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Urs Meyer sichtet die „Poetik der Werbung“, bleibt aber auf Distanz

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gehört zu den basalen Selbstzuweisungen der Werbewirtschaft, dass sie kreativ sei und damit an das Gesamtsystem kreativer Kapazitäten einer Gesellschaft angeschlossen ist. Der Kreativdirektor einer Agentur gehört zu ihren gelegentlich gefeierten Schlüsselfiguren. Dass Werbung mit Sprachspiel zu tun hat und immer neue visuelle Botschaften sucht, ist dabei wohl unbestritten. Und es ist eben auch kein Wunder, dass es Germanisten, die an der Konkreten Poesie, am Sprachspiel und an Sprache überhaupt geschult sind, in die Werbewirtschaft treibt, wenn es denn kein Journalismus, Lektorat oder Lehramt sein soll.

Dennoch ist der Zusammenhang von Kunst (beschränken wir es zeitweise auf Literatur) als Gesamtheit kreativen Vermögens und Gewerbe ein grundsätzliches Problem, denn Literatur als Kunst verwehrt sich ja, wenn man der wohl einflussreichsten Position folgen darf, der ökonomischen Verwertung, wie sie sich überhaupt kritisch bis widerständig zur Gesellschaft verhält. Sie lässt sich als Kunst nicht einvernehmen.

Das widerspricht jedoch dem Doppelcharakter von Kunst und Literatur, die eben auch Warencharakter hat und deshalb in den Verwertungskreislauf des Wirtschaftssystems eingebunden ist. Literatur als Buch soll eben auch verkauft werden, und sie betreibt dieses Vorhaben durch ein breites Spektrum von Maßnahmen, vom Titel über den Klappentext bis hin zum Autorenfoto und zur Anzeige in welchem Medium auch immer.

Beginnend mit der postmodernen Wende um 1968, spätestens jedoch mit dem Hedonismus der Literatur um 2000 hat die ideologiekritische Skepsis gegenüber dem Warencharakter von Literatur an Boden verloren. Neuere Autoren nehmen die Warenwelt, in der sie wie ihre Leserinnen und Leser leben, als gegeben hin und nehmen sie zugleich in ihr literarisches Spiel mit auf, kritisch, apologetisch, reflektiert und distanziert. Nicht der Modus des Umgangs ist vorrangig, sondern das Wissen darum, dass ein richtiges Leben im Falschen vielleicht nicht möglich ist, aber eine Alternative vorerst nicht gegeben ist. Es gibt kein Jenseits der Gesellschaft, was jedoch auch nicht bedeutet, dass es keine bessere Gesellschaft geben könnte. Man wird mit den Jahren zum geheimen Sozialdemokraten, ist zu befürchten.

Aber sei es drum: Urs Meyer nun ist angetreten, die Problematik von der anderen Seite anzupacken. Es geht ihm nicht um die Problematisierung von Werbung, ihre Abgrenzung von der Kunst und um die Kritik ihrer Funktion (sie soll immerhin verkaufsfördernd wirken), sondern um die Verbindungen zwischen Literatur und Werbung, mit anderen Worten um die „Poetik der Werbung“.

Grundsätzlich ist sein Ansatz dabei sympathisch. Weg vom Werbebann, hin zur Akzeptanz der kreativen Leistungen einer gesellschaftlichen Kommunikationsform, die aus den komplexen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken ist und eine mittlerweile enorme wirtschaftliche und eben auch kulturelle Bedeutung hat. Das suspendiert nicht die Funktion von Werbung, sondern verweist vor allem darauf, dass sie im – auch aus Kunst und Literatur bekannten – Überbietungswettbewerb nach immer neuen Lösungen sucht.

Insofern hat Werbung, wie Meyer betont, ein anthropologisches, besser jedoch gesellschaftliches Fundament, und sie hat – wie alle kreativen Bereiche – ihre Strategien, Verfahren und Gattungen: das Mailing, die Anzeige, das Commercial und wie sie alle heißen.

Dass sich die literaturwissenschaftliche Forschung mit Werbung, wenn überhaupt, dann nur kritisch, beschäftigt, hat wunderliche Folgen wie die, dass im Studium oder Schulunterricht kompetenten Werberezipienten beigebracht wird, dass sie von Werbung irregeleitet und verführt würden. Das bricht sich zwar damit, dass zugleich deren Verfahren und Lösungen präsentiert werden (die dann auch noch eingeübt werden), aber dem Aufklärungsauftrag ist damit Genüge getan. Vom Gegner lernen, heißt ihn verstehen lernen, und wohl auch, seinen Lebensunterhalt damit verdienen können, zur Not. Zum Werbetexter reicht es allemal, oder?

