Zu dieser Ausgabe

„Fühlt weniger!“ Dieser schöne Slogan über dem Eingang des Berliner Theaters Hebbel-am-Ufer (HAU) wirkt zunächst einmal fast so kalt wie der harte Winter, der Europa dieser Tage heimsucht. Für eine Bühne ist das aber auch eine äußerst ironisch auffassbare Anweisung an das Publikum – ging es doch in einer solchen kulturellen Institution seit Aristoteles’ Zeiten vor allem um die Erregung von Affekten bei den Zuschauern, um Furcht und Zittern sowie um kathartische Prozesse wie das Weinen, ausgelöst durch Empathie für leidende Figuren.

Nun aber haben hier offenbar nüchterne Kopfmenschen Einzug gehalten: Der „Exzellenz-Cluster“ der FU Berlin mit dem Projekttitel „Languages of Emotion“ ist nämlich gerade in dem Berliner Theater zu Gast, um seine „Forschung außerhalb auch der Universität erlebbar machen“, wie es auf der Website des Instituts heißt. Deshalb findet man dort einen Link zu einer Diashow, die bisherige Eindrücke aus dieser Kooperation dokumentiert, die Ende Januar in einer Vortragsreihe gipfeln wird.

Auf der Website des HAU selbst wird darüber hinaus ein Tanz-Festival mit dem passenden Titel „Anästhesie der Gefühle“ angekündigt, das bis Februar 2010 stattfindet: „Ausgangpunkt der Programmgestaltung ist die Beobachtung, dass Emotionen in jüngster Zeit besondere Aufmerksamkeit zukommt. Dabei ist jedoch unklar, ob wir es mit einer Konjunktur oder einer Tabuisierung von Gefühlen zu tun haben. Während in den Wissenschaften schon von einem ‚emotional turn‘ die Rede ist, werden im Feuilleton kontroverse Debatten darüber geführt, ob es schicklich sei, Gefühle zu thematisieren. Wie steht es also um unser individuelles und kollektives Gefühlsleben? Sind Gefühle auf dem Vormarsch oder werden sie zunehmend verdrängt?“

Auch in der Marburger Redaktion von literaturkritik.de werden solche Nachrichten aufmerksam verfolgt. Hat unsere Zeitschrift das Thema der Emotionen doch schon mehrfach mit Schwerpunktausgaben gewürdigt, so etwa im März 2000, im Dezember 2006 und im Juli 2009. So ist nun auch der Beginn des „Agendajahres“ bei uns betreffenden neueren Publikationen und Forschungsentwicklungen gewidmet, und zwar gleich in zwei Ausgaben: Für den Februar haben wir eine Fortsetzung vorgesehen.

Darüber hinaus bringen wir in der vorliegenden Januar-Ausgabe, wie schon einmal im April 2007, die Rechercheergebnisse einer universitären Übung zur Literaturvermittlung im Internet, genauer: über die neuesten Entwicklungen und Modifikationen literaturjournalistischer Inhalte bei Amazon.de oder auch verlegerischer Websites.

Mit den besten Wünschen für das neue Jahr grüßt Sie
Ihr
Jan Süselbeck