Schön wie eine Illusion

Der tschechische Dichter Petr Halmay legt Gedichte vor, die sich mit feiner Wahrnehmung dem bisherigen Lebensweg stellen

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war der Doyen der Übersetzer aus dem Tschechischen, Franz-Peter Künzel, der 1994 anlässlich einer grenzüberschreitenden Begegnung von deutschen und tschechischen Schriftstellern dem Publikum erstmals zwei Texte von Petr Šiktanc vorgestellt hatte.

Petr Halmay wurde 1958 als Sohn des Schriftstellers Karel Šiktanc in Prag geboren. Da sein Vater sich nicht an das Regime der sogenannten „Normalisierung“ anpassen wollte, das nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ von 1968 in der ČSSR errichtet wurde, erlebte der junge Petr sehr bald aus nächster Nähe die Folgen einer totalen gesellschaftlichen Ausgrenzung. Karel Šiktanc schrieb seine besten Gedichte ohne Aussicht auf Veröffentlichung im eigenen Land.

Auch Petr Šiktanc, der inzwischen den Namen Petr Halmay angenommen hatte, durfte vor 1989 seine Texte nicht veröffentlichen. Mittlererweile sind in den vergangenen zwanzig Jahren insgesamt fünf Gedichtsammlungen von ihm erschienen.

Für den vorliegenden Gedichtband „Schlusslichter“ hatte Halmay im Jahr 2007 den in seiner Heimat angesehenen Jan-Skácel-Preis erhalten. Christa Rothmeiers Übersetzungsleistung gelingt es, die Begründung der Preis-Jury, Halmay stehe in der Tradition der besten mährischen Dichter, nachzuvollziehen.

Keinerlei Weinerlichkeit, aber eine leichte Wehmut durchzieht diese Verse. Ein nüchterner zivilisatorischer Realismus und wahrgenommene Natur schließen einander nicht aus. Es scheint, als atme jemand tief durch um zum Beschluss zu kommen, die Dinge um sich herum wie auch das eigene Leben noch einmal ganz neu wahrzunehmen und zu begreifen.

Das Titelgedicht „Schlusslichter“ sieht den vorübergegangen Sommer aber auch den eigenen Sohn als eine Gelegenheit, den Augenblick zu überdenken: „Langsam räumt schon der Sommer die Stellungen. / Verlassen blieben / die Gartentische zurück… // Vermengt mit Ereignissen, Staub / scheint dieser Augenblick / ungewohnt leicht. // Vom Tennisplatz am Waldrand kam mein Sohn, / aus der Wiese weht / der schwache Duft von Heu…“.

Die stehengebliebene Zeit lässt sich auch in dem Gedicht „Leer wie Empfindungswörter“ finden, das von Břevnov, einem Stadtteil im Westen von Prag unweit vom weißen Berg, inspiriert wurde. Einst stolze Häuser eines wohlhabenden Bürgertums, umgeben von stattlichen Gärten, verblätterten in den Jahrzehnten des „real existierenden Sozialismus“ zum üblichen Einheitsgrau. Petr Halmay deutet in diesem Gedicht das Erwachsenenwerden als einen „Gefühlsunfall“ an: „,Es ist sinnlos‘, sagt soeben Nina zu mir; / sie steht wieder in der Tür der elterlichen Villa in Brevnov / durchs kreisrunde Fenster / fällt ein Lichtstreifen auf Wände und Stiegenhaus. / ( Aber das ist nicht die ganze Situation. / Es fehlt die Ebene bei Schloss Stern – / und dazu die endlosen abendlichen Autokolonnen, / die sich von Vypich hinunter bis nach Strešovice ziehen.)“.

Petr Halmay hatte als Sohn eines Verfemten etliche Gelegenheitsberufe ausgeübt. Er war Lagerarbeiter, Techniker, Tankwart und Kulissenarbeiter. Etliche seiner Gedichte sind von den Milieus dieser Tätigkeiten beeinflusst. Somit sind andersartige Perspektiven entstanden. Das menschliche Sein findet dann „im Licht von Leuchtstofflampen“ statt oder hinter dem „Tor des Möbeldepots / (und oder andere Pförtnerlogen und Tore)“ und unmittelbare Blicke sowie weitere Aussichten sind in gewisser Weise verbannt: „Über dem Hof in der kalten Dezembersonne / fliegen immer wieder einzelne Möwen vorbei“.

Die Unstetigkeit in einer schnelllebigen Welt, die Unwirklichkeit mancher Augenblicke eröffnen neue Perspektiven der Wahrnehmung und manchmal finden sich in der Wirklichkeit Bilder, die das innere Erleben illustrieren. In der Gegend von Triest im Gedicht „Der Hafen“ beschreibt der Autor „das Gefühl undeutlichen Glücks…“. und das macht ihn sprachlos im sinnlichen Erleben: „Wir stehen reglos auf dem grün gesprenkelten Hang: letzte Sonnenstrahlen hängen weiter über dem Wasser / wie versteinerter Duft. // Und aus der Ferne starrt stumm der große Hafen / schön wie eine Illusion“.

Titelbild

Petr Halmay: Schlusslichter. Gedichte.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Christa Rothmayer.
Edition Korrespondenzen, Wien 2008.
73 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783902113610

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