Glückskinder

Richard Price konstruiert ein höchst lesenswertes Spiel um zwei gegensätzliche Figuren im Drogen- und Polizeimilieu. Bereits der frühe Roman „Clockers“ zeigt, weshalb Price einer der Großen des Faches ist

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Welt des Richard Price sind Drogen- und Polizeimilieu vielfach ineinander verflochten, allerdings nicht nur durch die Verbindung von Täter und Ermittler, nicht durch die Korruption von Polizisten und nicht nur durch die Spitzel, die sich die Polizei im Milieu hält, sondern auch durch das, was man geteilte Lebenswelt nennen könnte.

Richard Prices schon 1992 erstmals auch auf deutsch erschienener Krimi, den S. Fischer jetzt in der Neuauflage mit einer lobenswerten Hardcover-Ausgabe bedenkt, zeigt das in einer Nebenszene: Als nämlich einer der Polizisten, der täglich die kleinen Dealer hochgehen lässt und von ihnen achtungsvoll ,Big Chief‘ genannt wird, mal mit der geliebten Gattin ins Kino geht, sieht er sich, nachdem der Film geendet hat und er ins Foyer zurückkommt, von all seinen Clienten umgeben, mit denen er sich tagtäglich einigermaßen gefährliche Scharmützel liefert. Statt dass sich Auseinandersetzungen unter der Woche gleich fortsetzen, kommen sich alle Beteiligten vor wie Schüler und Lehrer, die sich zufällig am Samstagabend im selben Kino begegnen. Man grüßt sich, die Jungs sind neugierig auf ,Mrs. Big Chief‘, alle sind mächtig verunsichert und aufgekratzt und zuletzt verabschiedet man sich wieder bis zur Wiederbegegnung in der Normalwoche. Eine absurde, aber plausible Szene, die die Mischung aus Einvernehmen, Rollenstandards und Normalität zeigt, die auch die Drogenszene bestimmt.

Vieles von dem, was Price hier wie zuletzt mit großer Brillanz in „Cash“ vorstellt, basiert auf dieser Idee: dass nämlich auch das a-soziale, das kriminelle Milieu auf einem fragilen, dennoch aber notwendigen sozialen Alltag aufsitzt, der dringend nach Stabilisierung sucht.

Die Morde und Bandenkriege sind dabei größere Störfaktoren als die täglichen Polizeiattacken, auch wenn es sich bei ihnen selbst wieder nur um Reaktionen auf Störungen einer bereits hergestellten Balance handelt. Mit den Morden wird wieder reguliert, was gegen die Regeln verstoßen hat.

Allerdings ist das soziale Gerüst des Milieus derart fragil, dass es beständige Mühen braucht, um es einigermaßen stabil zu halten. Die Gründe dafür sind naheliegend: die Mentalität der Beteiligten, die extrem stark auf die sofortige Wunscherfüllung und Statusaufwertung ausgerichtet ist (es ist nicht umsonst ein Drogenmilieu) und die enorme Fluktuation der Beteiligten und deren Jugend.

Milieus mit einer solchen Ausstattung können nicht stabil sein, außer durch Druck, da sie weder auf Erfahrung, noch auf Einsicht basieren; bleibt also nur Gewalt als Regulativ. Ein Entkommen ist damit fast von vornherein ausgeschlossen.

Price führt in „Clockers“ im wesentlichen zwei Hauptfiguren parallel. Den 19-jährigen Drogendealer Strike, der in der Hierarchie aufsteigen und weg von der Straße will, sich dafür aber die Finger schmutzig machen soll: er soll einen Geschäftspartner seines Chefs Rodney (einem der wenigen Alten im Geschäft) beiseite räumen.

Damit kommt Rocco Klein ins Spiel, der den Mord an dem Manager einer Fast-Food-Bude, Darryl, aufklären soll (der im Übrigen genau jener ist, welcher). Rocco und Strike verhaken sich, je länger die Geschichte sich hinzieht, mehr und mehr ineinander. Rocco hat Strike im Verdacht, Darryl erschossen zu haben (auch noch, als sich Strikes Bruder der Tat schuldig bekennt), und Strike will sich mit Rocco nicht einlassen. Denn auch wenn er die Tat nicht selber begangen hat, hat er doch kurz vorher mit seinem Bruder über Darryl gesprochen und fürchtet nun, dass er ihn zum Mord angestiftet hat.

Außerdem reicht Rodney nicht, dass Darryl tot ist, Strike hätte sich selber bemühen sollen. Aufstieg ist das eine, der Preis, der dafür zu zahlen ist, das andere.

Aber Strike will gar nicht: Er will sich eigentlich aus dem Geschäft zurückziehen, weil er pfiffig genug ist zu merken, dass er nie mehr als ein kleiner Laufbursche für Rodney sein wird, der bei der erstbesten Gelegenheit durch einen besseren, billigeren und willigeren ersetzt wird. Herauswollen ist aber das eine, herauskönnen das andere. Und das plausibel zu inszenieren, ist eine der Glanzleistungen Prices.

Darüber gelagert sind die täglichen kleinen Ausfälle der Polizisten gegen die Junkies und Dealer, von denen sie sich zugleich schmieren lassen. Die Dealer wissen, dass sie besser weder Stoff noch Geld dabei haben, wenn die Kavallerie anrückt, und sie stellen sich darauf bestens ein. Das Geschäft läuft dadurch vielleicht komplizierter ab, aber es läuft dennoch blendend. Nur dumme Junkies gehen den Polizisten ins Netz und müssen in den Bau. Und die Polizisten wissen, dass die Dealer wissen, was sie tun müssen. Das macht sie nicht milder, sondern ausfallender, und so scheint es, als ob die kleinen Tagesrazzien als Kompensation für die vielen Frustrationserlebnisse herhalten müssen, die sie ansonsten erleben. Hier darf dann jeder mit den Jungs tun, was er will. Und sie tun es.

Titelbild

Richard Price: Clockers. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Peter Torberg.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
800 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783100608284

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