Ein Land, in dem man viel Trost braucht

Dirk Kurbjuweits Roman „Kriegsbraut“ führt in die ferne, fremde Welt des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dirk Kurbjuweits neuer Roman „Kriegsbraut“ könnte aktueller kaum sein. Er thematisiert den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und spielt im Jahr 2006, dem Jahr der Fußball-WM in Deutschland. Es ist die Geschichte von Esther Dieffenbach, einer Frau Mitte 20, deren Beziehungen in Deutschland scheitern und die nach einer Affäre mit einem verheirateten Mann, der seine Frau für sie nicht verlassen möchte, die Entscheidung trifft, zur Bundeswehr zu gehen und sich sogleich für den Einsatz in Afghanistan zu melden.

„In der Uniform war Esther bewusst, dass sie Teil einer Wirklichkeit war, wenn auch keiner berauschenden.“ Das Soldatenleben im Bundeswehr-Camp in Afghanistan empfindet ‚Leutnant Esther‘ als langweilig – „zu wenig abenteuerlich, die Fortsetzung des Kasernenlebens mit mehr Staub“. Als ihre Kameradin und Freundin Ina eines Tages von einer Konvoifahrt zurückkommt, schluchzt diese, wirft ihren Stahlhelm auf den Boden und kreischt beinahe: „Es wird geschossen.“ Dass ein angeschossener Oberfeldwebel allerdings gar nicht von einer Taliban-Kugel, sondern von einem Kameraden, aus dessen ungesichertem Gewehr sich versehentlich eine Kugel löste, in den Bauch geschossen wurde, verunsichert die Soldatinnen nur noch stärker – naiv erscheint ihre Reaktion auf das ‚friendly fire‘: „Wir müssen mal zurückschlagen, sonst gehen wir alle drauf“, behauptet Ina. Angriff ist die beste Verteidigung?

Doch Kurbjuweit kritisiert damit nicht den Bundeswehr-Einsatz. Das wäre viel zu platt. Das Thema des Romans ist nicht die ideologische und in Deutschland kontrovers geführte Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes. Diese Diskussion wird vom „Spiegel“, für den Dirk Kurbjuweit seit 1999 arbeitet und dessen Hauptstadtbüro er heute leitet, seit Jahren begleitet und deutlich geführt. Kurbjuweit nutzt seinen Roman, um dem Leser eine andere Sichtweise zu ermöglichen. Er lässt den Leser in die Haut der Soldaten schlüpfen, die – ob mit oder ohne Rückendeckung der Diskutanten in der Heimat – nun einmal in Afghanistan sind und um ihr Leben fürchten. Er will den Blick auf die Gefühle der Soldaten lenken; er interessiert sich für die Menschen, die in der Ödnis mit der Waffe in der Hand in Extremsituationen kommen, die wir uns in Deutschland nicht vorstellen können und mit denen Zivilisten in Europa hoffentlich nie konfrontiert werden. Es steht die Frage der Schuld im Mittelpunkt.

Denn Esthers Ausweg aus der öden Routine des Alltags im Lager, wo nur die Mahlzeiten die unerträglich heißen Tage ordnen, ist die Übernahme eines Auftrages: Die Bundeswehr hat den Auftrag, eine Schule zu beschützen. Regelmäßig besucht Esther die Schule, trifft sich mit dem Direktor, Mehsud, und verliebt sich. Ganz langsam kommen sich beide näher, jeder Besuch lässt das Vertrauen wachsen, über leidenschaftliche Küsse wird die Beziehung allerdings nicht hinauskommen. Jäh werden die Besuche durch ein Gefecht unterbrochen. Esthers Konvoi gerät auf dem Rückweg ins Lager tatsächlich unter Taliban-Beschuss. Ein amerikanischer Kampfhubschrauber wird herbeigerufen, mit einer Rakete wird das Gehöft, aus dem die Schüsse kamen, zerstört. Unter den Opfern sind eine Frau und zwei Kinder, Esther hatte der Pilotin des Helikopters über Funk versichert, dass sie keine Zivilisten gesehen hatte. Im Roman bildgewaltig und realitätsnah eingebettet ist das Gefechtserlebnis wesentlich intensiver und erschreckender, als ein Bericht in einer „Spiegel“-Reportage Kurbjuweits hätte sein können.

Der Leser fragt sich, welche Entscheidung er getroffen hätte. Denn Esther wusste von den zahlreichen Fahrten zur Schule, dass auf dem Gehöft eine Frau mit zwei Kindern wohnte. Esther darf mit niemand über das Erlebte und ihre Gefühle sprechen – nicht über das, was sie im Gefecht erlebt hat, und auch nicht darüber, welche Gefühle sie Mehsud entgegenbringt. Sie findet keine Ruhe mehr. Ausgerechnet der afghanische Lehrer kommentiert den Tod der Zivilisten nüchtern: „Was haben sie auch dort gemacht?“ Im Bundeswehr-Lager hört Esther häufig den Satz: „Endlich haben wir es denen mal gezeigt.“ Afghanistan sei ein Land, „in dem man viel Trost“ brauche, resümiert Esther zurück in Deutschland. Nach ihrer Rückkehr findet sie keine Ruhe, ihr begegnen „Deutsch-laaand“ grölende Fußball-Fans vor dem Brandenburger Tor. „Hupende Autos, Fähnchen, ein Stau“. Sie erträgt die Euphorie nicht. Esther fliegt zurück nach Afghanistan.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gab am 22. April 2010 im Deutschen Bundestag eine vielbeachtete Regierungserklärung zum deutschen Engagement in Afghanistan ab. Darin zitierte sie aus einem Bericht eines Hauptfeldwebels zu einem Gefecht, einem Hinterhalt der Taliban. Merkel betonte, es ist ruhmreich, im vollen Bewusstsein der Gefahr die Freiheit für das eigene Leben zu verteidigen. Doch Tapferkeit sei ohne Verletzbarkeit nicht denkbar. Es ist, als stelle Dirk Kurbjuweit dieser Regierungserklärung seinen Roman entgegen. Er stellt mit ihm die Frage, was wirklich zählt. ‚Leutnant Esther‘ hat tapfer ihr Leben verteidigt, erklärt ihr nach dem Gefecht der Kommandant des Lagers. Doch für Esther spielt die Tapferkeit keine Rolle. „Wenn sie nicht an die Frau dachte, dachte sie an Mehsud, und sie wusste nicht, was schlimmer war.“ Krieg ist niemals ruhmreich.

Titelbild

Dirk Kurbjuweit: Kriegsbraut. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2011.
333 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346613

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