Grenzgänger zwischen Ost und West

Ruth Heftrig und Bernd Reifenberg haben einen Sammelband über den Kunst- und Kulturhistoriker Richard Hamann herausgegeben

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er war Schüler des Philosophen Wilhelm Dilthey, des Begründers der Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften, und des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin, der durch seine „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe“ (1915) berühmt wurde. Mit „Rembrandts Radierungen“ gelang dem 27-jährigen Richard Hamann der Durchbruch zu einer eigenen Sehweise, indem er aus den Einzelbeobachtungen die „Gesetzmäßigkeit“ der Lebensentwicklung des Künstlers abzuleiten suchte. Im Widerspruch zu den herrschenden Zeitmoden – einer betont völkischen auf der einen Seite , einer betont ästhetisierenden auf der anderen – wurde „Impressionismus in Leben und Kunst“ 1907 und die hier entwickelte kulturwissenschaftliche Betrachtungsweise ein sensationeller Erfolg, denn Hamann – so schreibt dessen Biograf Jost Hermand – lenkte den Blick des Lesers auf den „Stil“ seiner eigenen Zeit, den er mit dem Begriff „Impressionismus“ zu umschreiben suchte. Es ging ihm um die den Künsten zugrunde liegenden Denk- und Lebensformen. Hinter den künstlerischen Erscheinungsformen bestimmter Stile suchte er klar erkennbare Kausalgesetze der Kultur in den einzelnen Epochen herauszuarbeiten – von der Archaik über die Klassik zum Barock und schließlich zum Impressionismus als der Spätphase vieler europäischen Kulturen.

1913 wurde Hamann als erster Ordinarius im Fach Kunstgeschichte an die Universität Marburg berufen – erst 1949 mit seiner Emeritierung schloss er diese so erfolgreiche Phase ab. Er wurde einer der maßgeblichen Pioniere der Fotografie, gründete das „Bildarchiv Foto Marburg“ und 1929 auch das Forschungsinstitut für Kunstgeschichte und gab 1925-50 das „Marburger Jahrbuch für Kunstgeschichte“ heraus. Er trat für eine demokratische Sachkultur ein, hoffte in der Zeit der Weimarer Republik darauf, dass es zu einer Wende ins Sachbetonte im Sinne der sozialen Ideen des Deutschen Werkbundes und des Bauhauses kommen würde. 1947 nahm er neben seinem Marburger Lehrstuhl noch eine Gastprofessur an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin an. Er wirkte jetzt wieder an dem Institut, an dem er einst studiert und sich habilitiert hatte. Beharrlich hielt er in der dann beginnenden Phase des Kalten Krieges an der Idee der kulturellen Einheit Deutschlands fest. Sein Hauptwerk ist die „Geschichte der Kunst“ (1933-1952, 2 Bände) die – immer wieder aufgelegt – fast zum „Volksbuch“ avancierte.

In Marburg, wo Hamann sein halbes Leben wirkte und wo sich auch sein Nachlass befindet, wurde 2008 eine Tagung über ihn, einen der bedeutendsten deutschen Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts, und sein Engagement in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR durchgeführt, und die hier gehaltenen Referate liegen jetzt gedruckt in einem Sammelband vor. Fast gleichzeitig ist eine „politische Biographie“ über Hamann von Jost Hermand erschienen, der seinerzeit als junger Wissenschaftler zusammen mit ihm die Werkreihe „Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus“ (1959-67, 4 Bände) herausbrachte.

