerlich Überschrittene, das unmöglich, skandalös oder, [...], ein ,Greuel' geworden ist. Sie ist das intelligente Lauschen auf das, was der Weltgeist will, auf die neue Wahrheit und Notwendigkeit, und ein besonderer, religiöser Begriff der Dummheit ergibt sich dabei: die Gottesdummheit, die diese Sorge nicht kennt [...]".

Die Gottessorge ist also eine auf die Zukunft gerichtete progressive Kraft, die sich im Roman vom werdenden Gott der Väter ableitet, der sich, ebenso wie der Mensch selbst, in einem ständigen Vervollkommnungsprozess befindet. Der Vater-Gott ist in jeder Hinsicht ein beweglicher Gott, ein Gott, dem man auch sozusagen 'unterwegs' huldigen kann. Und so kann auch Jaakob, Josephs Vater, schließlich in Ägypten siedeln, da sein Gott an keine Kultstätte gebunden ist.

Diese Gottessorge, die Sorge um den "Weltgeist" verkörperte auch Franklin D. Roosevelt für Mann in höchstem Maße. In einer Rede für den Präsidenten im Wahlkampf 1944 sagte der Dichter über den Politiker: "Ein Mann, klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben; refined und stark; hochentwickelt und einfach wie das Genie; erleuchtet mit intuitivem Wissen um die Notwendigkeit der Zeit, den Willen des Weltgeistes [...]". Und in seiner Rede zur Trauerfeier Roosevelts am 13. April 1945 heißt es: "Er hatte die Liebenswürdigkeit, den gewinnenden Zauber Cäsars".

Lobpreisender hat man Mann selten, wenn nicht gar nie, über einen Zeitgenossen reden hören. Und man kommt beim Lesen dieser emotional aufgeladenen Worte nicht umhin, sie auch ein wenig peinlich zu finden. Ein dem Mitteleuropäer wohl bekanntes Gefühl, wenn er die von Bibelrhetorik aufgeladenen Inaugurationsreden der US-Präsidenten liest.

Wie aber rettet nun die Sorge um den allzu abstrakten "Willen des Weltgeistes", ein Wort, das sicher mit Blick auf Arthur Schopenhauer und Georg Friedrich Wilhelm Hegel näher zu untersuchen wäre, ein Volk vor der Hungersnot? Manns Roman führt es märchenhaft vor.

Nach erfolgter Traumdeutung übernimmt Joseph als zweiter Mann im Staat die Aufgaben, nämlich die politische Führung des Landes, die zuvor die Realpolitikerin Teje, Pharaos pragmatische Mutter, vertretungsweise ausgeführt hatte. Ihr zarter, dekadenter Sohn fühlt sich zu Höherem berufen und hat sich als völlig untauglich für die Verwaltung des Landes erwiesen. Man denke etwa an die migräneartigen Kopfschmerzen, die ihm Gespräche politischen Inhalts bereiten.

Bei allem rationalen Politikverständnis, das Teje ebenso wie Joseph auszeichnet und sie damit dem männlichen Geist zuordnet, übernimmt Joseph aus ihrer Hand mütterliche Aufgaben, indem ihm vor allem die Speisung Ägyptens übertragen wird. Denn mit mütterlicher Sorge ist das Ernährungsprogramm Josephs viel besser umschrieben als mit patriarchaler Herrschaft. Noch einmal sei hier auf den fruchtbaren Boden hingewiesen, der im Wertesystem des Romans (männlicher) Geist auf der einen - Leben auf der anderen Seite, dem Mütterlichen und Unteren zugeordnet ist.

Selbstverständlich bedurfte es jedoch auch des Geistes - als Äquivalent ist hier die Sorge zu nennen -, um überhaupt zu erkennen, welche Bewandtnis die Träume, von deren Deutung doch alles abhängt, für das Land und die Bevölkerung haben. In seinen berühmten Träumen trägt Pharao seine Herrschaftszeichen, seine "rote Kronmütze", "Oberschurz" und "Tierschwanz". Pharao träumt also nicht als Privatmann, sondern als Herrscher, weswegen er erkennt, dass diese Träume überaus wichtig sind und über das rein Individuelle hinausgehen. Es sind "Königsträume, von Reichsbelang [...], mit Sorge getränkte Träume".

