Naturkünstlich

Die Beiträge des Sammelbandes "Im Zeichen des Geschlechts" diskutieren Repräsentationen, Konstruktionen und Interventionen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im feministischen Diskurs wird der Begriff "sexuelle Gewalt" weithin vermieden. Statt dessen wird die Bezeichnung "sexualisierte Gewalt" bevorzugt. Damit soll ausgedrückt werden, dass das Wesen solcher Handlungen nicht sexueller Natur sei, sondern gewaltsamer. So argumentieren in feministischen Notrufstellen und Frauenhäuser engagierte Aktivistinnen, dass einschlägige Gewalthandlungen stets durch Macht motiviert seien, nicht durch Sexualität. Letztere werde nur zur Machtausübung gegenüber Frauen und zu deren Demütigung funktionalisiert. Daher sei sexualisierte Gewalt die angemessene Bezeichnung.

Dagegen sind einige Bedenken anzumelden. Zwar ist diese Argumentation in Fällen, in denen die zugrundeliegende Absicht der Gewalthandlung tatsächlich Machtausübung und Demütigung sind, überzeugend und der Begriff angebracht. Doch birgt die Sprachregelung einige Tücken, wenn wie üblich weiter behauptet wird, Macht auszuüben und zu demütigen bildeten die grundlegende Motivlage bei allen sexuellen Gewalthandlungen. Denn diese Entdifferenzierung verschleiert, dass es sehr wohl verschiedene mögliche Motive etwa von Vergewaltigern und verschiedene mögliche Funktionen von Vergewaltigungen gibt. So sind sie bei einem Mann, der eine Frau um seines Orgasmus' willen vergewaltigt, andere als bei (massenhaften) Kriegsvergewaltigungen, die dazu dienen, den Gegner - zumal die Männer, 'deren' Frauen vergewaltigt werden - zu demütigen und zu demoralisieren. Ist es in diesem zweiten Fall tatsächlich angemessen, von sexualisierter Gewalt zu sprechen, so wäre erstere am treffendsten als gewaltsame Sexualität zu bezeichnen. Dies erhellt sich sofort, wenn man sich vor Augen führt, dass der Zeck der Handlung die sexuelle Befriedigung ist, die Gewalt nur das Mittel. Mit anderen Worten: Die Sexualität dieses Menschen ist und befriedigt sich gewalttätig. Dem entspricht im Begriff der gewalttätigen Sexualität die substantivische Form des Ausdrucks Sexualität, dem das Adjektiv gewalttätig zugeordnet ist. Beide Begriffe, sexualisierte Gewalt und gewalttätige Sexualität, lassen sich unter dem Oberbegriff sexuelle Gewalt fassen.

Ein zweiter Kritikpunkt ergibt sich, wenn argumentiert wird, Sexualität und Macht seien einander ausschließende Motive sexueller (oder wie Vertreter dieser Annahme sagen würden: sexualisierter) Gewalthandlungen. Denn es ist keineswegs so, dass sexuelle Gewalt und gewaltsame Sexualität trennscharf von einander geschieden werden könnten, noch kommen sexualisierte Gewalt und gewaltsame Sexualität je in Reinform, das heißt völlig ohne das jeweils andere vor. Ganz im Gegenteil wohnen der einen immer auch Momente der anderen inne. So kann der Soldat, der auf Befehl des Vorgesetzten Frauen des Kriegsgegners vergewaltigt, dabei Lust empfinden. Ebenso wie der Mann, der seine Frau im ehelichen Bett wegen seines Lustgewinns vergewaltigt, damit zugleich ihre allgemeine Unterwerfung unter seinen Willen bezwecken kann. Nur überwiegt einmal die Funktion der gewaltsamen Machtausübung, einmal die Absicht, sich zu befriedigen. Die Begriffe sexualisierte Gewalt und gewalttätige Sexualität benennen also 'ideal'typisch die beiden Enden eines Kontinuums.

Und noch ein letztes ist zu monieren: Wird mit dem Begriff sexualisierte Gewalt jede Form sexueller Gewalt bezeichnet, so trübt dies den Blick auf Sexualität eher als dass es diese erhellen würde, schwingt in dem Begriff doch die Vorstellung mit, Sexualität an sich sei gewaltfrei. An sich aber ist Sexualität jedoch weder gewalttätig noch gewaltfrei. Ebenso wenig wie sie an sich heterosexuell oder homosexuell ist, mono- oder polygam oder was auch immer. Ganz einfach aus dem Grunde, weil es Sexualität an sich nicht gibt, sondern nur die tatsächlich gelebten und gefühlten Sexualitäten in all ihrer Vielfalt. Deren Gesamtheit macht das aus, was den Inhalt des Begriffs Sexualität bildet.

