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Detlef Bluhm über die Geschichte der Buchkultur

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kenntnis- und detailreich und oft weit ausholend lässt Detlef Bluhm, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin-Brandenburg, die Geschichte des geschriebenen und gedruckten Wortes Revue passieren. Veranschaulicht wird die Darstellung durch eine Reihe von Anekdoten, durch zahlreiche Illustrationen und farbige Bilder.

Vor etwa 4500 Jahren, so der Autor, pflegte man in Ägypten, den Verstorbenen Literatur mit ins Grab zu geben, magische Sprüche, die den Einbalsamierten den Weg ins Jenseits ebnen und ihnen als eine Art Reiseführer Orientierung im Totenreich vermitteln sollten, damit sie das ewige Leben sicher erreichten. Die ägyptischen Totenbücher, die die Tempelpriester bald in einer größeren Anzahl herstellten, wurden dann wie andere Handelswaren verkauft. Das sei wohl der früheste Einstieg für ein gewerbliches Handeln mit vervielfältigten Texten, vermutet Bluhm und macht deutlich, dass der Ursprung der europäischen Buchkultur und Literaturgeschichte mit dem Namen Homers untrennbar verbunden ist und dass mit seinen Werken im 8.Jahrhundert vor Christus. die „Verschriftlichung von Kultur“ begann. Diese Sternstunde der Menschheit bedeutet zugleich die erste Medienrevolution in der europäischen Geschichte, während mit dem Aufkommen der Papyrusrolle, die komplexe inhaltliche Zusammenhänge schriftlich niederzulegen ermöglichte, die Geburtsstunde des Buches schlug. Auf die Gründung der ersten Bibliotheken und die Geschichte des Handelns mit Büchern in der griechischen Antike kommt der Autor ebenfalls zu sprechen wie auf die Eröffnung der ersten Buchhandlung. „Spätestens um 399 v. Chr. existierte eine Buchhandlung zwischen der Akropolis und dem Areopag.“ Zudem kannte man damals schon Bestseller, Platons Bücher zum Beispiel waren ein Verkaufsschlager, obwohl sein Lehrer Sokrates, wie Platon uns in seinem Dialog „Phaidros“ wissen lässt, befürchtet hatte, dass die Erfindung des Schreibens und Lesens die Lernenden zur Vernachlässigung ihres Gedächtnisses verleiten könnte. Eine neue Buchform, Kodex genannt, entstand im 1.Jahrhundert vor Christus, der dann allmählich die Buchrollen verdrängte und in der die damals noch junge christliche Kirche ihr literarisches Selbstverständnis fand.

„Es herrschte tiefstes Schweigen; man hörte kein Flüstern und kein Wort, außer die eine Stimme des Vorlesers“, so beschreibt Benedikt von Nursia die Situation in den Klöstern. Einige Jahrhunderte später beklagte Richard Fitzralph, dass man in Oxford kein einziges Buch über Philosophie oder Theologie kaufen könne, „weil die Bettlerorden alles für ihre Klöster hamstern.“ Im 9. Jahrhundert gerieten Bücher sogar ins Blickfeld von Räubern und Piraten.

Die Entstehung der ersten Universitäten im 11. Jahrhundert wird beleuchtet, ebenso die schöne Literatur im Gewand von höfischen Epen, Heldendichtungen, Minneliedern, Schwänken, historischen Chroniken, Legenden und Tugendlehren. Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks wird ebenfalls ausführlich gewürdigt. Indes habe er nicht, betont der Verfasser, wie oft fälschlich geglaubt wird, das Drucken oder den Buchdruck erfunden, sondern den Druck mit beweglichen Lettern.