Pharao symbolisiert damit die oben skizzierte Haupteigenschaft, die jeder Herrscher besitzen muss: Sorge. Und nur wer Sorge trägt um etwas, dem liegt auch an der Zukunft und nur der kann Vor-Sorge betreiben. Was bei Martin Heidegger für den Menschen gilt, dass nur derjenige Mensch ist, der sich sorgt, gilt hier im besonderen Maße für den Herrscher: Der Herrscher ist nur dann ein (guter) Herrscher, wenn er sich sorgt. Im Roman wird so die Gottessorge zur "Königssorge".

Auch die oben zitierte Gottesdummheit soll an dieser Stelle noch einmal Erwähnung finden, denn sie steht im Roman in direktem Bezug zur Ökonomie, genauer dem Verhältnis von Besitz und Eigentum, mit welchem es sich laut Erzähler recht "zauberhaft" verhält.

Zunächst lässt der Roman keinen Zweifel daran, dass es eine ausgesprochen rückständige Dummheit ist, auf seinem Eigentum im wahrsten Sinne des Wortes tatenlos zu sitzen. Vielmehr sorgt Joseph schon in den fetten Jahren dafür, dass das Land, durch neue, "auf der Höhe der Zeit" stehende "Bewässerung" und "Kanalisierung", zum Wohl des Wirtschaftswachstums optimal genutzt wird. Viel förderlicher für Moral und Gemeinwohl ist es darüber hinaus, das Eigentum in den, rechtlich gesehen, bloßen Besitzstand zu überführen, zumindest zu einem gewissen Teil, das Vorrecht des Eigentums doch lieber dem Staat zu überlassen, der nun das Land verpachten kann. Mit anderen Worten: Es geht um Enteignung, Verstaatlichung und um Umsiedelung von Mensch und Vieh oder - um im modernen Wirtschaftsjargon des Romans zu sprechen - um "Lombardierung" und "Translozierungen". Eigentlich keine Begriffe, bei denen dem Leser sofort das Wort 'Zauberei' in den Sinn kommt.

Doch bei diesem Pragmatismus bleibt es nicht, denn Joseph wäre nicht Joseph, wenn seinem Wirken - und sei es auch dem ganz weltlichen Wirken eines Wirtschaftministers - nicht etwas seines eigenen Doppelsegens anhaften würde, der ihn zum Mittler und zum Freund des Zweideutigen macht. Und so heißt es: "Es [das Vieh] blieb größten Teils auf den Höfen und Gütern, aber es hörte auf, den Inhabern im alten Sinne des Wortes zu eigen zu sein. Das heißt, es war ihr Eigentum und war es auch wieder nicht mehr, [...]."

Worauf es Joseph bei seinem Wirken in schelmischer Hermes-Manier ankommt, ist, "den Eigentumsbegriff zu verzaubern und ihn in einen Schwebe-Zustand von Besitz und Nicht-Besitz, von eingeschränktem und lehenhaften Besitz zu überführen." (Übrigens wird auch Roosevelt von Mann als "Hermesnatur gewandter und heiter-kunstvoller Vermittlung" bezeichnet.)

Joseph erlangt seine "mythische Popularität, [...] auf deren Gewinnung sein Weg wohl immer ausgegangen war", durch die "irisierende Gemischtheit [...] [die] Doppelsinnigkeit seiner Maßnahmen" und den "magischen Witz", der hiervon ausgeht. Auch das Vertrauen Pharaos gewinnt Joseph nicht zuletzt durch seine Erzählung von dem "Gott-Schalk" Hermes, den Pharao in Joseph wieder erkennt. Und so nennt er seinen Minister auch "Schalknarr" und "Spaßmacher".

