Schwatzend im Kreis

Wolf Haas reaktiviert in „Der Brenner und der liebe Gott“ seinen Antihelden Simon Brenner und poliert seinen Stil etwas auf

Von Kirsten ReimersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Reimers

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinen Simon-Brenner-Romanen mischte der Österreicher Wolf Haas nicht nur die heimische Krimiszene auf – sein Sound wurde stilbildend, und sein Kultstatus zog weitere österreichische Autoren mit ins Licht der Öffentlichkeit. Die sechs Krimis um den maulfaulen und grüblerischen Expolizisten Simon Brenner, die bis zum Jahr 2003 erschienen, wurden hoch gelobt, mit Preisen überhäuft und galten mit „Das ewige Leben“ als abgeschlossen. Der Verlag Hoffmann und Campe gab sie im Schuber als Sammelausgabe heraus. In Interviews beteuerte Wolf Haas, dass es gut sei, dass diese Reihe ende, bevor der innovative Stil zur Pose verkomme.

Nun, nach sechs Jahren, legt Wolf Haas erneut einen Brenner-Krimi vor: „Der Brenner und der liebe Gott“. Der Expolizist ist nun auch Exdetektiv, arbeitet als Chauffeur für einen Bauunternehmer, nimmt Antidepressiva und fühlt sich eigentlich ganz wohl. Noch etwas stiller und langsamer mag er geworden sein. Das hat fatale Auswirkungen: Sein Job besteht darin, die kleine Tochter des Bauunternehmers zu kutschieren. Als er sich eines Tages bei einem Tankstop nicht entscheiden kann, welche Schokolade er dem Kind mitbringen soll, löst das eine Kettenreaktion aus, die sieben Menschen das Leben kostet.

Bislang war die Handlung in Haas’ Krimis eher eine Nebensache, sozusagen ein nettes Plus. Wesentlich interessanter war die Sprache: eine ausgefeilte kunstvoll-künstliche Umgangssprache, in der konnotationsreich Themen angerissen wurden und die durch Kategorienverschiebungen aufschlussreiche Zusammenhänge schuf. Dargebracht von einer sehr geschwätzigen Erzählstimme, die kumpelhaft den Leser vereinnahmte – „ob du’s glaubst oder nicht“, „jetzt schau“ – und tabu- und distanzlos alles nur Denkbare kommentierte. In „Das ewige Leben“ wurde das Geheimnis der Identität des Erzählers gelüftet – und die Figur gleich darauf erschossen. Es schien das Ende der Brenner-Reihe.

Bleibt heute die Frage: Wer erzählt das aktuelle Buch? Und wie? Wer es ist, bleibt auch diesmal im Dunklen, aber der Stil ist weitgehend der gleiche. Das neue Buch klingt wie die alten. Vielleicht ist die neue Erzählstimme ein bisschen eloquenter, vielleicht ist die Wortwahl etwas gehobener, aber letztlich sind das nur graduelle Abweichungen.

Vielleicht ist „Der Brenner und der liebe Gott“ der bislang beste Krimi des Linguisten und ehemaligen, legendären Werbetexters Haas: Der Österreicher erzählt bunter, geruchsintensiver, plastischer und auf seine Art auch konzentrierter. Denn die charakteristischen und wunderbaren Haas’schen Neben- und Abwege sind diesmal thematisch enger mit dem Roman verknüpft, sie mäandern um zentrale Punkte herum. So entstehen Leitthemen und -motive, die immer wieder aus einer anderen Richtung umkreist werden und so dem Roman eine intensive Dichte verleihen. Auch die Handlung ist diesmal stringenter aufgebaut.

So gelungen es sich anhört, so enttäuschend ist es auch. Der Plot bleibt in Haas’ Romanen nun einmal nur Nebensache. Sie leben beziehungsweise lebten von der erzählerischen Innovation. Aber das Ungewöhnliche dieser Krimis ist inzwischen ausgereizt. Wäre „Der Brenner und der liebe Gott“ ein, zwei Jahre nach dem „Ewigen Leben“ erschienen: geschenkt. Aber inzwischen ist eine Menge Zeit vergangen, und der wirklich gute Interviewroman „Das Wetter vor 15 Jahren“, nach dessen Lektüre man das Gefühl hatte, mindestens zwei Bücher in Gestalt von einem bekommen zu haben, hat die Erwartungen nur noch höher geschraubt. Nun wieder an Altes anzuknüpfen, hat etwas von einem Rückschritt.

Titelbild

Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009.
224 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783455401899

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