Das harte Holz der Schulbank

Fabio Ciracì, Domenico M. Fazio und Mathias Koßler haben einen Sammelband zu Arthur Schopenhauers Schülern herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist von Schopenhauer-Schülern die Rede, wird meist an das Dreigestirn Philipp Mainländer, Julius Bahnsen und Eduard von Hartmann gedacht. Letzterer ist zwar heute ebenso wenig bekannt wie die anderen beiden, war jedoch um Neunzehnhundert geradezu ein Modephilosoph und wurde sogar öfter gelesen als der inzwischen viel berühmtere, allerdings abtrünnige Schopenhauer-Zögling Friedrich Nietzsche.

Denjenigen, die sich etwas näher mit der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts befasst haben, fallen außerdem vielleicht noch die Schopenhauer-Adepten Julius Frauenstädt, Paul Deussen und der schreckliche Carl Peters ein, der allerdings weniger als origineller Philosoph bekannt wurde, denn als mordender Afrika-Kolonialist berüchtigt. Im 20. Jahrhundert mag man vielleicht an Georg Simmel denken. Auch Max Horkheimer hatte eine gewisse Affinität zu dem Frankfurter Pessimisten. Frauen aber scheinen sich nicht in dieser Reihe der Filiationen zu finden.

Doch vielleicht weiß ein „Schopenhauer und die Schopenhauer-Schule“ gewidmeter Sammelband Näheres über Elevinnen des Willensmetaphysikers zu berichten. Tatsächlich kommt Domenico M. Fazio in der Einleitung auf einige so gut wie völlig vergessene Anhänger Schopenhauers wie Friedrich Dorguth oder Adam von Doss zu sprechen. Frauen sind allerdings nicht darunter. Es sei denn wie Olga Plümacher als von-Hartmann-Schülerin und Verfasserin der ersten Monografie zum Thema Schopenhauer-Schule, die den Titel „Zwei Individualisten der Schopenhauer-Schule“ (1881) trug, oder wie Agnes Tauber als Ehefrau des Autors einer „Philosophie des Unbewussten“ (1869), dessen militärische Karriere durch eine Knieerkrankung beendet wurde. Dabei gibt es tatsächlich zumindest zwei namhafte Pessimistinnen, die nicht nur in Punkto Originalität durchaus mit den Herren der Schopenhauer-Schule konkurrieren können: Helene von Druskowitz und Rosa Mayreder. Beide waren nicht nur Pessimistinnen sondern zugleich auch Feministinnen. Mayreder die bekanntere und Druskowitz die radikalere.

Das Interesse der zwanzig Autorinnen und Autoren des auf eine im Herbst 2005 im Dipartimento di Filologia Classica e di Scienze Filosofiche der Università degli Studi del Salento (seit 2007 Università degli Studi del Salento) gemeinsam mit der Schopenhauerforschungsstelle der Universität Mainz durchgeführten Tagung zurückgehenden Bandes konnten sie allerdings nicht wecken, konzentrieren sich deren Beiträge doch ganz auf die Herren der Schülerschaft – sofern sie nicht dem Begriff der Schopenhauerschule, den Domenico M. Facio und Matthias Koßler zu erhellen wissen, oder der Philosophie Schopenhauers selbst gelten.

So bedauerlich die Absenz der Schülerinnen ist, so informativ ist mancher der Beiträge über die Schüler, was allerdings nicht zuletzt daran liegt, dass einige von ihnen selbst PhilosophiehistorikerInnen unbekannt sein dürften, wie etwa Giuseppe Melli, der „Schopenhauerianer im Salent“, über den Elisa Antonucci berichtet, Carlo Michelstaedter, dessen Vorstellung der „Welt als Überzeugung und Rhetorik“ Davide Ruggieri den Lesenden nahe bringt, oder Piero Martinetti, aus dessen Metaphysik Brigida Bonghi die „schopenhauersche Perspektive“ herauspräpariert.

Andere Beiträge wenden sich den genannten üblichen Verdächtigen in Sachen Schopenhauer-Schüler zu. Das Interesse des bekannten Thanatologen und Herausgebers sowohl von Mainländers Werken wie auch von Bahnsens Hauptwerk, Wilfried H. Müller-Seyfarth, gilt der Willenshenadologie des Realdialektikers Bahnsen „im Blick auf die ‚postmoderne‘ Moderne“,während sich Sirk Solies Georg Simmel und Michael Gerhard Paul Deussen widmen. WohingegenYauo Kamata die Frage aufwirft, ob Eduard von Hartmann überhaupt ein Schopenhauerianer gewesen sei.

Natürlich fehlt auch nicht Schopenhauers, wie Ludger Lütkehaus ihn nennt, „entlaufene[r] Schüler“ Nietzsche. Ihm gilt das Interesse Sossio Giamettas. Lütkehaus selbst wirft hingegen ein Licht auf den „ewige[n] Mann im Schatten“ nicht nur Nietzsches, sondern auch Lou Andreas-Salomés. „[Z]wei Berühmtere“, in deren Leben insbesondere verschiedenen Nietzsche-Biografen und -Proselyten zufolge Paul Rée – wie Lütkehaus zeigt, zu Unrecht – zwar nicht gerade nur eine „bloße Fußnote“, „aber doch kaum mehr als eine Episode“ gewesen sein soll. Zumal auf Nietzsche habe der unbekanntere Dritte im Bunde „in einer entscheidenden Phase seiner Entwicklung […] einen wesentlichen Einfluss ausgeübt“, wie Lütkehaus betont. Lou Andreas-Salomé hatte hierauf bereits am Ende des 19. Jahrhunderts aufmerksam gemacht.

Nun widerfährt Rée als einzigem Schopenhauer-Schüler die Ehre, im Zentrum von nicht weniger als drei Beiträgen des vorliegenden Bandes zu stehen. Lässt Lütkehaus Rée als Mensch und Denker vor allem in seinem Verhältnis zu Nietzsche Gerechtigkeit widerfahren, so spürt Hubert Treiber den Quellen von Rées Schrift „Die Illusion der Willensfreiheit“ nach und Domenico M. Facio würdigt ihn als Schopenhauerianer.

Titelbild

Fabio Diracì / Domenico M. Fazio / Mathias Koßler (Hg.): Schopenhauer und die Schopenhauer-Schule.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2009.
320 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783826036736

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