So aufschlussreich Meyers Ansatz auch sein mag, in der Ausführung irritiert die Arbeit erheblich. Nach der umfänglichen Diskussion von Forschung und deren Desideraten und nach dem Versuch, der Werbung einen neuen Ort innerhalb gesellschaftlicher Kommunikationsformen zu geben, der die Nähe zu anderen kreativen Genres betont und nicht ihren Verführungscharakter, ist die Erwartung auf die Poetik der Werbung hoch. Was folgt, ist jedoch eine uninspirierte Sichtung von literarischen Genres und ihrer Nähe zu den Genres und Spielformen der Werbung.

Dass Werbung im Vergleich zu literarischen Formen räumlich und zeitlich limitiert ist, ist dabei weniger problematisch. Not macht erfinderisch, wie wir alle wissen. Aber welche Erkenntnis ist es, nachzuweisen, dass es in der Werbung Ironie, dramatische Formen und Kurzprosaformen oder gar Gereimtes gibt? Und ob sie gelungen ist oder nicht?

Problematisch ist nicht, dass Meyer mit den Mitteln der Literaturwissenschaft Werbeformen analysieren will, die sich nicht auf Text allein reduzieren lassen können. Werbung hat visuelle, gelegentlich auch akustische und in den meisten Fällen auch textliche Anteile. Deren Zusammenwirken ist ohne Weiteres mit den Mitteln der Literaturwissenschaft zu analysieren und zu bewerten. Auch die Verfahren, die Symbolleistungen, ja die Geschichten, die Werbung erzählt oder auf die sie verweist, lassen sich mit literaturwissenschaftlichen Verfahren herausarbeiten. Was ist an Werbung kreativ, was sind ihre Schemata, was sind ihre Strategien, was sind ihre Ressourcen, wie geht sie mit ihren Inspirationsquellen um, wie ist ihre Rezeption und welche Strategien greifen hier – alles interessante Themen, die Meyer nicht oder nur ansatzweise aufnimmt. Keine Frage also – und hier Meyer zustimmend – hier wäre ein wichtiges und aufschlussreiches Forschungsfeld für Literaturwissenschaftler, die sich oft genug ja als Kulturwissenschaftler verstehen.

Was aber macht Meyer? Er führt seine umfängliche Kenntnis von Werbeformen und -produktionen vor, zeigt, wo es Vergleichbares in der Literatur gibt, und gibt sich damit zufrieden. Eine Poetologie der Werbung entsteht daraus nicht, nur ein Schaukasten von lauter Ähnlichkeiten, mit denen sich am Ende wenig anfangen lässt. Analogieschlüsse, dies ist hier erneut zu vermerken, sind vor allem eins: schwach.

Dass Meyer dazu neigt, an Oberflächen zu kratzen, wo ein genauer Blick und analytische Verfahren  sinnvoll wären, zeigt sich schließlich an seinen abschließenden Studien zu den Autoren als Werbetextern, die wohl besser den Titel tragen würde: Werbung und wie literarische Autoren damit umgehen. Denn die meisten Studien gefallen sich darin, die werbekritische Haltung der vorgestellten Autoren vorzuführen, oder auch verdeckte Hinweise auf die kritische Substanz von Werbetexten zu betonen.

Dabei entgeht Meyer einiges, was ihm hätte wichtig sein sollen: Dass Kurt Schwitters nicht nur Werbezeilen in seinem Werk verarbeitet (und eben nicht nur im literarischen Werk), sondern sogar zeitweise seinen Lebensunterhalt als Werbemann verdiente und sich an vorderster Front in der neuen Typografie als Träger von Werbung engagierte, ist Meyer anscheinend nicht bekannt. Merkwürdig ist auch, dass Meyer angesichts von Bertolt Brechts „Singende Steyrwägen“ – vielleicht ja auch nur vorsorglich – unterstellt, Brecht könne hier lustlos gearbeitet haben, weil es sich um eine Auftragsarbeit gehandelt habe.

Schließlich ist zu monieren, dass Meyer auf ein schmales Spektrum von Werbung fokussiert ist. Dass dabei reine Konsumanzeigen wenig Aufmerksamkeit finden, mag man ja verstehen. Der so genannte ,Schweinebauch‘ ist auch für Werbeleute ein ungeliebtes, wenn auch schwieriges Gelände.

Aber dass der gesamte Bereich der Industriewerbung ignoriert wird (was als B2B, business to business, bezeichnet wird, im Unterschied zu B2C, business to customer), dass Großformen wie Prospekte, die heute in vielen Fällen storylastig angelegt werden (bis hin zu den Geschäftsberichten internationaler Unternehmen) nicht auftauchen, ist kaum nachvollziehbar. Hätte Meyer diese Formen mitberücksichtig, wäre zwar seine Fokussierung auf die erzählerischen Kleinformen (etwa der Werbespots) aufgeweicht worden, er hätte sich auch mit deutlich weniger spektakulären Formen beschäftigen müssen, sein Spektrum wäre dabei jedoch deutlich erweitert worden. Was aber auch nicht viel geholfen hätte, wenn man sich die Arbeit mit ihrem jetzigen Zuschnitt und Zugriff anschaut.

Titelbild

Urs Meyer: Poetik der Werbung.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2010.
364 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783503098927

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