Jünger wird’s nicht

„Das Abenteuerliche Herz“ in der Erstfassung – und zwei Jahre Ravensburg

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Ernst Jünger 1995 seinen 100. Geburtstag feierte, machte noch die „Titanic“ Witze über ihn. Bevorzugt ging es um seinen LSD-Konsum, und eine andere Zeichnung zeigte zwei Kinder, die ihn nicht bei „Fang den Hut“ mitspielen lassen wollten, weil das Spiel laut Karton nur für Teilnehmer von 6-99 Jahren war. Jetzt, gute fünfzehn Jahre und einige Volten der Geschichte weiter, ist Jünger alles andere als eine Witzfigur. Der ehemals politisch umstrittene Autor ist kanonisiert worden. Alte Texte werden neu aufgelegt, Heimo Schwilk und Helmuth Kiesel haben ausführliche, differenzierte Biografien geschrieben, und zuletzt hat eine große Ausstellung in Marbach ihn endgültig ins Pantheon der Literaturgeschichte entrückt.

Die Wiederentdeckung Jüngers ist aber kein Einzelphänomen – sowohl bei einem breiteren Publikum als auch in der Literaturwissenschaft kommt es in den letzten Jahren zu einer Wiederentdeckung von Autoren aus der politischen Rechten: Thomas Karlauf hat eine wegweisende (und selbst konservativ ausgerichtete) Biografie zu Stefan George geschrieben, Ulrich Raulff das Nachleben des George-Kreises nach dem Tod des „Meisters“ weiterverfolgt, und selbst der zeitweise bekennende Nazi Heimito von Doderer wird mit seinen großen Romanen „Die Strudlhofstiege“ (1951) und „Die Dämonen“ (1956) wieder entdeckt.

Für diese Tendenz gibt es mindestens zwei Gründe. In einer Zeit, in der die Zeitgenossen des Nationalsozialismus allmählich aussterben, ist die historische Distanz größer geworden. Wenigstens jüngere Forscher und Leser blicken differenzierter, aber auch mit größerer Distanz auf diese Schriftsteller, lässt es sich leichter Trennen zwischen reaktionären Überzeugungen und literarischer Praxis. Zum anderen liegt im „Gutfinden“ eines Ezra Pound, Gottfried Benn, George oder Jünger auch ein gewisser Chic in einer Zeit, in der Günter Grass, Heinrich Böll oder Christa Wolf gern als zahnlose, linksliberale Luschen hingestellt werden.

Gerade bei Jünger wird aber niemand behaupten, dass sich politische und ästhetische Überzeugungen so einfach trennen lassen. Gewiss hat er immer wieder neue Überarbeitungen seiner Texte herausgebracht, auch, weil er den jeweils aktuellen Anfeindungen der Epoche entgehen wollte. Es gibt aber keinen „guten“ oder „bösen“ Jünger. Dass der Krieg das Urerlebnis seines Schreibens bildete, hat er nie geleugnet. Wie tief literarische Praxis und rechte Überzeugungen bei ihm ineinander verstrickt sind, zeigt die Erstfassung des Bändchens „Das abenteuerliche Herz“ von 1929, das heute zumeist in der überarbeiteten Fassung von 1938 kursiert. Zwar war die erste Version seit Jahrzehnten in der Werkausgabe greifbar. Erst seit drei Jahren liegt sie aber wieder in einer Einzelausgabe vor, die nun verspätet auf dem Schreibtisch des Rezensenten gelandet ist.

Die Entdeckungsreise lohnt sich, nicht nur wegen der unbestrittenen Strahlkraft von Jüngers Prosa, sondern auch wegen der vielen politischen und autobiografischen Bezüge, die in der späteren Fassung fehlen. Man mag ja darüber streiten, ob ein späterer Text wie „Auf den Marmorklippen“ als Parabel auf den Faschismus gedacht ist. Im alten „Abenteuerlichen Herzen“ aber zeigt Jünger zumindest, wes Geistes Kind er vor 1933 war. Da ist von der „Stoßkraft des Blutes“ die Rede, referiert der Autor seine kolonialistischen Kindheitsfantasien von Afrika, und die Novemberrevolution wird zur schwächlichen „Steckrübenrevolte“ von 1918 degradiert. Und immer wieder das Urerlebnis: der Krieg, der Krieg, eigene Fronterlebnisse und Kriegsfantasien in allen Formen und Formeln. Jünger geht es letztlich nicht um die politischen Gründe und Ziele, sondern um die Erfahrung des Rausches. Er ist kein Anhänger des Krieges, weil er rechts ist. Sondern er steht rechts, weil diese politische Haltung den Krieg und damit seine Ekstasen legitimiert. Es ist seine Erfahrung, die es Jünger erlaubt, sich in die selbst gebastelte Genealogie seiner Lieblingsautoren einzuschreiben. Novalis, E. T. A. Hoffmann, Friedrich Nietzsche, Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Alfred Kubin haben nicht nur ihren Auftritt, sondern Jünger stellt sich ganz bewusst in deren ekstatische Tradition, übernimmt von ihnen gelegentlich auch den Gestus des Sehers, des poeta vates. Um diesen Kern gruppieren sich luzide Traumprotokolle wie biedermeierliche Passagen über eine Kleinstadtjugend, Kurzessays über Lieblingslektüren wie Bekenntnisse zu einem „wahren“ Anarchismus. Ein unausgewogenes Buch, ein Faszinosum, ebenso brillant wie abstoßend. Trotzdem: Mögen uns das Erwin Guido Kolbenheyer-, das Gustav Frenssen- und das Hans Grimm-Revival bitte erspart bleiben!

Wer will, kann seine Lektüre noch durch ein neues Heft der Marbacher „Spuren“-Reihe ergänzen, in dem Franz Schwarzbauer Ernst Jüngers Zeit in Ravensburg nachgeht. Zwar lebte er dort nur zwei Jahre, von 1948 bis 1950. Dennoch, so Schwarzbauer, sei diese Zeit keine Episode, sondern eine Wegscheide in Jüngers Leben gewesen. Hier schloss er das Manuskript des Tagebuchbandes „Strahlungen“ ab, hier schrieb er den utopischen Roman „Heliopolis“ zu Ende, von dem selbst Weggefährten wie Carl Schmitt und sein Sekretär Armin Mohler enttäuscht waren. Im Juli 1950 zog Jünger ins schwäbische Dorf Wilflingen, wo er fast 60 Jahre verbringen sollte. Das kleine Bändchen ist ebenso liebevoll ausgestattet wie die anderen Büchlein der „Spuren“-Reihe.

Titelbild

Ernst Jünger: Das abenteuerliche Herz. Erste Fassung - Aufzeichnungen bei Tag und Nacht.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008.
156 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783608930719

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Franz Schwarzbauer: Ernst Jünger in Ravensburg.
Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2010.
16 Seiten, 4,50 EUR.
ISBN-13: 9783937384610

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