Joseph betreibt Politik, mit welcher sich das Volk, trotz der Verpfändung und Enteignung, also der Reduktion seines Kapitals, geradezu wohlfühlen und heiter sein kann. Es fühlt sich bestens unterhalten von seinem Ernährer. Unter Josephs Hand werden die ökonomisch wohlkalkulierten Maßnahmen aufgewertet, mystifiziert, und in traumwandlerische Sphären erhoben. Durch Josephs Witz und Charme wird seine Wirtschaftspolitik, wie sein ganzes Leben, zu einem anspielungsreichen Spiel. Joseph ist auch im Bereich der Ökonomie ein artistischer Künstler, der die Volksrettung zu inszenieren weiß und auch aus der Familienzusammenführung ein dem "Fest der Erzählung" angemessenes Spiel macht. Ebenso bezeichnete Thomas Mann Roosevelt als "Künstler" von "vollkommen ästhetischem Zauber" und auch zur Rhetorik des Deal kann man hier durchaus Parallelen sehen. Wolfgang Schivelbusch weist darauf hin, dass die Bezeichnung 'New Deal' aus dem Kartenspiel entlehnt ist. "[Aus] der sprichwörtlichen Gleichsetzung von politics und game ('Politics is the great American game') und der tief im amerikanischen Unbewussten verankerten Vorstellung vom Erfolg als dem unausweichlichen Resultat der sich im Spiel ewig bietenden Chance, erkläre sich die Popularität des New Deal mit dessen zahlreichen Spiel-Anspielungen."

Aber hinter Josephs schelmischem Witz und seiner Heiterkeit steckt noch weit mehr. Denn Josephs Humor demonstriert eben auch Distanz, ironische Distanz zu seinem Gastland mit all seinen weltlichen Dingen. Dinge, über die man lachen kann, nimmt man nicht ganz und gar ernst und vor allem: Sie belasten einen nicht, sie ergreifen nicht Besitz von einem. So belastet es weder Joseph, durchaus autoritäre Politik zu betreiben, noch die Menschen, unter dieser zu leben. Es vollzieht sich eine "Humanisierung des Ökonomischen", so Eike Middell.

Selbst die beim Volk traditionell eher unbeliebten Steuern bekommen eine geradezu magische Dimension. So werden die Abgaben unter Josephs Händen zum "schönen Fünften" ästhetisiert, der dem Volk zwar aufnötigt, seinen Besitz zu einem Teil in die "öffentliche Hand" zu geben, aber es noch nicht zu wirklichen Sklaven oder Leibeigenen macht, wie der Erzähler höchst ironisch bemüht ist, zu betonen und man nur allenfalls von einer "Andeutung der Sklaverei" sprechen kann und sich die "Ausbeutung in Grenzen" hält. Erneut ein gewisser Schwebezustand.

Aber das Volk gibt gerne, wenn es einen Eigennutzen davon hat, und dieser heißt in Zeiten der Teuerung und Dürre: Sättigung und Leben.

Josephs Wirtschaftssystem, welches auch, und vor allem, die Großgrundbesitzer in eine zuvor nicht gekannte Abhängigkeit zum Staate bringt, bewirkt aber noch mehr: Es besänftigt das Volk geradezu, indem es dankbar und kompromissbereit zum schönen und klugen Ernährer Joseph aufblickt und somit zum leicht regierbaren Volk wird. "Was will man mehr", fragt der Erzähler.

Wenn Joseph aber besonders viel daran liegt, die "Latifundienbesitzer und Gaufürsten", die "altmodisch trotzigen Feudalherren", die sich "bisher [als] sehr unfügsam, ja aufsässig" erwiesen hatten, zu disziplinieren, so ist dies wieder einer Grundsympathie für das notwendig Neue geschuldet. Durch Enteignung und Umsiedelung werden die "stolzen Herren ins Zeitgemäße [ge]nötig[t]". "Großgrundbesitz[ ]" ohne einen Nutzen für die Gemeinschaft ist anachronistisch, nicht der Zukunft verpflichtet, hört nicht auf den Willen des Weltgeistes und ist somit Gottesdummheit.

Gezielte Wirtschaft als moralisierende Kraft und Sozialpolitik zu Gunsten der Armen, hiervon war auch Roosevelt überzeugt. Und auch der neue Präsident der Vereinigten Staaten scheint, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der vor allem den Schutz vor dem bösen Fremden im Blick hatte, die moralische Wiederaufrichtung der Bevölkerung als wichtige Grundlage einer Gesellschaft zu sehen, so dass sie wieder Mut und Vertrauen zum Staat fassen kann.

