Prozess der Réécriture

Über Erinnerung und Erzählen in Arnold Stadlers „Einmal auf der Welt. Und dann so“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kennt man die drei autobiografischen Romane Arnold Stadlers noch nicht, die nun gesammelt neu aufgelegt wurden, ist die Lektüre ein Erlebnis. Kennt man diese bereits, ist es die erneute Lektüre ebenso. Aber man ist doch überrascht, wie sich in der Neuausgabe der Romane die biografischen Linien ineinander fügten. Durch die leichten Überarbeitungen der Texte und die Ergänzung durch ein ganzes Kapitel ist ein neuer Text entstanden, der einen Teil seiner Authentizität der kreativen Eigenlektüre des Autors zu verdanken hat. Somit kann man sich mit dem neuen-alten Buch auf eine sehr persönliche Lektürereise begeben – und die biografischen Stationen eines Schriftstellerlebens miterleben.

Stadler macht es dabei dem Leser aber nicht einfach. Eine andere Vorgehensweise wäre bei ihm nur eine negative Überraschung. Und so beglückt einen oft ungewollt die manchmal „garstige Schreibhaltung“ mit poetischen Bildern und Momenten, die in der Literaturgeschichtsschreibung den Wechsel des Schriftstellers zum Dichter markieren könnten. Dies sind hier vor allem die Passagen, die ironischen Humor mit deprimierenden Erinnerungen verbinden und den Leser an eleganten Wortgebilden entlang führen. Sie beziehen sich in den „Erinnerungen“ sogar auf die pränatale Phase des Protagonisten: „Ich muss es gehört haben. Wegmachen wird das erste Wort sein, das ich gehört habe. Von innen heraus. Von da sind meine dunklen Erinnerungen.“ Dabei hält er sich ganz an die Prämissen seinen literarischen alter ego: „Für alles hatte ich einen Satz parat, selbst für das Nichts.“

Stadlers Hauptfigur ist verwurzelt in seiner ländlichen Sozialisation, führt seine Wege in den Bereich der Theologie, auf der Suche nach dem Sinn, der sich nicht erschließt, auch nicht in Rom mit seinen Unmengen an Sinn- und Erlösungsangeboten. Das Fazit nach Jahren der Mühe: „Wie ich nach Rom gekommen bin, so ging ich: trostlos, im Grunde unbelehrt, ins Ungewisse. Und außerdem: nun fast schon dick und fast schon ein Trinker.“ Dabei bleibt dem Protagonisten immer das Rekurrieren auf die Heimat, mit deren Wertesystem er seine Erlebnisse und Erkenntnisse abgleichen kann. Dies relativiert sich erst, als das letzte Stück „Heimat“ verloren geht – selbst wenn dieses immer nur als Möglichkeit existiert hat.

Der Protagonist des Romans bleibt auf der Suche, bekennt seine Unbelehrbarkeit und findet doch eine erquickliche Lebensmaxime. Nachdem seine Familie alles verloren hat und die elterlichen Besitzungen zwangsversteigert werden, hat er seine Heimat endgültig verloren: „Aber ich fasste keinerlei Vorsätze mehr, außer dem einen, mich regelmäßig gegen die Sonne einzucremen, und dem anderen, keine Vorsätze mehr zu fassen. Und dabei blieb es.“ So ist dieser Verlust einerseits eine vor allem persönliche Tragödie, andererseits aber gleichzeitig auch eine Befreiung von dem Zwang, diese nun nicht mehr existente Heimat zu verlassen. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein verlorenes Paradies, auch wenn es für den Protagonisten manchmal von der Hölle nicht zu unterscheiden war.

Letztendlich hat Stadler dem Leser ein sprachlich herausragendes, durch und durch poetisches Werk geschenkt, dem durch den Prozess der „Réécriture“ eine exponierte Stellung im Werk des Autors zukommt. Die Lektüre ist ein Abenteuer, auf das man sich einlassen sollte. Stadlers Poesie könnte man das Motto zur Seite stellen, das er hier als Motto für das zweite Buch „Feuerland“ gewählt hat. Es stammt aus Johann Wolfgang von Goethes „Maximen und Reflexionen“ und beschreibt das Spannungsfeld, in dem Stadler schreibt: „Man geht nie weiter, als wenn man nicht mehr weiß, wohin man geht.“

Titelbild

Arnold Stadler: Einmal auf der Welt. Und dann so. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
423 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100751225

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