Auftragskiller aus tiefster Überzeugung
In seinem neuen Roman „Die Eignung“ zeigt Michael Sollorz, wie manipulierbar Menschen sind
Von Christian Palm
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEinem breiten Publikum ist der Schriftsteller Michael Sollorz zwar bisher noch nicht bekannt, doch sein Name auf dem Buchdeckel weckt auch jetzt schon Erwartungen in bestimmten Leserkreisen. Bislang ist der Berliner Autor, Jahrgang 1962, vorwiegend mit homosexueller Thematik in Erscheinung getreten. Eines schon mal vorweg: Ein weiteres Szene-Buch hat er diesmal nicht geschrieben. Bleiben wir vorerst dabei, was das Buch nicht ist: Als autobiografisch lässt sich der Roman nicht einstufen, obwohl der Autor bei der Gestaltung seines Ich-Erzählers und Protagonisten einige Details der eigenen Biografie entnommen hat.
So verbinden den fiktiven Lars Hagner und dessen Schöpfer unter anderem das etwa gleiche Alter, die Berliner Herkunft und die Ausbildung (Dachdeckerlehre). Auch über die sexuelle Gesinnung beider Männer – wie könnte es anders sein – lassen sich Vermutungen anstellen. Im Gegensatz zum bekennenden Homosexuellen Sollorz lässt sich Lars’ sexuelle Identität jedoch nicht genau festlegen. Zwar verkehrt dieser im wahrsten Sinne des Wortes in der West-Berliner Schwulenszene, doch mit seiner Nachbarin Kora, die ihm einmal im Monat die Haare schneidet, pflegt er ebenfalls eine Affäre, deren Ernsthaftigkeit er sogar mit einem Heiratsantrag untermauert. Die „Frage nach der sexuellen Orientierung“ der Hauptfigur bleibt aber nicht nur offen, sondern ist nach Meinung von Lars völlig irrelevant, stellt sie sich doch nur in einem politischen „System, das dem Einzelnen vormacht, sein persönliches Wohlergehen wäre von allgemeinerem Interesse“ – womit wir endlich beim wirklichen Kern des Buches angekommen sind. Sollorz überrascht den Leser mit seiner Themenwahl und einem sachlichen Erzählstil. „Die Eignung“ ist kein Szene-Roman, auch keine Autobiografie, sondern ein ernster Text über übersteigerten (politischen) Idealismus.
In diesem Werk befasst sich der Autor mit den Problemen, die der Untergang der DDR mit sich gebracht hat, und der Sehnsucht nach einer antikapitalistischen Revolution. Der Roman stellt Fragen nach den Folgen ideologischer Verblendung. Im Mittelpunkt steht mit Lars Hagner eine durchweg manipulierte Figur, die von einer anderen, besseren Welt träumt. Mit psychologischer Tiefe und Präzision wird das Porträt eines politischen Fanatikers entworfen, der das gegenwärtige, kapitalistische System entschieden ablehnt und dafür über Leichen geht. Alles dient einem höheren Zweck, für den man sich einsetzen muss. „Ich bin überzeugt, dass nur das zählt, was einer tut. Ich muss etwas tun!“, schreibt Lars über sich selbst. Prägend in seinem Leben sind insbesondere zwei Erfahrungen: erstens die Einberufung in den VP-Dienst nach Basdorf, wo er Bekanntschaft mit dem Oberleutnant Bossert macht, der bald schon sein „leuchtendes Vorbild“ wird und dem Lars „überallhin folgen“ würde. Zweitens die Wende – jene „feindliche Übernahme“, die Lars’ Ideale zerstört und ihn zu einem Gefangenen in einem System macht, das „keine Zukunft“ hat, weil sich dessen Einzelteile „in keinen sinnvollen Zusammenhang“ mehr fügen. Diese beiden Erfahrungen tragen entscheidend dazu bei, dass der Protagonist zu folgendem Schluss kommt: „An dieser Ordnung interessiert mich nur ihre Zerstörung. Dafür ist mir jedes Mittel recht“. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.
Vordergründig ist der unverheiratete und kinderlose Erzähler völlig harmlos. Er verdient sein Geld als unscheinbarer Hausmeister in einer Plattenbausiedlung im Osten Berlins, doch hinter den Kulissen entpuppt sich seine wahre Identität. Ausgerechnet ein Kind – Ljuba, Koras dreizehnjährige Tochter – ist Lars gegenüber misstrauisch und vermutet ein Geheimnis hinter der Fassade seiner Normalität: „Du bist gar kein Hausmeister – oder nur zur Tarnung. Du führst ein Doppelleben. In Wirklichkeit bist du eine Kreatur der Finsternis“. Mit diesem Vorwurf trifft das Mädchen ins Schwarze, engagiert sich Lars doch tatsächlich in einer konspirativen Partisanenarmee, einer Untergrundorganisation, die seinem Leben Sinn verleiht. Seinem einstigen Zugführer Bossert, einem „Ausnahmeoffizier“, ordnet er sich total unter und führt als Handlanger dessen Befehle aus. Als blinder Anhänger einer kollektivistischen Ideologie lässt sich Lars für den Sturz des Kapitalismus instrumentalisieren. Die bedingungslose Unterordnung unter die Autorität eines Vorgesetzten, die damit verbundene „unerschütterliche Loyalität“ zu dieser Leitfigur und der „Gefallen an den Abläufen militärischen Handelns“ (Befehl und Ausführung) machen Lars schließlich zum Serienkiller, der – so wird suggeriert – aber „kein Mörder“ ist, sondern lediglich als „Soldat“ Aufträge ausführt, „frei von persönlichen Motiven, Affekten und Neigungen“. Die Morde werden lange Zeit durch die verdeckten Ziele gerechtfertigt. Als Lars aber eines Tages von einem Kripo-Kommissar, einem alten Freund aus gemeinsamen VP-Zeiten erfährt, dass Bossert lediglich ein Rotlichtgangster – „Menschenfischer“ und „Marionettenspieler“ zugleich – ist, blickt er den Tatsachen nicht ins Auge, sondern versucht verzweifelt sein Selbstbild und sein Vertrauen in Bossert zu retten. Den Roman, seine Lebensgeschichte, adressiert der Ich-Erzähler schließlich auf der metanarrativen Ebene als „Rechenschaftsbericht“ an irgendwelche „Genossen“. Vom ihm erhofft er sich wohl eine Rechtfertigung, eine Entschuldung seiner Taten.
Michael Sollorz hat einen unerwarteten, vor allem aber sehr spannenden politischen Roman über die verheerenden Folgen menschlicher Manipulierbarkeit geschrieben. Der Autor zeigt die Abgründe zwischen Sein und Schein, zwischen Traum und Wirklichkeit und zwischen Utopie und Gegenwart in aller Deutlichkeit auf. Die Lektüre regt ebenfalls dazu an, über die problematische Identitätsbildung von ehemaligen DDR-Bürgern nach der Wende nachzudenken, durch die die Ideologie, die das Totum der Welt erklärt hatte, als Lebenssinn hinfällig wurde. So ist Lars Hagner im Grunde ein sehr einsamer Mensch, der sich nach einem Sinn in seinem Leben sehnt und schließlich zu jenem Fanatiker avanciert, der für andere so gefährlich wird. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Debatten um islamische Gotteskrieger und Kamikaze-Kämpfer ist das Buch somit aktuell und äußerst brisant. Sollorz, der uns bis dato allenfalls als schwuler Berliner Szene-Autor ein Begriff war, hat mit diesem Roman bewiesen, dass er auch über andere Themen vorzüglich erzählen kann.
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