Klebt gut
Nils Minkmars Buch „Mit dem Kopf durch die Welt“ erzählt ganz persönliche Geschichten aus der Normalität
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNils Minkmars Faszination gilt dem Sekunden-Zweikomponenten-Kleber. Ein „Superstoff“, der in Nullkommanix Wasserrohre dichtet und Löcher klebt. Sogar Dübel lassen sich in ihn hineindrehen, verrät der Journalist in einer Abhandlung über den Umzug als Charakteristikum postmoderner Lebensweisen. Ein selbstironischer Handwerkertipp, der sich auch als Metapher für die Bauweise von Minkmars „personal essays“ verstehen lässt.
Denn das, was der 43-jährige „FAS“-Feuilletonredakteur aus den „modernen Kerngebieten des Normalen“ wie Politik, Religion oder dem Verhältnis des bahnfahrenden Mannes zu seinem Sitzplatz zu berichten weiß, sind aus disparaten Einzelteilen zusammengeleimte Collagen. Frei nach Willy Brandt, einem von Minkmars Hausgöttern: Jetzt steht zusammen, was ich als Reporter alles zu einem Thema erlebt oder schon einmal dazu geschrieben habe.
Und, oh Wunder: Das Ganze hält! Meistens jedenfalls. Man nehme etwa Minkmars Essay über die „schönste Hauptsache der Welt“, die Politik, Pflichtlektüre für alle Verdrossenen und Verächter. Er beginnt bei dem gespenstischen Besuch eines wie unter Drogeneinfluss wirkenden George W. Bush 2007 in Mecklenburg-Vorpommern. Wechselt dann zur Wahlnacht im November 2000, als Al Gore schon wie der sichere Sieger aussah – von heute aus gesehen einer der „tipping points“ der Weltgeschichte, den Minkmar im CNN-Newsroom in Atlanta miterlebte. Reist von Atlanta zurück in die 1980er-Jahre, in Minkmars Vergangenheit in der Juso-Hochschulgruppe seiner Uni, wo sie schon alle versammelt waren: die Politikjunkies, Querulanten und größenwahnsinnigen Schwätzer. Und endet mit einem liebevoll-vernichtenden Porträt Oskar Lafontaines („noch heute kann ich es kaum fassen, dass er wie der Duracell-Hase einfach weitermacht“).
Was in der Zusammenfassung wie ein haarsträubende Tour de Force anmuten mag, entpuppt sich bei der Lektüre als Essayismus im emphatischen Sinn des Wortes, nämlich als spielerischer Versuch, ein komplexes Phänomen von verschiedenen Seiten und Perspektiven zu beobachten. Tatsächlich sieht man nach der Lektüre die Politik mit anderen Augen. In anderen Texten reist Minkmar auf den Spuren des Nachwuchsislamisten Daniel aus der Sauerland-Gruppe in seinen Saarbrücker Heimatstadtteil Dudweiler (bis dahin für ihn „der Nullpunkt menschlicher Harmlosigkeit“), erkundet den dramatischen Kurssturz des Mannes von einer Stütze der Gesellschaft „zu einer weniger behaarten Variante des Problembären“ oder meditiert über das spezifisch deutsche Phänomen, dass sich regelmäßig bis dahin angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit bizarren Nazi-Äußerungen oder -Vergleichen aus eben dieser Öffentlichkeit hinauskatapultieren.
Auch wenn Minkmars Aufhänger, die „Unvorhersagbarkeit“ von Lebensläufen und Ereignissen im frühen 21. Jahrhundert, ein bisschen wie ein in einem zu groß gebohrten Loch herumwackelnder Haken wirkt, sind es doch überwiegend pfiffig gemachte, lesenswerte Bastelarbeiten, die der Bourdieu-Schüler da abliefert. Und die einen immer wieder mit glänzenden ironischen oder sarkastischen Formulierungen überraschen wie zum Beispiel: „Hört man eine Weile lang nicht die hysterischen, klientelorientierten, neoliberalen Ideologismen von Guido Westerwelle, fehlt einem was, es ist eine Art akustischer Möblierung des öffentlichen Raums, an der man sich wie die Fledermäuse echolotartig orientiert.“
Mit seinem so anrührend porträtierten französischen Großvater hat Minkmar vielleicht mehr gemein, als er ahnt: Der kulinarisch versierte Weltkriegsveteran aus Bordeaux, der noch die einfachen Freuden des Lebens zu genießen wusste („das Mittagessen, sicher nicht der Beruf, war das eigentliche, das praktizierte Leben“), bezog bei seinen Besuchen in Saarbrücken stets Stellung vor Imbissbuden. Dort beobachtete er immer wieder aufs neue staunend und fassungslos die Bratwurstbrötchen in sich hineinstopfenden deutschen Passanten. Eben dieses unversiegbare Staunen ist es, mit dem hier einer die „ganz normale“ Wirklichkeit beobachtet.
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