Mit Blick auf Josephs autoritäre Sozialpolitik sollte man an dieser Stelle jedoch nicht außer Acht lassen, dass seine Wirtschaftspolitik, so moralisierend sie hier auch auf das vom Hunger bedrohte Volk wirkt, nur auf Kosten der Einschränkung von Freiheiten möglich ist und einen gewissen Zustand des Mangels als nötige Voraussetzung hat. "Autorität hat", so Peter Sloterdijk in "Der göttliche Kapitalismus", "immer etwas mit der Verwaltung des Mangels zu tun." Wenn auch die Großen und Reichen nicht mehr viel besitzen und es ausschließlich um das tägliche Brot geht, ist es wahrscheinlicher, dass sie bereit sind, sich der starken öffentlichen Hand unterzuordnen, weil hier noch etwas abschätzbar und rational erscheint, das lebensnotwenige Haben und Nichthaben nicht von Zufall und Glück abhängt, sondern von der Wohlfahrt einer Person und um so besser ist es, wenn diese auch noch dem Guten, Gerechten verpflichtet scheint und eine charismatische Umverteilungspolitik (oder auf die Gegenwart bezogen: ein Konjunkturpaket) vertritt. Zufall und, wir sehen es heute, Spekulation kann sich nur der leisten, der viel hat. Was in guten Zeiten, in Zeiten des Überflusses hochgehalten wird, die Freiheit des Marktes, bedroht in der Krise und schürt die Sehnsucht nach Schutz und Lenkung. Zu viel Kontingenz macht Angst. Und spielen nur mit Einsatz richtig Spaß.

Die gerechte austeilende und schützende Hand, die im "Krull" zu Gunsten Fortunas überwunden wird, ist im "Joseph" noch am Werke. Bemerkenswert ist auch, dass im dekadenten Ägypten in der Zeit der mageren Jahre ausschließlich der Handel auf Korn begrenzt ist - zumindest erfahren wir nichts Gegenteiliges - , das Land der Hochkultur, des Reichtums, der Kunst, der goldenen Städte, der Mode und Kosmetik fällt auf den Handel mit Korn zurück. Kultur ist eben auch Luxus. Und der Roman der große Kontingenzbewältiger, indem er Faktoren ausblenden kann, die in der modernen globalisierten Gesellschaft schlicht fortbestehen.

Aber natürlich geht es in Josephs Wirtschaftspolitik auch um die ganz profane Anhäufung von Kapital. Wobei die wirtschaftliche Stärke Pharaos auch sehr überzeugend auf seine religiösen Gegner wirkt und quasi ganz nebenbei seiner Sonnenreligion gegenüber dem anachronistischen Reichsgott Amun große Popularität verschafft: "Die Ereignisse all dieser Jahre, Überfluß, Vorsorge und Volkserrettung fielen mächtig genug für Pharao und sein geistliches Ansehen in die Waagschale, und die Reichtümer, die Joseph durch seine Kornverkäufe dem Großen Hause zugeschanzt hatte und noch immer zuzuschanzen fortfuhr, bedeuteten mittelbar einen [...] Schwereverlust für den Reichsgott [...]."

Joseph ist auch nicht der erste, der es in der Fremde zu Reichtum bringt. Auch seine Ahnen Abraham, Isaak und Jaakob treibt es aus unterschiedlichen Gründen in die Fremde. Durch Geschäftssinn und List kehren alle als wohlhabende Männer in ihre Heimat zurück. Nur Joseph, dessen Haupterhebung in der Fremde eine wörtlich zu nehmende Überhäufung mit Gold nach sich zieht, wandelt die Geschichte ab, belässt das Kapital in seinem Gastland und lässt seine Familie nachkommen. Und dieses 'Nachkommenlassen' ist denn auch durch all die Jahre Motor und Motivation für Josephs Schaffen. Seine Volksrettung birgt also auch ganz private Interessen, die "auf die Förderung von Plänen und Absichten gerichtet [blieben], die mit dem Wohl und Wehe Mizraims wenig zu tun hatten."