Auch Milena Noll folgt in ihrem Aufsatz über "Repräsentationen sexualisierter Gewalt" weitgehend der hier kritisierten Sprachregelung und benutzt den Begriff sexualisierte Gewalt für alle Formen sexueller Gewalt. Zwar spricht sie gelegentlich auch mal von letzterer, doch unterscheidet sie diese nicht von der erstgenannten. Dass tatsächlich aber auch schon mal gewalttätige Sexualität gemeint ist, wenn Noll "sexualisierte Gewalt" sagt, erhellt sich etwa, wenn sie erklärt, dass "die Erfahrung sexualisierter Gewalt" Kinder "auf ihr Geschlecht reduziert und zum Sexualobjekt für Wünsche und Begierden von Männern" macht, und diese, wenn es Mädchen sind, zudem die Erfahrung machen, "dass ihr Frau-sein sie zum Objekt der Begierde für Männer macht, die an ihrem Geschlecht interessiert sind und nicht an ihnen als Person". Nachvollziehbar ist allerdings, dass sie in diesem Zusammenhang von der "erlebten sexualisierten Gewalterfahrung" dieser Kinder spricht. Denn für diese ist es tatsächlich eine Gewalterfahrung und keine sexuelle. Dennoch erfahren sie zugleich Sexualität als gewaltförmig.

Erschienen ist Nolls Text in einem Sammelband, der dem Titel gemäß "[i]m Zeichen des Geschlechts" steht und auf ein interdisziplinäres Symposium zurückgeht, das im Herbst 2007 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt abgehalten wurde. Mit Celine Camus, Annabelle Hornung, Fabienne Imlinger, Milena Noll und Isabelle Stauffer waren nicht weniger als sechs Frauen an der Herausgabe des Buches beteiligt. Zwei von ihnen, Stauffer und Imlinger, haben eine Einleitung verfasst, in der sie darlegen, dass sich das Buch als "queer/feministische Intervention in Repräsentationspolitiken" versteht. Das "Thema der Repräsentantion von Geschlecht" sei durch "sechs dominante Felder" geprägt, "die zugleich auch die verschiedenen Perspektiven auf das Thema dieses Buches veranschaulichen: Ästhetische Repräsentationen, Repräsentationen durch Übersetzung, Repräsentation als aktuelle Praxis, Repräsentation in politischen und juristischen Diskursen, Soziale Repräsentation und Körperrepräsentationen." Ihnen folgt die sechsteilige Gliederung des Buches.

Im ersten Teil geht Judith Klinger "Augenlust und Geschlechter-Repräsentation bei Hartmann von Aue" nach, Annabelle Hornung der "Repräsentation von Geschlecht in der Gralsliteratur" und Susanne Scharf "Krankheit und gender in Elisabeth Stoddards 'The Morgesons'". In den anderen Teilen werden etwa "jugendbewegte Repräsentationen von Geschlecht und Gemeinschaft" untersucht (Antje Harms), "Repräsentationen von Geschlecht im Rechtsdiskurs" beleuchtet (Elisabeth Holzleithner) oder der "Diskurs um die Präimplantationsdiagnostik in der 'Zeit'" aufgegriffen (Malaika Rödel), während Angela Kolbe die "Überlegungen zur Abschaffung der juristischen Kategorie Geschlecht" konzis nach- und sich selbst durch eine differenzierte Argumentation auszeichnet. Michaela Blank betrachtet "Übersetzung als Spiel" und würdigt "Migrantinnen als Übersetzerinnen der amerikanischen Frauenrechtsbewegung im 19. Jahrhundert". Interessant ist ihr Beitrag nicht zuletzt wegen eines Fallbeispiels: einer Inzidenz aus der amerikanischen Frauenstimmrechtsbewegung mit den AkteurInnen Elisabeth Cady Stanton, Mathilde Franziska Anneken und "ein[em] gewisse[n] Herr[n] Tillmann".

Besonders positiv hervorzuheben ist Hannelore Bublitz' Aufsatz "Zur Infrastruktur von Körper- und Selbsttechnologien", in dem die Paderborner Soziologin die Frage auslotet, "wie 'wirkliche Körper' als Ort der Geschichte durch deren Einschreibung in die physische Materialität des Körpers allererst produziert werden und mit welchen Mechanismen dies bis ins Innerste des Körpers geschieht." Dabei geht sie von der Existenz "spezifische[r] Übersetzungs- und Transformationsprozesse von Körper, Technik und Gesellschaft" aus, "die den Körper jeweils anders formieren". Dieser vermische sich "auf je spezifische Weise immer schon mit Technologien", ohne darum jedoch nur als deren "passives Instrument/Objekt" verstanden werden zu dürfen. Vielmehr fungiere er als "Garant und Zeichen von Authentizität", sofern diese "nicht als performativ und erfolgreich inszeniert" erkannt werden. Als Ausweg aus der "Polarisierung von einerseits diskursiv produzierten, scheinbar widerstandslosen und vordiskursiven, andererseits immer schon als widerständig gedachten Körpern" und "den mit der These von der Widerständigkeit oder Eigenwilligkeit des Körpers verbundenen Problemen" schlägt sie vor, "die Materialität des Körpers ohne Rekurs auf eine 'vordiskursive' Materialität zu konzipieren". Nicht weniger bemerkenswert als dieser Vorschlag ist der von ihr gebildete Neologismus "naturkünstlich". Ein Oxymoron, das "auf die immer schon vorhandene 'künstliche Natur' des Körpers und des Geschlechts" und auf die "kulturell-soziale Konstruktion" beider verweist sowie darauf, "dass der Mensch in seiner ganzen Lebensweise auf Technik und Kultur hin angelegt ist".


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Celine Camus / Annabelle Hornung / Fabienne Imlinger / Angela Kolbe / Milena Noll / Isabelle Stauffer (Hg.): Im Zeichen des Geschlechts. Repräsentationen, Konstruktionen, Interventionen.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2008.
364 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783897412644

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