Adel als kulturelles Konzept – Jochen Strobel hat eine „Kulturpoetik des Adels in der Romantik“ geschrieben
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWenn ein Literaturwissenschaftler über den Adel schreibt, ist das so ungewöhnlich, dass es vorab einer Erläuterung bedarf. Jochen Strobel möchte in seiner „Kulturpoetik des Adels in der Romantik“ zeigen, dass ‚Adel‘ in den Texten der Romantiker mehr ist als ein beliebiges Motiv, welches allein auf die zeitgenössische empirische, also ständestaatliche Wirklichkeit zu beziehen wäre und einmal mehr für das Konservative bis Reaktionäre der Romantik spräche. Es geht ihm um eine Verbindung von Historischer Semantik, einer am New Historicism orientierten Text-Kontext-Analyse und traditioneller Hermeneutik. Dennoch stehen meist kanonische literarische Texte im Mittelpunkt der Überlegungen. In diesen Texten sollen semantische Merkmale aufgespürt werden, die dem kulturellen Konzept ‚Adel‘ immer wieder zugeschrieben werden. Strobels Aufmerksamkeit gehört dann aber dem selbstreferentiellen, dem poetologischen Potential dieser Texte, die der Semantik des Adels mehr abgewinnen als einen mehr oder weniger beliebigen Bezug auf die zeitgenössische Empirie. Etwas anderes sind die Lebensläufe, die ‚sozialen Laufbahnen‘ einiger Autoren der Romantik selbst, die ihre aristokratische Herkunft niemals preisgeben geschweige denn verleugnen oder die in enger Verbindung zu Adeligen ihrer Zeit stehen. Beide Phänomene, die Präsenz des Adels in den Texten und die in den Biografien, sind für die Zeit nach der Französischen Revolution denn doch erklärungsbedürftig. Die germanistische Forschung hat sich jahrzehntelang so gut wie überhaupt nicht mit diesen Phänomenen befasst oder sie als Verbürgerlichungserscheinungen marginalisiert.
‚Adel‘ als begriffsgeschichtlich fassbares kulturelles Konzept gehört zu jenen gern totgesagten, immer wieder von jeglicher Innovativität, von jeglichem Revolutionären oder gar Avantgardistischen frei gesprochenen historischen Erscheinungen. Seit zwei Jahrhunderten zählt er in einer Welt, in der Originalität und Revolutionarität gefordert werden, zum scheinbar unbrauchbaren Veralteten, ein Kuriosum, das höchstens noch eine hinterste Nische im kulturellen Gedächtnis für sich beanspruchen darf. Künste und Wissenschaften, deren Bewertungsmaßstab das Neue ist, werden zwangsläufig Beharrungskräfte marginalisieren, auch wenn auf den zweiten Blick ersichtlich wäre, dass diese zu ihrer Selbstbehauptung Allianzen mit „dem Neuen“ eingehen müssen. 1789 begann die lange, bis heute andauernde Spät- und Nachgeschichte des europäischen Adels – zugleich aber eine lange Zeit der Neusemantisierung, also etwa der verstärkten Metaphorisierung wie auch des schleichenden Abbaus der gesamtgesellschaftlichen Bedeutsamkeit – ein ‚Untergang‘ des Adels als einer lange Zeit schon lebendigen symbolischen Konstante und zugleich doch auch seine Neuerfindung in der Schrift oder in der gelebten Praxis des Gedenkens.
Die Semantik des Adels in der Zeit der Romantik wird in einer Kulturpoetik untersucht, welche den wichtigsten semantischen Merkmalen zunächst in literarischen Texten nachgeht und diese, so weit es eben geht, durch Kontextualisierungen stützt. Damit sind kulturwissenschaftliche Auspizien benannt, obgleich der Boden der Literaturwissenschaft nicht verlassen werden soll. Für eine umfassende Kulturgeschichte des Aristokratischen um 1800 auch im weiteren, nämlich: in einem metaphorischen, Sinn fehlen die begriffsgeschichtlichen Vorarbeiten. Allerdings leistet dieses Buch einen Beitrag hierzu.
Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.
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