Spaziergänge durch Lübeck
Über "Die Welt der Buddenbrooks" von Hans Wißkirchen
Von Frauke Schlieckau
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm 12. November 1929 wurde Thomas Mann mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sein nun preisgekrönter Roman "Buddenbrooks" verkaufte sich bis heute mehr als sechzig Millionen mal. Doch haben sicherlich nicht alle das 758seitige Familienepos auch wirklich zu Ende gelesen. Fast scheint es, als gäbe es Berührungsängste mit den "Buddenbrooks", was erstaunt, ist der Roman doch wesentlich eingängiger und angenehmer zu lesen als manch andere Werke Manns. Dort wo den Leser des "Zauberbergs" nach der Lektüre durchaus das Gefühl überkommen kann, er habe nach Beendigung der letzten Seite tatsächlich einen Gipfel erklommen, kann man es sich mit den "Buddenbrooks" im Lehnstuhl bequem machen.
Das soll keineswegs heißen, dass es sich bei der Familiengeschichte um einen ausschließlich unterhaltsamen Stoff handelt, aber er kann als solcher konsumiert werden, ohne an Qualität zu verlieren - das gilt zumindest für das Originalwerk. Wer auf einen Kinobesuch als gleichwertigen und kurzweiligen Ersatz für die Lektüre setzt, dürfte trotz 23 verschiedener Fassungen, die weltweit existieren, enttäuscht werden. Der letzte Versuch durch Heinrich Breloer, den Verfall der Familie Buddenbrook auf die Leinwand zu bringen, wurde von der Presse mit vernichtenden Urteilen bedacht. Die "FAZ" richtete gar an das Team des Buddenbrook-Hauses in Lübeck den warnenden Rat, man solle doch lieber bei der Vermarktung halblang machen und nicht voreilig eine Ausstellung "Buddenbrooks - Eine Filmkarriere" zeigen. Doch "Buddenbrook"-Ausstellung hin, "FAZ"-Warnung her - die Lübecker ließen sich nicht davon abbringen, kurz nach dem Kinostart der "Buddenbrook"-Verfilmung 2008 auch einen umfangreichen Band herauszugeben, der sowohl dem vom Roman etwas abgeschreckten Neuling als auch dem Kinogänger als Orientierungshilfe und Ergänzung dienen dürfte.
Mit Unterstützung von Britta Dittmann und Manfred Eickhölter hat Hans Wißkirchen einen leicht zugänglichen und informativen Band zusammengestellt, dem es gelingt, einerseits wenig Thomas-Mann-erprobte Leser nicht zu überfordern, gleichzeitig aber auch detaillierte Informationen für jene einzustreuen, die mit den Eckdaten zu den Buddenbrooks mehr als vertraut sind.
"Die Welt der Buddenbrooks" setzt, ohne den Roman zu vergessen, die Stadt Lübeck ins Zentrum der Darstellung. Ein lohnenswertes Unterfangen, denn als Präsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, der am Aufbau des Buddenbrookhauses zu einer Gedenk- und Forschungsstätte beteiligt war, hat Wißkirchen seinen Zugang zu den Archiven genutzt, um mit Hilfe der Abbildungen von historischen Dokumenten das Lübeck Thomas Manns auferstehen zu lassen - ganz ohne Filmkulissen. Die Fotografien zeigen die Stadt Lübeck, Thomas Mann und seine Familie. Finden lässt sich hier etwa eine Abbildung des Audienzsaals im Lübecker Rathaus, in dem Thomas Manns Vater an den Senatssitzungen teilnahm, aber auch eine Aufnahme von 1942, die das im Krieg zerstörte Buddenbrook-Haus zeigt. Das Buch widmet sich darüber hinaus auch der Rezeption der Buddenbrooks in den Medien, in bildender und darstellender Kunst, zeigt das Cover der japanischen Ausgabe des Romans und eine Seite aus dem "Buddenbrook"-Comic von Isabel Kreitz, der 1997 im "ZEIT"-Magazin abgedruckt wurde. In fünf thematisch gegliederten Abschnitten werden zahlreiche Aspekte rund um den Roman behandelt, ohne dass dabei der topographische Schwerpunkt verloren geht. "Die Welt der Buddenbrooks" zeigt Parallelen zwischen Realität und Literatur, verdeutlicht aber auch den Unterschied zwischen historischer Wirklichkeit und fiktivem Spielort.
Das Buch arbeitet mit einer Dialektik aus Öffentlichem und Privatem, die sich in den "Buddenbrooks" finden lässt, die aber auch generell bezeichnend für die Lübecker Mentalität war und zeichnet die Welt nach, die Thomas Mann im Roman in räumlicher Geschlossenheit abbildet.
Diese Mischung aus Fakten und Fiktion ergibt eine doppelte Optik, die Mann sein Leben lang Schwierigkeiten bereiten sollte, da "die Menschen sich sehr oft nicht an die phantastische Aufladung des Wirklichen gehalten, sondern die genau beschriebenen Menschen und Welten für die eigentliche Wirklichkeit des Romans genommen haben". In "Die Welt der Buddenbrooks" gelingt es den Autoren, in ihren Beiträgen eben diese doppelte Optik zu entschlüsseln, Dissonanzen im Textbezug herauszuarbeiten und die "Buddenbrooks" statt in psychologische Charakterstudien abschweifen zu lassen, auf angenehme Art und Weise mit den gesellschaftlichen Bezügen des Romans, den herrschenden Zeitströmungen und ihren Repräsentanten, vor allem aber mit der Stadt in Bezug zu setzen.
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