Und so dient Joseph eben auch dem schnöden Mammon und hat hierbei keinerlei Gewissensbisse, denn die Vermehrung von Eigentum zu Gunsten des jeweils Höchsten in seiner Umgebung hat ihn schon in seiner Zeit bei Potiphar die Karriereleiter erklimmen lassen. War er bei Potiphar bereits im Kleinen Herr des Überblicks, nämlich über Haus und Hof des Eunuchen, so ist er es nun über ganz Ägypten, als eine Art Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Herrschen heißt immer auch dienen. Und für Joseph bedeutet Gott, dem Vater, zu dienen, eben auch ganz weltlichen Vätern und Großen zu dienen.

Vom Phänomen des Großen - um noch einmal auf Zeitbezüge zurück zu kommen - , namentlich des großen Mannes, war Mann zeitlebens fasziniert. Wir alle kennen die Ausführungen über die faszinierende Größe Adolf Hitlers, der, unverständlicher Weise, gar zum Genie erhoben wird (vgl. "Bruder Hitler" ). Während Hitler für Mann jedoch als "Verhunzung" des großen Mannes galt, der ästhetisch interessant, jedoch moralisch empörend und widerwärtig ist, konnte er sich ganz der Verehrung des Großen in Roosevelt hingeben. Das nationalsozialistische Deutschland hatte Thomas Mann eine, wie er sagte, "moralisch gute Zeit" beschert, in der er klar zwischen Gut und Böse zu unterscheiden vermochte. Und Roosevelt gehörte für Thomas Mann ohne Zweifel zu den Guten, mehr noch, zu den größten Männern der Geschichte. Wie bei Hitler war Thomas Mann fasziniert von Roosevelts Charisma und Tatkraft, die er natürlich unter positiven Vorzeichen sah.

Mann sah in dem "Herr[en] des Weißen Hauses" den "aristokratische[n] Volksfreund, ebenbürtig den europäischen Diktatoren als gewiegter Massenlenker [und] geborener Gegenspieler" zum verhassten Führer im nationalsozialistischen Heimatland. Hören wir genau hin: der "geborene Gegenspieler", also ein von jeher dazu bestimmter Gegenspieler, der geradezu messianische Bedeutung annimmt und der seinem Feind ähnlich sein muss, um sein Gegenspieler zu sein. Roosevelt, dessen New Deal-Politik deutlich faschistische Züge trug, wie Wolfgang Schivelbusch in seinem 2005 erschienenen und bereits des öfteren erwähnten Buch "Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalismus, New Deal 1933 - 1939" detailliert und überzeugend gezeigt hat, betrieb autoritäre und den Liberalismus erheblich beschneidende, interventionistische Politik, die auch vor der gezielten Lenkung der Presse nicht zurückschreckte. Schivelbusch spricht gar von Propaganda für den New Deal durch eine in ihren Ausmaßen noch nie gekannte Medien-Offensive. Mann begrüßte diese tatkräftige, autoritäre Politik ausdrücklich. In einem Brief an René Schickele aus dem Jahre 1935 spricht er in Bezug auf Roosevelt von "diktatorischen Zügen" und fragt rhetorisch im nächsten Satz: "Aber kann man gegen eine aufgeklärte Diktatur heute noch viel einwenden?".

Thomas Mann hielt die Konzentration von Macht auf eine Person gerade in Krisenzeiten für unumgänglich. Dieser Überzeugung wird auch im Roman Ausdruck verliehen, wenn er Joseph sagen lässt: "Mehrere sind nicht gut in solchem Falle; einer sei's, wie der Mond einer ist unter den Sternen, der Mittler zwischen Oben und Unten, der die Träume der Sonne kennt."