Schon bald nach ihrer Entstehung musste sich die Schwarze Kunst mit ersten Anfeindungen abfinden. Denn geistliche wie weltliche Herrscher fürchteten, dass sich unbequeme Gedanken fortan in Windeseile ausbreiten könnten. Die Universität Köln erhielt daher schon 1479 von der Kirche die Befugnis, häretische Schriften zu unterdrücken, was nur unvollkommen gelang, man denke nur daran, dass Luthers Wirksamkeit (auch das macht Bluhm deutlich) ohne den Buchdruck nicht zu denken gewesen wäre. Mit der Zeit wurden die Bücher handlicher und die Buchillustrationen vielfältiger. Die Verlage wetteiferten miteinander durch die künstlerische Ausstattung ihrer Bücher um die Gunst der Leser. Aber wie sagte doch Maxim Gorki einmal: „Die Dichter bauen Luftschlösser, die Leser bewohnen sie und die Verleger kassieren die Miete“, während der Verleger Kurt Wolff befand: „Am Anfang war das Wort, nicht die Zahl.“ Ausführlich geht Bluhm auf die Buchkultur im 19. und 20. Jahrhundert ein und stellt fest, dass die eifrigsten neuen Buchleser des 19. Jahrhunderts Frauen, Kinder, Jugendliche und Arbeiter waren. Am Leseverhalten der ersten drei erwähnten Gruppen dürfte sich bis heute nicht viel geändert haben.

Auch die unrühmliche Rolle, die der Börsenverein unter Hitler gespielt hat, wird nicht unterschlagen, biederte sich doch dieser nach der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 den „braunen Herrschern“ geradezu an und veröffentlichte eine Liste mit zwölf Namen von Autoren, die „für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten seien und deren Bücher vom deutschen Buchhandel nicht weiter angeboten werden sollten.“ Zu diesen gehörten die Werke von Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Arnold Zweig. Offensichtlich war diese Verlautbarung ein Gastgeschenk für Joseph Goebbels, der einen Tag später im Leipziger Buchhändlerhaus zur Branche sprach, höhnt Bluhm und weist darauf hin, dass jüdische Verleger und Buchhändler ausgeschaltet und viele von ihnen in Konzentrationslagern ermordet worden seien.

Anschließend wird der Wiederaufbau in den einzelnen Zonen genau beschrieben, das Aufkommen der Rowohlt-Rotationsromane und der Taschenbuchreihen, das Aufkommen der Raubdrucke in den unruhigen sechziger Jahren, die Veränderung des Buchmarkts im Laufe der Jahre einschließlich der Neuorganisation des Börsenvereins nach der Wende bis hin zur gegenwärtig ständig wachsenden Bücherflut und den Agenturen für Autoren und zur heutigen digitalen Revolution und dem Handel mit E-Books.

Daneben schenkt der Verfasser dem Plagiat, dem geistigen oder gelehrten Diebstahl, zwischendurch immer wieder seine Aufmerksamkeit und zeigt, dass schon in der Antike um geistiges Eigentum gestritten wurde. Urheberrecht kannte man lange nicht. Im alten Griechenland galten die Künstler noch nicht einmal als Schöpfer ihrer Werke, sondern als auserwählte Sprachrohre der Götter.

Einerlei wel ches Thema und welche Epoche hier behandelt wird, alles wird farbig ausgemalt, und gerade Bücherliebhaber, die sich ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen können, dürften es spannend und faszinierend finden, Bluhms Ausführungen zu folgen. Allerdings fragt man sich, wie zuverlässig die hier angeführten Daten wohl sein mögen, wenn man liest, dass der Autor die Pogromnacht des Jahres 1938 auf den 9. bis 10. Dezember 1938 verlegt. Hat das Lektorat geschlafen oder hat gar keins existiert? Schließlich handelt es sich hierbei um ein Datum, das mittlerweile jedes Schulkind kennt.

Zu guter Letzt macht sich Detlef Bluhm Gedanken über die Zukunft der Buchkultur und fragt sich, wie die Digitalisierung – für viele ein Faszinosum – unsere Welt und unser Leseverhalten verändern wird. Wie steht es mit der Zukunft des Buches? Hierüber lässt uns der Autor im Unklaren, mehr sorgt er sich um das Urheberrecht, um den Schutz des geistigen Eigentums. Wie dem auch sei, dafür mögen die Juristen sorgen, wir aber trösten uns mit Robert Gernhardt, der schon vor Jahren gedichtet hat:

„Ums Buch ist mir nicht bange,
Das Buch hält sich noch lange.
Man kann es bei sich tragen
und überall aufschlagen.
Sofort und ohne Warten
kann dann das Lesen starten.
Im Sitzen, Liegen, Knien
ganz ohne Batterien….“

Titelbild

Detlef Bluhm: Von Autoren, Büchern und Piraten. Kleine Geschichte der Buchkultur.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2009.
270 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783538072855

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