Die schreckliche Frau B.

Corinna Schlicht hat einen Band mit Beiträgen zu den Genderstudies in den Geisteswissenschaften herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den deutschsprachigen Gender Studies wird gelegentlich noch immer mancher Unsinn über Judith Butlers Theorien verzapft. Meist von ihren GegnerInnen. Für ihr Ansehen und auch für die Rezeption ihrer Thesen und Theoreme abträglicher aber ist es, wenn er aus den Federn ihrer AdeptInnen fließt.

Gaja von Sychowski, die sich einer „multiperspektivisch plural aufgestellte[n] ForscherInnengruppe“ zurechnet, ist eine solche und beklagt, dass die berühmte Gendertheoretikerin, mit deren Hilfe es „eine andere, alternative Gesellschaftlichkeit herauszuperformieren“ gelte, vielen „ein Dorn im Auge“ sei. Letzteres ist keine bahnbrechende Beobachtung und trifft zweifellos nicht nur für die erziehungswissenschaftlichen Kreise zu, auf die sich Sychowskis Bemerkung bezieht. Daher bedürfte sie auch keines Beleges durch eine Quelle. Die aber scheint eine Fußnote zu versprechen. Doch was ist in ihr zu lesen? Nichts weiter als die persönliche Mitteilung, dass „man etwa hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand von ihr als ‚der schrecklichen Frau aus Amerika [spricht], Sie wissen schon, die mit ‚B‘“.

Das ist nun allerdings wahrhaftig kein Quellenbeleg und einer sich doch wohl als wissenschaftlich verstehenden Arbeit unwürdig. Ebenso, dass Sychowski ihre Wertung, die Butler gewidmete Seite von Wikipedia sei „empfehlenswert“, damit begründet, dass „Studierende die Seite realistischerweise ohnehin aufrufen“. Zudem zeichne sie sich gegenüber den Einführungen von Paula-Irene Villa und Hannelore Bublitz durch ein „Alleinstellungsmerkmal“ aus. Nun rufen Studierende allerlei dämliche Seiten auf und zitieren sie viel zu oft unhinterfragt als autoritative Quellen. Dass sie Wikipedia ohnedies benutzten, ist also schon einmal ein ganz schlechter Grund. Und auch ein Alleinstellungsmerkmal ist noch lange keine Empfehlung. Denn dieses kann ja gerade darin bestehen, dass besonderer Nonsens auf der Seite steht, was bei Wikipedia, diesem Sammelsurium aus zutreffenden Informationen, Belanglosigkeiten, Irrtümern und bewussten Irreführungen, deren Inhalte und Zusammensetzungen sich minütlich ändern (können), ja bekanntlich nicht ganz abwegig ist.

Das von der Autorin genannte Alleinstellungsmerkmal, die Darstellung von Butlers „Anecken in der Frage Israel und der Burka“, ist seit der 2010 (also erst nach der Publikation von Sychowskis Text) erschienenen 3. vollständig überarbeiteten Auflage von Bublitz’ Einführung und derjenigen von Lars Distelhorst von 2009 zudem nicht einmal mehr eines.

Bedenklicher noch als derlei ist aber, was die Autorin über Butler und deren Theorien schreibt. Um darauf zu sprechen zukommen, muss allerdings zunächst einmal auf Immanuel Kant zurück gegangen werden. Anhand seines berühmten Fragenkatalogs „Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“, „Was darf ich hoffen?“ und „Was ist der Mensch?“ möchte Sychowski Butlers Werk erläutern. Doch schon bei der ersten Frage gerät sie ins Straucheln, wenn sie meint, diese betreffe „das Verhältnis des Einzelnen zu den Gegenständen der Welt.“ Jedenfalls aber wandelt Sychowski die Fragen in „vier Dimensionen“ um – die „Sachdimension“, die „Gemeinschaftsdimension“, die „Gesellschaftsdimension“ und die „anthropologische Dimension“ –, die wiederum gemeinsam auf eine fünfte – die „Selbstdimension“ – verweisen sollen. Was nun Butler selbst betrifft, so meint die Autorin etwa, „Materialität ist für sie nicht real, sondern im Handeln erzeugt.“

Das allerdings ist gleich in doppelter Hinsicht falsch. Zum einen ist etwas durch Handeln Erzeugtes nicht (notwendig) unreal, zum andern ist das auch gar nicht Butlers Position. Auch gibt die Behauptung, „Subversion“ sehe Butler „durch die bloße Wiederholungsnotwendigkeit gegeben“, deren Subversionsstrategie keineswegs korrekt wieder. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zwar ein ebenso hehres wie begrüßenswertes Anliegen ist, wenn Sychowski „eine systematische Grundlegung von Pädagogik nach Butler“ anstrebt. So allerdings wird das kaum gelingen können. Vielmehr sind ihre Ausführungen eher dazu angetan, die Ablehnung der Theoreme Butlers zu fördern.

Aufgenommen wurde Sychowskis Text in einen von Corinna Schlicht herausgegebenen Sammelband, der Beiträge aus den Literatur-, Film- und Sprachwissenschaften zu den „Genderstudies in den Geisteswissenschaften“ enthält. Der Band geht auf ein an der Universität Duisburg 2007 und 2008 während zweier Semester durchgeführtes Programm zur „Absolventinnenförderung des Fachbereichs Geisteswissenschaften“ zurück, „das sich den Bereichen Frauenförderung, Genderkompetenz und deren wissenschaftlicher Reflexion“ widmete. Beschlossen wurde das Unternehmen im Frühsommer 2008 mit einer Tagung, deren Erträge der vorliegende Band nun präsentiert. Zusätzlich enthält er einen überarbeiteten Auszug aus der jüngst fertig gestellten Magistraarbeit von Vanessa Laskowski.