Roosevelt war in Manns Augen also durchaus ein Volks(ver)führer, nur hatte sich dieser eben nicht barbarischen Anachronismen verschrieben, wie der deutsche Faschismus, er trug Sorge für sein Land und sein Volk und - was für Mann so wichtig war und Roosevelt von Hitler signifikant unterschied, - für die Welt, für das "Menschheitswerk". Er war ein "Mann der Tat, aber der guten Tat", "der große Politiker des Guten". Realpolitische Aspekte und die tägliche Innenpolitik traten, diesem großen Ganzen gegenüber, für Mann in den Hintergrund. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass Mann, der den hoch verehrten Politiker zwei Mal persönlich (1935 und 1941) traf, in seinen Tagebüchern und Briefen nahezu ausschließlich von dem außerordentlichen Eindruck berichtet, den der Präsident auf ihn gemacht hatte, von den Inhalten der Gespräche ist relativ wenig bekannt. So notiert Mann 1935 nach einem Treffen im Weißen Haus ausschließlich "Joseph-Taugliches", wie es Hermann Kurzke formuliert: "kluge Physiognomie, [...] Energie und Selbstherrlichkeit". Und im Jahre 1941: "Naivetät [sic!], Glaubwürdigkeit, Schlauheit, Schauspielerei, Liebenswürdigkeit". Thomas Mann fühlt sich geradezu "[e]rgriffen von seiner Gegenwart" und das, was er sah und was er in Roosevelts rhetorisch brillanten Reden, die er regelmäßig im Radio verfolgte, hörte, ließ den mächtigsten Mann der Welt in Manns Augen als größten Hoffnungsträger auf eine friedliche Zukunft in einer geeinten Welt erscheinen.

Auch durch den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten wird es, vor allem den Amerikanern, aber auch der restlichen Welt, wieder leicht gemacht, jemanden zu verehren, der den Stolz auf das eigene Land erneut salonfähig und aus dem bösen endlich wieder das gute Amerika machen soll. So haften sich an Barack Obama geradezu messianische Heilserwartungen. Von einem "Welt-Hoffnungsträger Barack Obama" spricht etwa die "Zeit" Mitte Januar. Obama als moralische Leitfigur, die, wie nur wenige Präsidenten zuvor, in so hohem Maße für Werte wie Gleichheit und Gerechtigkeit und den Aufbruch in eine neue, bessere Zeit steht.

Und mit dem Verweis auf bessere Zeiten komme ich zum Schluss meiner Ausführungen.

Wirtschaftlich schlechte Zeiten, nach einer Phase der Konjunktur und des Überflusses, in der alles möglich schien, schüren in der Bevölkerung Sehnsüchte nach einer verlässlichen Instanz. Diese Instanz ist der Staat mit seinen öffentlichen Institutionen, geführt von einem verlässlichen, gerechten, charismatischen Mann. Das gebeutelte Volk bedarf eines gewissen "feel good factor" (Schivelbusch), der bei der so oft verglichenen Politik Roosevelts und Obamas sicher eine große Rolle spielt. Die Karten sollen auch heute wieder neu gemischt werden und die Menschen daran glauben, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Der Herrscher soll dienen - und zwar dem Volk.

In Thomas Manns Roman-Figur Joseph findet der tatkräftige, charismatische politische Stil seine größtmögliche Steigerung ins Mythisch-Schelmenhafte.

Bei allen Bezügen zur politischen Realität, darf man jedoch nicht vergessen, dass Thomas Mann hier kein politisches Konzept entwirft. Mit Joseph als dem großen Mann, der trotz aller heiteren Anpassung immer Distanz zu seinem Gastland mit seinen fremden Bräuchen und religiösen Riten, wahrt, steht und fällt alles. Die enormen Boden- und Sozialreformen und das damit zufriedene Volk, bleiben an den außerordentlichen Außenseiter gebunden.

Und Joseph, der alle Macht auf sich konzentriert, korrumpiert nun mal nicht und wird nicht zum diktatorischen Unterdrücker, eben weil der Roman es nicht will. Mann entwirft eine literarische Utopie. Erneut sei auf die Literatur als Kontingenzbewältigung hingewiesen. Diese, scheinbar so triviale, Begebenheit sollte man stets im Blick behalten. Und nur unter diesem Gesichtspunkt kann es dann auch im Roman heißen: "Sie [Josephs Geschäftsführung] erregte Lachen und Bewunderung, - und was kann der Mensch unter Menschen Besseres gewinnen, als die Bewunderung, die, indem sie die Seelen bindet, sie zugleich zur Heiterkeit befreit!".


Titelbild

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Vier Romane in einem Band.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
1376 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-13: 9783100483911

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