Erzählungen zwischen Begehren und Scheitern
Julia Francks neues Buch "Bauchlandung"
Von Kristina Stockmann
Besprochene Bücher / Literaturhinweise,,Ich möchte Geschichten schreiben, bei denen die Leser vergessen können, dass sie lesen, weil sie so sehr in und mit der Geschichte der Protagonistin denken."
Die Berliner Autorin Julia Franck debütierte 1997 mit dem Roman ,,Der neue Koch" und erfüllte mit ihrer zweiten Veröffentlichung ,,Liebediener", die im letzten Jahr von der "Süddeutschen Zeitung" als ,,die Liebesgeschichte der neunziger Jahre" gefeiert wurde, die in sie gesetzten Hoffnungen. Neben Sybille Berg, Judith Hermann und Maike Wetzel zählt die 30-jährige zu den Autorinnen, die das Lebensgefühl der jungen Generation ausdrücken. Um es vorwegzunehmen, Julia Franck gelingt dies auf unprätentiöse Weise mit ausgesprochen subtiler psychologischer Abstraktionsfähigkeit.
Ihr soeben erschienenes Buch ,,Bauchlandung", das sich durch thematische und stilistische Komplexität auszeichnet, sammelt Begegnungsgeschichten im Großstadtambiente Berlins. Aus weiblicher Perspektive - zweimal sind es Kinder -, werden soziale Beziehungen unterschiedlichsten Räumen zugeordnet, Situationen im Zug, im Strandbad, in der Anonymität eines Hochhauses, wo sich Nachbarn nicht mehr grüßen, weil es als Eindringen in die Privatsphäre aufgefasst würde. Verwandtschaftliche, gegengeschlechtliche und freundschaftliche Konstellationen werden in ihren Abgründen von der Autorin analysiert.
Wie bereits in ,,Liebediener" bewegen sich die Geschichten zwischen Eros und Thanatos, erzählen mal lust- und mal leidvoll von der Unmöglichkeit menschlicher Nähe, von Sehnsüchten und der Unerfüllbarkeit ihrer Einlösung. Sie beginnen im Kopf und enden mit einer Bauchlandung: meist durch Konfrontation mit der frustrierenden Realität, mal durch den realen oder gewünschten Tod eines Protagonisten, dann wieder durch das plötzliche Auftauchen einer dritten Person. In einem nahezu kriminalistisch eingefädelten Geschehen ist die Komposition der Erzählungen durch eine konsequente Dialektik von Anziehung und Abstoßung, dem Aufbau von Sehnsüchten und ihrer sukzessiven Demontage bestimmt. Auf ihrem Höhepunkt nehmen die Texte eine unerwartete Wendung: Das Ehedrama im Zug entpuppt sich als Schauspielerprobe, der scheinbar farblose Nachbar wird bei sadomasochistischen Sexualpraktiken beobachtet, der eitle Strandbad-Adonis offenbart sich als schlaffer Liebhaber und Muttersöhnchen. In der Erzählung ,,Das Strandbad" wird das Kondom - von der Frau in Kinderschokoladenpapier zur Entsorgung eingewickelt - zum Symbol für die Infantilität des Mannes.
In Julia Francks Stil hat nichts Zufälliges Platz, er ist von analytischem Scharfsinn geprägt und doch so leicht und scheinbar beiläufig wie die Gefühle, die heute zeitgeistgemäß die Kurzlebigkeit des Augenblicks bestimmen und ,,mir nichts, dir nichts" wechseln. Der assoziative, spöttisch-ironische Gestus ihrer Sprache, der ihre Sätze scheinbar wie von selbst gebiert, nimmt den Leser mit, ohne ihn in einen Bann zu legen. Die Autorin führt durch Zustände und Bilder, jedoch mit einer Distanz, die Freiräume für den Leser lässt. Sie verfährt entsprechend variantenreich: sarkastisch-ironisch in ,,Das Strandbad", makaber in ,,Schmeckt es euch nicht", frivol-erotisch in der ersten Erzählung, mitleidlos und analytisch sezierend in ,,Mir nichts, dir nichts".
"Bauchlandung" ist ein Frauenbuch, ohne aber gängige Klischeebilder der Frauenliteratur zu erfüllen. Die Protagonistinnen werden in einer Vielzahl weiblicher Lebenswelten vorgestellt: Als Single, alleinerziehende oder verheiratete Mutter, Nonne und gescheiterte Studentin. Eine geschlechtsspezifische Wertung, wie: ,,Frau gut, Mann böse" findet nicht statt. Von der Zeitgeistkrankheit, der ,,Unfähigkeit zu lieben", sind beide Geschlechter befallen. Die Frauen agieren bis auf eine Ausnahme offensiv und selbstbewusst. Weit entfernt von der masochistischen Opferrolle nehmen sie sich in sexueller Hinsicht, was sie wollen und werden dabei oft gleichermaßen korrumpiert gezeichnet wie die Männer. Zwischen der Unmöglichkeit menschlicher Beziehungen in emotionaler Hinsicht siedelt Julia Franck das Erotische an, ja stellt es sogar in einen inhärenten Zusammenhang zur Abwesenheit von Gefühlen: ,,Natürlich habe ich Paul nicht gemocht, und im Grunde hasse ich ihn noch immer, das macht den Sex so gut." Und doch erscheint Erotik als einzig möglicher Ort von Nähe, wenn auch zweifelhaft in seiner Befriedigung. Fantasien der eigenen Welt werden zu kleinen Fluchten im Kopf, im Reissverschlusssystem einmontiert, wenn es eigentlich darum ginge, sich auf den anderen einzulassen. Scheinbar zusammenhangslos tauchen sie zwischen den Partnern auf: ,,Im Fahrstuhl sehen wir uns nicht an, das Licht ist grell. Auf der Wasseroberfläche schwimmt reglos eine Hornisse, das ist eher selten."
Wirkliche Nähe findet nicht statt, scheint eher noch Aggressionen zu wecken: ,,Meine Lust auf warm, gesellig und ähnliches macht mich grausam." Viel häufiger sind gegenseitige Nutzbeziehungen gezeichnet. Solidarität unter Freundinnen oder Schwestern, bezogen auf einen Liebespartner, gibt es nicht, der Begriff Treue scheint eliminiert. Großstadtsingles nehmen am Leben der Nachbarn nur durch voyeuristische Fensterguckerei teil. Männer als wirkliche Lebenspartner tauchen nicht auf oder werden nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.
Ein Buch der mehrfachen Ernüchterung, das die Kurzlebigkeit von Gefühlen wie Freundschaft und Liebe, dass Nebeneinander von Liebe und Hass und menschliche Entfremdung aufzeigt. Ein Erzählband, der das emotionale Dilemma der anonymen Großstadtkinder spiegelt.
In seiner Aussage ein zutiefst ehrliches, lesenswertes und auf hintergründige Weise bizarr-komisches Buch, das nicht ohne bissigen Humor verfasst ist. Mit der letzten Geschichte ,,Mir nichts, dir nichts" gewann Julia Franck in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb das 3sat-Stipendium.
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