Tennins spielen ohne Netz

Zu den Erscheinungsformen des Sonetts

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, / Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben" - mit diesen Zeilen bekundete Goethe bekanntlich seine Bekehrung zur Sonettform, die er vordem noch, freilich durch ein Sonett, verspottet hatte. Welche Freiheiten das Sonett trotz seiner strengen Formvorgaben dem Dichter tatsächlich über die Jahrhunderte hinweg gewährte und noch gewährt, belegt der von der Mannheimer Forschungsstelle für Europäische Lyrik herausgegebene Band "Erscheinungsformen des Sonetts". In gewohnter Qualität (man denke nur an die wichtige Mannheimer Publikation über "Homoerotische Lyrik") wird die Sonett-Kunst von der Stauferzeit bis in die Gegenwart hinein verfolgt. Den einführenden Beiträgen von Stefan Horlacher und Theo Stemmler folgen in dem Band Auseinandersetzungen mit höfischen Sonettformen und spanischen Renaissance-Sonetten, mit den Sonetten der Tudorzeit und der "Zersingung der Erotik in englischsprachigen Sonetten des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts". Nach einer Analyse des in Amerika ausgetragenen Sonett-Streits, in dessen Verlauf Robert Frost behauptete, daß Dichten in freien Versen wie Tennis spielen ohne Netz sei, wird der Leser über die "Wiedergeburt des Sonetts" bei Bürger, A. W. Schlegel und Goethe sowie über das Brechtsche Sonett belehrt. Auch wenn der Band mit einem Aufsatz über das deutschsprachige Sonett der Gegenwart sinnvoll abgerundet wird, wünschte man sich mehr: so etwa einen Mannheimer Blick in die Sonettkunst Rilkes. Doch wer Europa will, kann nicht alles haben.

Titelbild

Theo Stemmler / Stefan Horlacher (Hg.): Erscheinungsformen des Sonetts. 10. Kolloquim der Forschungsstelle für europäische Lyrik.
Gunter Narr Verlag, Tübingen 1999.
309 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3823341553

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