Ein radikaler Christ, der niemals konform war.

Über das Reinhold Schneider-Lesebuch von Michael Albus

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende seines luziden Vorworts im Reinhold-Schneider-Lesebuch „Texte eines radikalen Christen“ verweist Wolfgang Frühwald auf die Gedenktafel, die für den 1958 verstorbenen Dichter an dessen Freiburger Wohnhaus in der Mercystraße angebracht wurde. Mit den Zeilen „Der Wahrheit Stimme wird an die Herzen dringen / Und wirken wird das Wort nur, das gelebt“ wird dort an den vielfach ausgezeichneten Schriftsteller erinnert, der unter anderem 1956 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Obwohl seine Texte, vor allem seine Sonette, von einem eher querstehenden Anachronismus geprägt waren, erfuhr Schneider ab Ende der 1940er- und in den 1950er-Jahren große Ehrungen und galt als „Gewissen der Nation“. Es waren und sind bis heute eher theologische Gesichtspunkte, die die Rezeption des umfangreichen Werks steuern. Eine breitere literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung fehlt denn auch weitgehend bis heute, zumal, wie Albus in seinem Geleitwort eingesteht, „sein großes Werk fast ganz vergessen“ ist.

Und doch ist Reinhold Schneider, wie sein Bruder im Geiste, der Büchner-Preisträger Arnold Stadler in seinem eindringlichen Nachwort in dem von Michael Albus herausgegebenen Schneider-Lesebuch festhält, modern und unzeitgemäß: „Er war niemals mainstreamkonform und lebte fern von den Ideologien, deren Folgen auch er auszuhalten hatte – fertig wurde er mit ihnen nicht. Und lebte eine Distanz, die Klarheit schafft. Daher können wir auch heute etwas von ihm haben.“

So sind es Zeilen wie diese, die einem angesichts der aktuellen Vertrauenskrise der Kirche(n), vor allem der katholischen Kirche, in den Sinn kommen mögen. „Es ist ein Wort“, heißt es in dem gleichnamigen Gedicht, „du kannst ihm nicht entrinnen: / Du mußt es tun, doch ist das Tun der Tod. / Es ist die Not weit über aller Not, / Von innen unbeirrbar zu beginnen. / So ist des Lebens ganzes Leben Innen, / Wo des Gewissens unversehrt Gebot / Die Welt bewacht und tod- und schmachbedroht / Das Letzte schützt, um alles zu gewinnen.“

Das zu des Dichters 50. Todestag von der Reinhold-Schneider-Gesellschaft initiierte Lesebuch ermöglicht einen ersten Überblick über die verschiedenen Facetten eines breiten und sperrigen Werks. Versammelt sind darin Betrachtungen und Essays, wie etwa den über den „Selbstmord“, der mit dem eindeutigen Urteil endet: „Der Selbstmord ist das sichere Zeichen der Verwirrung aller Ordnungen, die Sünde, die Empörung selbst. Mit dem Heiligen von Assisi dürfen wir den Tod grüßen als unseren ‚Bruder‘ und die Schmerzen als ‚Schwestern‘. Der Tod, in den wir uns ergeben in Christi Namen, wird uns retten, uns alle vereinen für immer.“

Wieder abgedruckt sind auch Essays über den „Frieden der Welt“, worin es unter anderem heißt: „Friede als solcher ist nicht der höchste Wert; sittlich-personale, religiöse Werte sind ihm übergeordnet. Friede aber als geschichtliche Darstellung glaubensstarker Liebe zu Gott, der Menschheit und aller Kreatur könnte wohl der höchste Wert sein.“

Daneben gibt es biografische Skizzen etwa zu Pascal, zu Elisabeth von Thüringen oder zu Raimundus Lullus, den „Mystiker von Palma“, über „Das Gewissen von Erasmus“ oder auch die Erzählung „Die Monde des Jupiter. Galilei“ aus dem Erzählband „Der Befehl“, die Galileis Ringen mit sich, seiner Verpflichtung seiner Familie gegenüber und den Vertretern der Kirche thematisiert. Fehlen darf in diesem Lesebuch natürlich auch nicht ein Auszug aus „Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeit“, jenes 1938 erschienene „zutiefst mitleidendes Segenszeichen über die Toten der europäischen Geschichte“, wie Wolfgang Frühwald bemerkt.

Immer wieder sind es Fragen des Glaubens, die die Texte Schneiders prägen, besonders auch die die Prosatexte in diesem Band rahmende Lyrik, etwa in dem Gedicht „Der Glaubenden“, in dem es heißt: „Du gibst für deinen Glauben gern das Wissen, / Und treu dem Dienst, den du erwählt, geweiht, / Hälst du die Hand aus, wenn dein Feld verschneit. / Und glaubst an vieles noch, das schon zerschlissen. / Auch ich will glauben, wo du glaubst; es kann / Dies Wirrsal so nicht, ohne Hoffnung enden. / Ein Leben nicht sich selber nur verbrauchen.“

Zentral ist für Schneider jedoch stets jene in der Betrachtung „Das Gewissen des Erasmus“ formulierte Erkenntnis: „,Das Beste am Christentum ist ein christuswürdiges Leben‘. Die Forderung nach einem solchen Leben ist die dringendste des christlichen Gewissens“.

Auch insofern lohnt es sich gerade in der aktuellen Situation, Texte dieses „radikalen Christen“ wieder vorzunehmen. Besonders dann, wenn man sich Joseph Ratzingers Sicht aus den 70er-Jahren am Beispiel von Reinhold Schneiders „Las Casas“-Buch vergegenwärtigt, die Frühwald in seinem Vorwort zitiert: „Und dies, so meine ich, gehört zur eigentlichen Größe des christlichen Glaubens: dass er dem Gewissen eine Stimme zu geben vermag. Dass er sich unerbittlich gegen die Welt stellt, die die Gläubigen sich selbst eingerichtet und mit dem Glauben begründet haben. Dass ihm das prophetische Nein innewohnt.“

Titelbild

Michael Albus (Hg.) / Reinhold Schneider: Texte eines radikalen Christen.
Mit einem Vorwort von Wolfgang Frühwald und einem Nachwort von Arnold Stadler.
Herder Verlag, Freiburg 2008.
366 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783451231193

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