Grass oder Bushido

Buchtrailer gibt es überall, aber Amazon, Libri und andere produzieren durchaus auch exklusive Videos für die eigenen Websites. Aufwand und Ziele könnten unterschiedlicher nicht sein

Von Christopher Heil, Lennart Oberman und Alexander HörterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christopher Heil, Lennart Oberman und Alexander Hörter

Das Medium Buch hat sein Aussehen kaum verändert, doch die Werbung für die Bücher entwickelt sich ständig weiter. So ist bei vielen Online-Buchhändlern ein Trend zu beobachten: Sie folgen den multimedialen Möglichkeiten des Internets, indem sie exklusive Videos, Buchtrailer oder Interviews im audio-visuellen Format zu Verfügung stellen. Allerdings ist ein qualitativer Unterschied bei den Anbietern nicht zu übersehen.

„Hallo, ich bin Kerstin Gier. Willkommen bei Amazon.“ So beginnt ein für Amazon exklusiv produziertes Video. „Im Herbst erscheint mein neues Buch ‚In Wahrheit wird viel mehr gelogen‘.“ Nur wenige Augenblicke später die Redundanz: „Bald erscheint ja mein neues Buch ‚In Wahrheit wird viel mehr gelogen‘.“ Haben wir uns verhört? Nein. Ist diese Wiederholung ein beabsichtigter Effekt unbeholfen wirkender Sympathiewerbung oder doch nur Symptom einer Low-Budget-Produktion?

Es geht nicht nur billig, es geht auch anders

Hierzulande scheinen sich die Buchtrailer etabliert zu haben. Auf bol.de beispielsweise ist eine ganze Liste von Trailern abrufbar. Exklusive Videos stehen dagegen hintenan – kein Wunder bei Fällen wie dem eben genannten. Anders in Amerika. Der Buchhändler Barnes & Noble empfiehlt auf seiner Website in der Video-Rubrik „Tagged!“ wöchentlich neue Bücher. Die Nachfrage ist groß – es werden sogar Trailer für die kommenden Shows produziert. Während die Besucherzahlen dort in die Tausende gehen, stagnieren sie in Deutschland im Hunderterbereich. Dabei fungiert für „Tagged!“ eine unbekannte Schauspielerin als Moderatorin, wohingegen in Deutschland sich zumindest libri.de für seine Video-Rubrik „AutorenBlicke“ die Dienste renommierter Journalisten gesichert hat. So treten dort Felicitas von Lovenberg oder Ulrich Wickert als Interviewer auf, „die durch ihre Sachkenntnis Garant für spannende Fragen sind“, so Kathrin Claußnitzer. In Absprache mit den Verlagen, erläutert die Produktmanagerin für Buch und Medien bei libri.de, werden Autoren, wie Günter Grass, ausgewählt, „die aktuelle und interessante Titel veröffentlicht haben, möglichst deutschsprachig, wegen der besseren Interviewbarkeit“. Allerdings erscheinen die „AutorenBlicke“ nur in unregelmäßigen Abständen. Sollte zu Beginn noch jeden Monat eine neue Folge veröffentlicht werden, so war dies schon nach der zweiten Sendung nicht mehr der Fall.

Dass die Rubrik dennoch nicht zum Mauerblümchen verkommen soll, zeigt der neueste Clip über den österreichischen Autoren Daniel Glattauer. Er sticht durch innovatives Design hervor: Auf der linken Seite des Bildschirms ist in schwarz-weiß das Gesicht eines Mannes zu sehen. Er ist Mitte bis Ende 40, trägt eine Lederjacke und eine Brille. Die rechte Seite des Bildschirms ist weiß. Schließlich sagt der Mann: „Daniel Glattauer.“ Dies wird mit Tippgeräuschen einer Schreibmaschine unterlegt und auf der rechten Seite eingeblendet. Die Verwendung von Splitscreens und Farbfiltern zieht sich durch das ganze Video. So sehen wir den Schriftsteller einmal aus drei verschiedenen Kameraperspektiven sitzen oder durch einen Raum schreiten, während er aus seiner Vergangenheit erzählt und zusätzlich Informationen aus seinem Leben von den Schreibmaschinengeräuschen begleitend eingeblendet werden. Er antwortet auf stichwortartige Fragen, die am unteren Rand des Bildschirms zu sehen sind, statt einem Interviewpartner Rede und Antwort zu stehen.

Es geht nicht ums Buch, es geht ums Ganze

Dieser plötzliche Wandel in der Gestaltung ist wohl auch dem Wechsel der Produktionsfirma zu verdanken: Hatte Ulrich Wickerts UWP noch die ersten Folgen geliefert, kommt das Glattauer-Video von lettra.tv. Es ist bereits der zweite Versuch dieser Firma, sich im Mediendschungel zu beweisen, nachdem man nach nur fünf Monaten im März 2008 den Betrieb als literarischer Spartenkanal von Premiere einstellen musste. Ob durch verbesserte visuelle Gestaltung die Kosten für die „AutorenBlicke“ in die Höhe steigen, lässt sich nur vermuten. René Frey, der Geschäftsführer der Media Tune AG, die lettra.tv vermarktet, wollte zunächst über Zahlen keine Auskunft geben und ließ schließlich nur durchblicken, dass die Kosten für ein derart produziertes exklusives Video im vierstelligen Bereich liegen.

Der größte Schweizer Buchhändler Orell Füssli bezieht seine exklusiven Videos ebenso von lettra.tv. Er verweist auch in seinem Kundenmagazin books, das mittlerweile als PDF-Datei im Netz anzusehen ist, auf seine Videos. Eine andere Art, auf seine Videos aufmerksam zu machen, benutzt Libri: Das Unternehmen platziert seine „AutorenBlicke“ als Werbeanzeige auf anderen Webseiten, allerdings ohne Verkaufsnutzen daraus zu ziehen. So sind beispielsweise auf literaturen.de die gleichen Videos zu sehen, jedoch existiert dort keine Verlinkung direkt zu libri.de, der Verkaufsseite, von der die Filme tatsächlich stammen.

Ganz gleich wie die Aufmerksamkeit des potentiellen Käufers gewonnen werden soll, in Zukunft würde sich dies vor allem dann rentieren, wenn eine Resonanz, wie sie exklusive Web-Videos etwa bei Barnes & Noble erfahren, und dem Gehalt der Beiträge hiesiger Anbieter wie libri.de zustande käme. Dann müssten wir nicht weiterhin in exklusiven Videos sinnlose Wiederholungen ertragen oder den Rapper Bushido seine eigene Biografie mit den Worten anpreisen hören: „Das Buch des Jahres! Die Biographie des Jahrhunderts!“ Dieses Video, exklusiv für Amazon produziert, endet mit einem ratlosen Ratschlag: „Ihr kennt ja Amazon. […] Ihr klickt drauf, ah, will ich haben, Papierkorb, äh, Warenkorb. Ähm, bestellen. Geheimnummer. Dankeschön. Auf Wiedersehen.“