An solche Qualifikationsarbeiten sollte man nun nicht die allerhöchsten wissenschaftlichen Kriterien anlegen. Eine Publikation bedarf allerdings schon eine inhaltliche Rechtfertigung. Die allerdings bieten Argumentation und Ertrag des Beitrags nur in Maßen. Laskowski widmet sich einer „literarische[n] Figur“, „die bisher irgendwo in einer Art Grauzone zwischen archaischem Männerbild und neuem Feminismus existiert und irgendwie nicht klein zu kriegen ist: Don Juan, der Verführer schlechthin.“

Ihm widmet sich die Autorin nun „im Spiegel der Literatur in Zeiten von Viagra, sexueller Befreiung und Emanzipation“. Dabei erklärt sie gleich zu Beginn, dass eine „eindeutige Beantwortung“ der Frage, wie es „um die gesellschaftlichen Idealvorstellungen von Männern, Frauen und die ‚Eroberung‘ eines Sexualpartners“ bestellt ist, von ihr nicht erwartet werden dürfte. Denn ein solcher Versuch „käme der Begehung eines Minenfelds im Kreuzzug der Aufklärung und Emanzipation gleich“. Zu den literarischen Erzeugnissen, die ihr besonders am Herzen liegen, zählt das Werk einer Autorin, die Laskowski zu „eine[r] Vertreterin“ des „sexuelle[n] Feminismus“ hochlobt. Denn „[m]it ihrem 2008 erschienen Roman ‚Feuchtgebiete’“ habe Charlotte Roche „weibliche Emanzipationsbemühungen vom Etikett staubtrockner, männer- und lustfeindlicher Gleichberechtigungsparolen [befreit]“. Eine diffamierende Charakterisierung der Emanzipationsbestrebungen früherer beziehungsweise älterer Feministinnen, die vor allem von Laskowskis mangelhaften Kenntnissen der Geschichte der Frauenbewegung zeugt. Zudem ist „Charlotte Roches kühne Behauptung, dass ‚auch Frauen ein Interesse an harter, ehrlicher Sexualität‘ haben“, keineswegs so neu und kühn wie die Autorin glaubt. Man erinnere sich etwa nur an die Lesben-Punkband „Tribe 8“ und deren immerhin anderthalb Jahrzehnte altes Album „Fist City“. „Ich habe viel richtig ruppigen Sex, den ich für normal halte“, bekannte deren Sängerin Lynn Breedlove ungefähr zur gleichen Zeit in einem (in dem Band „Angry Women. Die weibliche Seite der Avantgarde“ nachzulesenden) Interview und wirkte dabei weit authentischer als Roche in dem von Laskowski zitierten Gespräch mit Thea Dorn. Und im übrigen fügt Breedlove hinzu, dass sie „mit Schmusesex […] genauso glücklich“ sein kann.

Derya Gür und Julia Wrede berichten über eine interessante Beobachtung und konstatieren, dass Barak Obama im Vorwahlkampf als Frau „performiert“ und „somit konträr zur Performanz seiner weiblichen Herausforderin Hillary Clinton [steht], die zu Beginn des Vorwahlkampfes als Mann performiert“.

In weiteren Beiträgen stellt Aurora Distefane „Überlegungen zur Identiätsproblematik in Terézia Moras Roman ‚Alle Tage‘“ an, Heike Klippel wagt einen Blick in „[d]ie Wiege des Bösen“ und befasst sich mit „Horror und Reproduktion“, die Herausgeberin geht „Androgynie als Aussteiger-Motiv in der Filmwelt Tom Tykwers“ nach und Ellen Reinhard-Becker stiftet dem Band, wie sie sagt, den „Wiederabdruck eines leicht veränderten Kapitels“ aus ihrem Buch „Seelenbund oder Partnerschaft“. Vermutlich handelt es sich jedoch um den leicht veränderten Wiederabdruck eines Kapitels aus besagtem Werk. Sonja Hilziger wiederum ehrt eine Jubilarin. Von dem etwas hagiografischen Tenor, mit dem sie ihren anlässlich des 100. Geburtstags von Margarete Steffin geschriebenen Beitrag eröffnet, indem sie berichtet, dass „[d]ie literaturbegeisterte Margarete mit den wachen blauen Augen“ nicht nur „aus einer Berliner Arbeiterfamilie“ stammt, sondern schon als „junge Kommunistin mit der Leidenschaft für Literatur, Theater und Film […] selbst eine sprachbegabte Autorin“ war, kann sie während des gesamten Textes nicht recht lassen.

Renate Kroll, Herausgeberin des nach wie vor konsultierenswerten „Metzler Lexikons Gender Studies“, verteidigt in ihrem Beitrag „Autorin, weibliche Autorschaft, Frauenliteratur“ den seit längerem von der feministischen und gender-theoretisch aufgeklärten Literaturwissenschaft verworfenen Begriff „Frauenliteratur“. Das ist schon überraschend genug und alleine darum der Lektüre wert. Trotz ihres sicherlich nicht unstrittigen Plädoyers für die Beibehaltung beziehungsweise Wiederaufnahme des Begriffs zählt ihr Text zu den besten Beiträgen des Bandes. Doch selbst diese versierte Wissenschaftlerin neigt diesmal zu nachlässigen Formulierungen und schreibt, die Frau bliebe nach Freud „ein unvollkommenes Wesen, das an einem Mangel, dem sogenannten Penisneid, leidet.“

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Corinna Schlicht (Hg.): Genderstudies in den Geisteswissenschaften. Beiträge aus den Literatur-, Film- und Sprachwissenschaften.
Universitätsverlag Rhein-Ruhr, Duisburg 2010.
157 Seiten, 25,90 EUR.
ISBN-13: 9783940251701

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