Verbannt an den Pazifik

Klaus Modicks Roman „Sunset“ ist ein historischer Roman in der Tradition Lion Feuchtwangers

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger gelang etwas ganz besonders gut, das es heute kaum mehr in der deutschsprachigen Literatur gibt – höchst erfolgreiche und zugleich auch noch intelligente Unterhaltungsliteratur zu schreiben. Feuchtwanger war der überragende Vertreter einer Literatur, die sich historischer Themen annahm und sie so gestalten konnte, dass sich ein großes allgemeines Publikum daran erfreuen und sich auf angenehmste Weise belehrt fühlen konnte.

Sicher, es gab in der Zeit der Weimarer Republik auch andere Autorinnen und Autoren, die auf gutem Niveau unterhaltsam und eindringlich schreiben konnten. Doch Autoren wie Bruno Frank, Ernst Glaeser, Irmgard Keun, Erich Maria Remarque oder Arnold Zweig, um nur einige der besonders erfolgreichen Zeitgenossen Feuchtwangers zu nennen, gingen von ihrem eigenen Erleben aus, sie gestalteten vorwiegend ihre persönlichen Geschichten. Feuchtwanger hat jedoch, bis auf zwei Berichte aus besonderen Anlässen, nichts autobiografisches veröffentlicht. Er gestaltete stets historische Themen; und wenn er sich, wie in seiner „Wartesaal“-Trilogie, aktuellen Themen zugewandt hat, dann abermals aus „historischer“ Schreibperspektive.

Als Feuchtwanger von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen wurde, war in Deutschland diese Form der populären anspruchsvollen Literatur unterbrochen worden. In der Bundesrepublik gehörte Feuchtwanger wie viele andere dann sogenannte Exilautoren über viele Jahre hinweg zu den kaum beachteten Schriftstellern. Erst in den späten 1970er-Jahren wurde Feuchtwanger, dessen Werk übrigens in der DDR seit ihrer Gründung gepflegt wurde, auch in der Bundesrepublik wieder entdeckt. Einer, der dazu beigetragen hat, war Klaus Modick, der mit einer Arbeit über Feuchtwanger promoviert wurde.

Seit der S. Fischer Verlag rechtzeitig zum 100. Geburtstag Feuchtwangers 1984 damit begann, seine Werke als Lizenzausgaben des Ost-Berliner Aufbau-Verlags herauszugeben, ist Feuchtwanger wieder allgemein präsent. Und seine Bücher erfreuen sich noch großer Beliebtheit. Um so verwunderter ist man darüber, dass es so wenige Nachfolger Feuchtwangers in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur gibt. Zu den herausragenden gehört zweifellos Modick, der sich nun, sozusagen zu seinem 60. Geburtstag, einen regelrechten Feuchtwangerroman gönnt. Richtiger, er gönnt ihn uns Leserinnen und Lesern.

„Sunset“ ist ein historischer Roman ganz in der Tradition Feuchtwangers, eine gute Mischung aus fact and fiction, wie man heute anglisierend sagen kann. Es ist der 16. August 1956, Feuchtwanger ist allein in der imposanten Villa Aurora in Pacific Palisades, seine Frau Marta ist ebenso nicht da wie seine Sekretärin Hilde Waldo. Da trifft ein Telegramm mit der Nachricht vom Tod Bert Brechts ein. „‚Nein‘, sagt er laut in den Nebel hinaus, ‚aber nein!‘ Er schüttelt ungläubig, entgeistert den Kopf und hat Mühe, das Zittern seiner Hand zu unterdrücken, als er das Telegramm ein zweites Mal liest, langsam, Zeichen für Zeichen, Wort für Wort, als sei ihm beim ersten Blick etwas Wichtiges entgangen. Ein Widerruf. Eine Einschränkung. Oder ein Trost.“

Modick hat sich den von Redundanzen und Wiederholungen geprägten Stil Feuchtwangers regelrecht einverleibt und wendet ihn in dieser Hommage an ihn an, ohne dass das läppisch wäre. Denn Modick kopiert nicht Feuchtwangers Stil, sondern nutzt ihn sparsam und setzt durchaus seine eigene Lakonie dagegen. So kann er sich ungefährdet in seinen Protagonisten hineindenken, den er sein Leben Revue passieren lässt, ein Leben, in dem der ruppige Freund Bertolt Brecht eine große Rolle gespielt hat. Er erinnert sich, als Brecht bei dem schon erfolgreichen Feuchtwanger in München aufgetaucht ist, er erinnert sich an sein eigenes Schreiben. Und er denkt an die vielen Kollegen, die wie er an der Westküste der USA auf ihrer Flucht vor Nazi-Deutschland regelrecht strandeten. So wie Feuchtwanger selbst. Und er, der 1956 fast wie ein Zurückgebliebener in seinem schönen großen Haus in den USA lebt, hat das Zufluchtsland nie verlassen, weil er fürchten musste, als vermeintlicher Sympathisant des Kommunismus nicht mehr einreisen zu dürfen. In der McCarthy-Ära wurde ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft verwehrt. An diesem 16. August 1956 fürchtet sich Modicks Feuchtwanger vor einem Stinktier, das ihm den Weg in den Garten versperrt, und an diesem Tag ist er traurig über den Verlust des besten Freundes. In seiner Alltagsunbeholfenheit fühlt er sich nicht gut, seine Leibschmerzen sind erste Zeichen des Krebses, an dem er zwei Jahre später sterben wird.

Modick gelingt es, das Leben Feuchtwangers im Exil auf eine Weise zu beschreiben, die respektvoll, ironisch, vielleicht ein wenig spöttisch, aber immer freundlich ist. Das liest man gern. Und sieht als geborener und gelernter Bayer darüber hinweg, diese Krittelei muss schon sein, dass der Oldenburger Modick sich in bajuwarischen Bräuchen, denen Feuchtwanger und Brecht sehr zugetan waren, nicht gut auskennt: „Weißwürste auf Kraut“ sollen laut ihm in bayerischen Wirtshäusern verzehrt worden sein. Naa, des glaub i gar nie net.

Titelbild

Klaus Modick: Sunset. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
192 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783821861173

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