Schönes Buch zum industriellen Heerlager
Heinrich Hausers grandiose Ruhrgebietsreportage „Schwarzes Revier“ ist in einer bibliophilen Neuausgabe erschienen
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Werk Heinrich Hausers gehört zu den umstrittenen der späten Weimarer Republik. Die literarische Karriere des jungen, 1901 in Berlin geborenen und 1955 in Dießen am Ammersee gestorbenen Autors begann bereits in den 1920er-Jahren. Sie bekam aber mit seiner ersten als Buch erschienenen Reportage „Schwarzes Revier“ (1930) ihr besonderes Profil. Denn Hauser bewegte sich mit seinem Text nicht nur in eines der Zentren der industriellen und damit gesellschaftlichen Modernisierung in Deutschland. Er schloss mit dem nun im Bonner Weidle Verlag neu herausgegebenen Band auch an jene Kunst- und Kulturströmung an, die für die Jahre der ersten deutschen Republik als repräsentativ gilt: die Neue Sachlichkeit. Und er gestaltete ein Genre mit, das gerade in jenen Jahren mit den damals neuen Medien entwickelt wurde: die Fotoreportage.
Gerade mit seinen Fotoreportagen aber geriet Hauser zwischen die politischen und publizistischen Fronten seiner Zeit ebenso wie in die Auseinandersetzungen, die die Literaturwissenschaft seit den 1970er-Jahren prägten.
Neue Sachlichkeit, das war den Literaturwissenschaftlern nach 1968 vor allem jene unentschiedene Haltung, die sich der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht in den Weg stellte. Walter Benjamin hat dieser Denkform bereits die Stichworte geliefert und die „Linke Melancholie“ der vornehmsten Repräsentanten der Neuen Sachlichkeit vehement verurteilt. Nun war die Neue Sachlichkeit aber keineswegs nur die Sache jenes linksliberalen Milieus, zu dem Erich Kästner oder Kurt Tucholsky gezählt werden. Beide attackierte Benjamin seinerzeit vehement. Stilistisch prägte die Neue Sachlichkeit die gesamte Reportage der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre, unabhängig von der politischen Ausrichtung der Autoren und auch vom genutzten Medium.
Denn Hauser hat, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen, seine Reportage nicht nur geschrieben, sondern auch fotografiert. Und Hauser ist als Linksliberaler nicht vorstellbar. Sein 1934 erschienener Roman „Kampf“ (über dessen autobiografische Qualitäten man nicht streiten kann, so sehr richtet er seine Biografie auf die Kompatibilität mit dem NS-Regime aus) belegt das deutlich. Selbst seine spätere Abwendung vom Nationalsozialismus führte ihn nicht gerade auf die andere Seite des politischen Spektrums.
Dennoch ist Hauser keiner jener ideologischen und kulturellen Wegbereiter des Nationalsozialismus, als den ihn die Ideologiekritik sah. Dazu war er zu unentschieden und dazu war er auch viel zu wenig an parteipolitischen Positionierungen interessiert. Seine Interessen lagen woanders, und gerade seine Ruhrgebietsreportage zeigt das in besonderem Maße.
Mit diesem Buch beginnen Hausers große Reisen, die ihn in die USA, nach Südosteuropa, nach Ostpreußen, auf die Straße, aufs Meer und in die Luft führen. Große Reportagen sind dabei entstanden, deren Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Sein Verlag für die wichtigsten dieser Reportagebände war S. Fischer, der ihm auch den Auftrag zu „Schwarzes Revier“ gegeben haben soll.
Ein merkwürdiger Umstand, war Hauser doch als Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung“ und als Verfasser zweier Romane kein unerfahrener Autor, als Fotograf war er hingegen nicht ausgewiesen. Das hat den Technik-Enthusiasten Hauser nicht davon abhalten können, das Wagnis einzugehen – und er nennt dieses Buch ausdrücklich ein Experiment.
Was es wohl tatsächlich war. Denn die außergewöhnlich schöne Ausstattung, die S. Fischer Hausers Ruhrgebietsreportage gönnte (die Neuausgabe gibt den sehenswerten Umschlag der Erstausgabe wieder), überdeckt ein wenig, dass Hauser in diesem Band noch seinen Stil und seinen Zugriff suchte, dass ihm auch die Fotoreportage als Form noch fremd war – vom Gegenstand seiner Reise einmal abgesehen, den er bereits vorher kennen gelernt hatte.
Der Text ist nicht durchgängig geschrieben, sondern wirkt montiert und grob gefügt. Die drei Kapitel, in denen er seine früheren Ruhrgebietserfahrungen auszuschreiben scheint, unterscheiden sich deutlich von den Passagen, die auf die eigentliche Reportagereise zurückgehen. Die starke Fokussierung auf die Kruppwerke, die große Teile der Reportage zeigen, macht den Umfang seiner Reise durchs Ruhrgebiet, bei der er angeblich 6.000 km gefahren sein will, wenig wahrscheinlich.