In seinem Marburger Referat unter dem Titel „Hamanns Testament“ beschäftigt sich Jost Hermand mit dessen Aufsatz „Christentum und europäische Kultur“, der erst nach Hamanns Tod 1963 in einem von Edgar Lehmann herausgegebenen Band „Richard Hamann in memoriam“ im Ostberliner Akademie-Verlag erschien. Hier hatte Hamann ein universalgeschichtlich fundiertes Bekenntnis zu einer sozialistisch ausgerichteten Sachkultur abgelegt. Damit wollte er die SED-Führung zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit seinen Sozialismus-Konzepten herausfordern, doch die ließ sich nicht auf eine ideologische Auseinandersetzung mit diesem Aufsatz ein. Hamann hat hier eine sich in mehreren Phasen verlaufende Entwicklung des orientalischen Despotismus, des griechischen Wettkampfgedankens und des römischen Imperialismus durch die von dem „Zimmermannssohn“ Jesus von Nazareth aufgestellten Forderungen der Friedfertigkeit, Nächstenliebe und Selbstentäußerung zugunsten eines größeren Ganzen nachgezeichnet. Den im Neuen Testament bereits anvisierten mitmenschlichen Gemeinschaftsgeist gelte es im neuzeitlichen Sozialismus zu „verweltlichen“. Wie Ernst Bloch in seinem Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ hoffte Hamann damit – vergeblich, wie sich schnell zeigen sollte – seine bisherigen Werkbund-Vorstellungen sowie die an den mittelalterlichen Bauhüttengeist erinnernden Bauhaus-Bestrebungen der 1920er-Jahre in die Kulturkonzepte der frühen DDR einzubringen, um dem dort verkündeten Sozialismus ein sachbezogenes und zugleich mitmenschliches Gesicht zu geben.

Sigrid Hofer fragt, mit welchen Visionen denn Hamann dem Ruf an die Humboldt-Universität gefolgt sei, welche Positionen er bezogen habe, als in der DDR-Kulturpolitik gegen die Moderne zunehmend polemisiert wurde und deren Vertreter nun ein zweites Mal der Verfemung anheim fielen, und wie das alles mit seiner 1957 erfolgten Entpflichtung von der Humboldt-Universität in Verbindung stehe? Hamann war inzwischen 78 Jahre, nach der gesetzlichen Bestimmung hätte seine Entpflichtung schon acht Jahre früher erfolgen sollen, wie das schon in Marburg geschehen war.

Aber dass ausgerechnet Gerhard Strauß, der schon früh als strammer Marxist aufgetreten war, seine – Hamanns – Nachfolge antreten und zudem sein Amt als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates für Kunstgeschichte beim damaligen Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen übernehmen sollte, erbitterte ihn maßlos. Die Kunstgeschichte sollte als marxistisch-leninistische Wissenschaft ausgerichtet werden – und da war Hamann im Wege. Doch weshalb war er denn überhaupt 1947 an die Humboldt-Universität berufen worden? Seine antifaschistische Gesinnung hatte ihn ebenso empfohlen wie seine Publikationen, die als Bekenntnis und Verpflichtung zu volksbildnerischen Aufgaben gelesen werden konnten. Hamanns Aussage, dass ihm die zweifache Professur in Marburg und Berlin die Möglichkeit geboten habe, an der Einigung Deutschlands mitzuarbeiten, sieht Höfer als Absichtserklärung ohne erkennbare Konsequenzen an. Hamann wurde in Ost-Berlin beobachtet, zensiert und schließlich entlassen, wobei sein hohes Alter der Partei bestens in die Hände spielte.

Elmar Jansen, einst Student und dann Mitarbeiter bei Hamann in Berlin, schreibt aus der persönlichen Nähe zu seinem Lehrer und der kritischen Distanz zu den Ereignissen um ihn in den 1950er-Jahren ein Porträt des außergewöhnlichen Wissenschaftlers und Hochschullehrers, dem die Freude anzusehen war, dass er diesen Berliner Lehrstuhl innehatte, wo Adolph Goldschmidt und Wölfflin gelehrt hatten und wo seit 1935 Wilhelm Pinder die Kathederhoheit besessen hatte. Auch Jansen sieht Hamanns späte Lebensaufgabe im „Brückenschlag“ und das glaubt er auch durch den Eindruck des Standbildhaften bestätigt, den Fritz Cremers Hamann-Büste von 1954 vermittelt.

