Riss im Damm

Catherine Millets Skandalbuch „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ auf CD

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Tabubrüche sind wie Dammbrüche der öffentlichen Meinung, ein kleiner Riss, und schon ergießt sich ein ordentlicher Debattenschwall über die Feuilletons, auf dass aus Bleiwüsten grüne Täler werden. Catherine Millets Buch „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ mit dem die französische Kunstkritikerin im Jahr 2001 in Frankreich einen ordentlichen Skandal entfachte, war mehr als nur ein kleiner Riss. Es war eine gewaltige Bresche in der Mauer des Schweigens, die weibliche Sexualität umgibt, und entsprechend heftig ergoss sich die Diskussion. Man kann also davon ausgehen, dass fast alles gesagt worden ist zu den entscheidenden Themen Pornografie und Autobiografie und ihrer Anwendbarkeit auf das Werk Millets. Zieht man allerdings in Betracht, dass beide Themen schon von ihren Begriffen her einen eindeutigen Bezug zu Schrift und Text erkennen lassen, mag dies für Überlegungen darüber Anlass geben, welcher neue Blickwinkel sich durch die mittlerweile erfolgte Veröffentlichung des Textes als Hörbuch ergeben könnte.

Zuerst einmal ist die Umwandlung eines erfolgreichen Textes in ein Hörbuch das kaum überraschende Ergebnis eines derzeitigen Trends auf dem Buchmarkt. Im Gegensatz zu anderen französischen Skandalpublikationen (die ja ebenfalls einen derzeitigen Trend im Literaturbetrieb darstellen) – wie etwa Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“ – hat man nicht versucht, den Text in eine dramatisierte Hörspielfassung zu zwingen, sondern ihn lediglich von einer Sprecherin vorlesen lassen. Dass es sich dabei um die Synchronstimme von Schauspielerinnen wie Pamela Anderson und Angela Jolie handelt, die sich vor allem als prallbusige Superweiber ins kollektive Gedächtnis der männlichen Kinogeher eingeprägt haben, mag oberflächlich als leicht anrüchige Marketingstrategie des Verlages erscheinen. So etwa im Rahmen der Überlegung, dass sich mit dem Hörbuch auch die Schwierigkeit erledigt, wie man ein Buch mit einer Hand hält und umblättert. Doch liefen solche Assoziationen bereits beim gedruckten Buch ins Leere, ist das beim gesprochenen nicht anders.

Denn der Text ist ein geradezu klinisches Protokoll, dessen Skandal nicht in der scheinbar endlosen Abfolge naturalistisch beschriebener Sexualakte liegt, sondern in der Weigerung der Erzählstimme, sich durch diese Beschreibungen irgend eine Regung entlocken zu lassen. Dabei ist es nicht so, dass die Erzählerin, die natürlich von der Autorin zu unterscheiden ist, keine Gefühle beschreiben würde. Gefühle spielen in ihrer Analyse vergangener Ereignisse eine große Rolle, doch zum Erzählzeitpunkt selbst haben sie längst jede Wirkung verloren. Hier erzählt jemand neutral von Dingen, die doch scheinbar niemanden ungerührt lassen können. Das ist die Unmöglichkeit, die den Leser, jenseits von banaler Prüderie, stocken ließ. Konnte man in den geduldigen Text auf der Buchseite aber noch wahlweise die eigene Empörung oder auch Erregung hineinlesen, prallen solche Versuche am unaufgeregten Sprachfluss der Sprecherin Marion von Stengel erfolglos ab. Sie liest den Text, als würde sie die Tagesschau moderieren und führt damit das Unbestimmbare der Textsorte dieses Werkes deutlich vor Ohren. Pornografie ist es nicht, weil es weder erregt ist noch erregen will. Eine Autobiografie ist es aber auch nicht, denn die Stimme, die zu uns spricht, ist nicht die von Catherine Millet. Der offensichtliche Unterschied zwischen Autorin und Sprecherin weist dabei nur auf den so gerne übersehenen zwischen Erzählerin und Autorin hin. Man muss eben nur genau hinhören.

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Catherine Millet: Das sexuelle Leben der Catherine M. 3 CDs. Gelesen von Marion von Stengel.
Random House Audio, Köln 2002.
210 Min., 24,50 EUR.
ISBN-10: 389830356X
ISBN-13: 9783898303569

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