Wie sehr Hauser für die Ruhrgebietsreportage noch auf der Suche war, zeigt seine wenig später erschienene USA-Reportage „Feldwege nach Chicago“, der Band, der später für Hausers Fassung des Sündenfalls vor dem kapitalistischen System stehen würde. Hier kam Hauser als Autor zur geschlossenen Reportage, zu jenem professionellen Such- und Bewegungs-, Beschreibungs- und Reflexionsgestus, der die Fotoreportage der Folgejahre bestimmen und der das beobachtende Subjekt als Aufnahmeapparatur inszenieren würde.
Auch in der Fotografie zeigt sich Hausers Unsicherheit, die aber weniger von seiner mangelnden Erfahrung als Fotograf bestimmt ist, was die angemessene Form angeht, als vom Gegenstand Ruhrgebiet.
Hauser ist wie andere zeitgenössische, auch eben professionelle Fotografen von der industriellen Rhythmik des Ruhrgebiets fasziniert. Er sucht nach Strukturen, die fotografisch festgehalten werden sollen, nach dem ausbalancierten Verhältnis von Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit, von Ordnung und Chaos, von Mensch und Industrie. Der Vergleich mit dem „klassischen“ Walker Evans der 1930er-Jahre ist deshalb vielleicht wohlfeil, verfehlt aber das Spezifische in Hausers fotografischem Werk.
Text und Fotografie zeigen sein spannungsreiches Verhältnis zum Ruhrgebiet. Dieses Areal ist ihm suspekt, möglicherweise – wenn man es mit Küchenpsychologie versucht – weil es nicht weniger Unbehaustheit signalisiert als seine eigene Biografie. In der nomadischen Struktur des Ruhrgebiets, in seiner Vorläufigkeit sieht Hauser wenigstens das Besondere dieser industriellen Ausnahmezone, die eine so große Anziehungskraft auf die Menschen besitzt. Das Ruhrgebiet beginnt nicht mit seinen Gebäuden, sondern mit der Bewegung der Arbeiter, die sich auf dessen Zentrum hinbewegen.
Ohne Hauser und dieses Buch also größer zu machen als sie sind, liegt die Qualität dieser Annäherung und Durchquerung des Ruhrgebiets gerade in den Unfertigkeiten, die Text und Fotografie aufweisen und von denen man nicht immer sagen kann, ob sie absichtlich eingesetzt werden oder aus der Not des Auftrags entstehen: Unschärfen etwa als Stilmittel oder Resultat der eingesetzten Kamera, der schlechten Lichterverhältnisse oder der mangelnden Erfahrung? Neues Sehen oder mangelnde Technik? Wer will das entscheiden.
Darauf kommt es aber eben nicht an. Der Umstand, dass Hauser im guten Sinne ein Dilettant war, eröffnete ihm Möglichkeiten, die den professionellen Fotografen und Autoren verschlossen blieben. Kischs Reportagen schlagen Hausers stilistisch und in der organisatorischen Qualität um Längen. Dennoch kann Hauser neben Kisch bestehen, eben weil er noch nach seiner Form sucht, weil er die Technik noch unvollkommen zu beherrschen scheint, weil er nicht alles, was er beobachtet, gleich korrekt einzuordnen weiß. Hausers Reportage lebt von ihrer Offenheit, ihrer Unentschiedenheit und ihren Unfertigkeiten – das macht ihre Qualität aus und verweist auf ihre erkenntnisleitenden Potenziale.
Davon können sich nun auch Leser überzeugen, die sich keines der mittlerweile einigermaßen hoch gehandelten Exemplare der Erstausgabe leisten wollen. Der Bonner Weidle Verlag hat „Schwarzes Revier“ in einer wunderschönen Neuausgabe vorgelegt und gleich eine ganze Reihe von Fotos der Ruhrgebietsreportage dazu gepackt, soweit sich deren Negative erhalten hatten. Eine Ausstellung im RuhrMuseum, Zeche Zollverein, Essen, zeigt die Fotografien bis Mitte Februar 2011.
Der Text der Ausgabe wurde neu gesetzt (Weidle arbeitete erneut mit Friedrich Forssman zusammen), die Fotoseiten, die der Erstausgabe im Tiefdruck beigegeben worden waren, sind abfotografiert und im Text als Schmuck an jenen Stellen platziert worden, an denen sie auch im Original stehen. Das Ganze ist hübsch anzusehen, vielleicht ein wenig zu hübsch und dekorativ, aber wem die authentische Aufmachung fehlt, den kann man auf die dem Text nachgestellten und für die Ausstellung neu abgezogenen Fotografien verweisen. Ein begeistertes Nachwort von Andreas Rossmann begleitet die Edition, die ja weniger die wissenschaftliche Diskussion über Hauser neu eröffnen, sondern mehr den Klassiker der Ruhrgebietsreportage feiern soll. Und seit wann dürfen interessante Bücher nicht auch schön sein?
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