Der Neukonstituierung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin nach 1945 widmet sich Peter Th. Walther. Doch nur am Rande erwähnt er Hamann: „Dass dabei an der Akademie andere geschriebene und ungeschriebene Regeln galten als an der Humboldt-Universität, bedeutete für Hamann zudem die Möglichkeit einer Grenzgängerei zwischen zwei Institutionen in Ost-Berlin“. Was hat Ludwig Justi, den langjährigen Direktor der Nationalgalerie (1933 wurde er seines Amtes enthoben und 1946 zum Generaldirektor der Berliner Museen berufen), mit dem 1947 auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität berufenen Hamann im Kampf gegen eine restriktive DDR-Kulturpolitik verbunden?

Maike Steinkamp konstatiert, dass sich beide zwar mit offiziellen Äußerungen zum aktuellen Kunstschaffen zurückhielten, aber so, wie Justi – auch öffentlich – für die Belange der Berliner Museen eintrat und dabei äußerst klug zu operieren verstand, so hat sich Hamann gegen die behördlichen Einschränkungen des Faches Kunstgeschichte gewehrt, verzweifelt gegen den Abriss des Berliner Stadtschlosses gekämpft und entschlossen die Einrichtung einer Forschungs- beziehungsweise Arbeitstelle für Kunstgeschichte bei der Akademie der Wissenschaften betrieben, die er dann – nach seiner Pensionierung an der Humboldt-Universität 1957 – übernahm. Beide haben in verschiedenen Gremien einander Beistand geleistet, und Hamann hat in seinem Nachruf 1956/57 Justi seine hohe Wertschätzung erwiesen.

Richard Hamanns und Jost Hermands Gemeinschaftswerk, die fünfbändige kunst- und kulturgeschichtliche Buchreihe „Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus“ würdigt Kai Artinger und hebt als Innovation den interdisziplinären Ansatz hervor, der Sozialgeschichte und Kulturwissenschaft vereinigt. Beide Namen stehen gleichberechtigt, obwohl der junge Hermand vier Bände geschrieben und zudem noch die von Hamann verfasste „Gründerzeit“ für die Drucklegung bearbeitet hat. Der Band 4 über die Stilkunst um 1900 beschreibe erstmals die geistigen und künstlerischen Tendenzen, die wegen ihrer präfaschistischen Ideen den Weg zum Nationalsozialismus ebneten. Während Hamanns „Geschichte der Kunst“ im Unterschied zu Ernst H. Gombrichs 1950 erschienenen und unverändert erfolgreichen „Story of Art“ kein „zeitloser“ Klassiker geblieben ist, so Artinger, habe diese Reihe ihre Sonderstellung behalten und sei nach wie vor ein unverzichtbares Standardwerk für die Kunst und Kultur des Deutschen Kaiserreiches.

Mit der Verleihung des Deutschen Nationalpreises 1949 an Richard Hamann (übrigens für sein Buch über Rembrandt) – das Preisgeld nutzte Hamann für den Erwerb von Fotomaterial und Druckerzeugnissen für sein Berliner Institut – beschäftigt sich Dorothee Haffner, während sich Thomas Jahn Richard Hamanns Widerstand gegen den Abriss des Berliner Stadtschlosses und anderer preußischer Baudenkmäler in den Jahren 1950 bis 1960 zuwendet. Uwe Hartmann kann Licht in die Regelung von Hamanns Nachfolge auf dem kunsthistorischen Lehrstuhl der Humboldt-Universität bringen – „es wird ein marxistischer Kunstgeschichtler vom Staatssekretär verlangt“ – und Hubert Faensen beschreibt höchst aufschlussreich die Täter-Opfer-Problematik im Verhältnis von Hamann und seinem Nachfolger Gerhard Strauss.

Ein seinerzeit heftig umstrittenes Kapitel nicht nur in der Biografie Hamanns, sondern auch in der Zeit-, Kultur- und Kunstgeschichte Nachkriegsdeutschlands ist hier aspektreich und kritisch abwägend aufgearbeitet worden.

Titelbild

Ruth Heftrig / Bernd Reifenberg (Hg.): Wissenschaft zwischen Ost und West. Der Kunsthistoriker Richard Hamann als Grenzgänger ; [Beiträge einer Tagung in der Universitätsbibliothek Marburg am 13. und 14. Juni 2008].
Jonas Verlag, Marburg 2009.
192 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783894454272

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