Die innere Wahrheit leben

„Und werde immer Ihr Freund sein“: Eveline Haslers stimmungsvolle Romanbiografie über die Freundschaft von Hermann Hesse, Emmy Hennings und Hugo Ball

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. So auch am 3. Dezember 1920, als Hermann Hesse von Montagnola aus ins Nachbardorf Agnuzzo wanderte, um dort zum ersten Mal Hugo Ball und Emmy Hennings zu besuchen. Erst seit wenigen Wochen lebte das Ehepaar in einem kleinen Palazzo mit Blick auf den Luganer See. Es war der Beginn einer großen Künstlerfreundschaft, die in ihrer Bedeutung für Hesses Werk, aber auch für das Hugo Balls, kaum überschätzt werden kann.

Ihre Entstehung war alles andere als selbstverständlich – galt Hesse damals doch für viele Avantgarde-Vertreter als harmloser Autor von Unterhaltungsromanen. Von der großen Wende seines Werkes, die im Zeichen der Psychoanalyse stand, kündete bis dahin nur sein Roman „Demian“. Ball und Hennings dagegen waren quasi die Verkörperung der Avantgarde – seit ihren legendären Dada-Abenden während des Krieges im Züricher Café Voltaire, als Ball als magischer Bischof verkleidet mit seinen Lautgedichten gegen das Massensterben protestierte.

Die Schweizer Autorin Eveline Hasler hat dieser für alle drei schicksalhaften Freundschaft nun eine stimmungsvolle Romanbiografie gewidmet. Für Hesse wurde der neun Jahre jüngere Ball eine Art Gefährte. Alle drei standen, als sie sich kennen lernten, an einem Wendepunkt ihres Lebens. Hesse steckte gerade in seinem „Siddharta“-Roman fest und begann seine tragische Beziehung zu seiner späteren zweiten Frau Ruth Wenger. Ball hatte dem Dadaismus den Rücken gekehrt und den Katholizismus wiederentdeckt und vergrub sich in die Viten byzantinischer Heiliger.

Hennings schließlich lernte nach ihren wilden Jahren in der Bohème das ruhige, weltabgewandte Leben an der Seite des Asketen Ball kennen. Ihre Erfahrungen als drogenabhängiges Straßenmädchen hatte die exzentrische Frau mit dem blonden Bubikopf in ihrem Roman „Das Brandmal“ verarbeitet – in einer anrührenden Szene zu Beginn von Haslers Buch versucht sie vergeblich, den bewunderten Hesse auf ihren Roman aufmerksam zu machen. Tatsächlich kreisten die beiden Männer zunächst vor allem umeinander; die gemeinsame Herkunft aus frommen Elternhäusern sowie die Erfahrungen, in den Kriegsjahren als Verräter beschimpft zu werden, führten rasch zu Anknüpfungspunkten.

Doch gibt es für Hasler einen weiteren Grund für diese Freundschaft: den in ihrer Wahlheimat Tessin herrschenden genius loci, als dessen Symbol eine Glycienentreppe hinter dem kleinen Palazzo der Balls in Agnuzzo fungiert. Die Wege, die Hesse und Ball in den Jahren ihrer Freundschaft bis zu Balls frühem Tod 1927 gingen, konnten gegensätzlicher nicht sein: Hesse ergab sich in der Rolle des „Steppenwolfs“ alkoholischen und erotischen Exzessen in der Großstadt; Ball dagegen lebte wie ein Mönch, als er seine große Hesse-Biografie schrieb. In „Narziss und Goldmund“ hat Hesse dieser spannungsvollen Freundschaft ein Denkmal gesetzt. „Du und ich“, lässt Hasler Ball sagen, „wir haben nur die Stufen anders genommen […] Die Reihenfolge ist gleichgültig […], solange wir versuchen, unsere innere Wahrheit zu leben.“

Die Schweizer Autorin hat in ihrem umfangreichen Werk bislang vor allem vergessenen oder verkannten Frauen eine Stimme gegeben. Ihr Erfolgskonzept, Historie und Fiktion zu verschmelzen, behält Eveline Hasler bei: Geschickt montiert sie in ihrer „biografischen Annäherung“ Originalzitate der Beteiligten, die durch Kursivschrift kenntlich gemacht sind. Und vertraut im Übrigen auf ihre sinnliche Sprache und auf die Macht der Empathie: Hesses Ehetragödie ist ebenso hinreißend erzählt wie Balls Beinahe-Seitensprung mit der Gattin eines Fabrikanten. Weniger überzeugend erscheinen dagegen ihre Dialoge, von denen einige offenkundig allein der Information des Lesers dienen wollen.

Auch drängt sich der Eindruck auf, dass die Untiefen und Konflikte zwischen diesen so unterschiedlichen Charakteren, deren Spuren man in dem umfangreichen Briefwechsel finden kann, in Haslers Darstellung ein wenig harmonisiert werden. Vordergründig ist zwar alles da: etwa das Unverständnis der Balls über Hesse, der seine Freunde mit seiner Hypochondrie und seinen Selbstmordankündigungen nervte. Und ebenso Hesses Verärgerung, als Hugo und Emmy, er kehrte mit einer „General-Beichte“ zur katholischen Kirche zurück, sie war bereits 1914 konvertiert, dem Freidenker treuherzig empfohlen, eine Madonna könnte seine Augenleiden lindern. Doch sind solche Momente der Fremdheit bei Hasler nur kurze Irritationen, die Glück und Tiefe dieser Freundschaft nicht ernsthaft zu gefährden vermögen.

Titelbild

Eveline Hasler: Und werde immer Ihr Freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennings und Hugo Ball Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2010.
215 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783312004614

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