Der Unwille, sich je vorzustellen, was eigentlich mit dem anderen ist

Gespräche und Briefe von Hannah Arendt und Joachim Fest rund um das umstrittene Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“

Von Esther SchröterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Esther Schröter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hannah Arendt berichtete 1963 für den „New Yorker“ vom Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Aus ihren Prozessberichten entstand der später auch auf Deutsch veröffentlichte Bericht von der „Banalität des Bösen“.

Joachim Fest, Verfasser von Büchern wie „Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft“ oder „Hitler. Eine Biographie“ und späterer Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, nahm 1964 Kontakt mit Hannah Arendt auf, vermittelt durch den gemeinsamen Verleger und kurz vor Erscheinen der deutschen Ausgabe der bis dato viel und kontrovers diskutierten Prozessreportage Arendts. In einem Radiointerview des Westdeutschen Rundfunks sollte Arendt die Möglichkeit gegeben werden, zu den Einwänden gegen ihr Buch Stellung zu beziehen. Die Autorin willigte gerne in ein Gespräch ein, lehnte es aber ab, sich in irgendeiner Form öffentlich zu verteidigen, „ich hatte niemals die Absicht, mich zu verteidigen“, heißt es in einem Brief Arendts an Fest zur Vorbesprechung des Interviews.

Nach einer informativen und überblickshaften Einleitung seitens der Herausgeber Ursula Ludz und Thomas Wild, findet sich die besagte Rundfunksendung vom 9. November 1964 abgedruckt. In dem Interview werden verschiedene Probleme erläutert, wie zum Beispiel, in wie weit man Menschen, die unter totalitären Bedingungen leben, überhaupt noch zur Verantwortung ziehen kann. Oder was „eigentlich das Eingebettetsein in einen bürokratischen Apparat für den Einzelnen“ bedeutete? „Und inwieweit verflüchtigt sich das Unrechtsbewusstsein im Instanzenzuge?“

Im Gespräch zwischen Arendt und Fest stellt sich mehr und mehr heraus, dass der Eichmann-Prozess nicht nur die Totalität des moralischen Zusammenbruchs im Herzen Europas sichtbar gemacht hat, sondern auch und was Arendt beobachtete: „Wir sind auf den Verwaltungsmassenmord nicht eingestellt in den Gesetzbüchern, und wir sind auf diese Arten der Täter nicht eingestellt.“ Schließlich geht es um die Frage, gerade in Bezug auf die Kontroverse, ob man „die Wahrheit sagen“ soll, „auch wenn man mit bestimmten legitimen Interessen einerseits und Gefühlen andererseits in Konflikt gerät“, wie es Joachim Fest ausdrückt.

Das nächste Kapitel, das die Korrespondenz von Arendt und Fest umfasst, zeigt noch einmal deutlicher, welche Themen im Interview über das Eichmann-Buch nach Meinung der Autorin selbst und nach Meinung eines aufmerksamen Lesers aufgegriffen werden sollten. Fest bezieht Einwände der Buchkritiker mit ein und interessiert sich ebenso für das philosophische Fundament der Argumentation. Er wirft zum Beispiel die Frage auf, ob die Identität des moralischen Grundempfindens in der Welt wiederhergestellt sei. Arendt schlägt vor, sollte man auf die Polemik um ihr Buch zu sprechen kommen, genauer nach den Interessen der Kritiker zu fragen und sich auf Probleme des Rechtsapparates zu konzentrieren. Fest stellt heraus, was Arendt auch immer wieder betonte, dass es in „Eichmann in Jerusalem“ keineswegs darum geht, die Verantwortung des Täters zu hinterfragen. Im Gegenteil, es handelt sich um einen Appell an individuelle Verantwortung. „Indessen hat es Ausnahmen gegeben. Die Passagen, die davon handeln, gehören zu den eindrucksvollsten Ihres Berichtes“, schreibt Fest an Arendt.

Die Korrespondenz zeigt auch, dass sich Arendt und Fest über ihre Arbeiten – in einem sehr allgemeinen Sinne ausgedrückt handelt es sich zu diesem Zeitpunkt bei beiden Autoren um Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus – austauschten. Für Arendt passte Albert Speer, der wegen seiner Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Nürnberg schuldig gesprochen wurde, nicht in die Gesellschaft, was für sie noch mehr Grund ist zu fragen: „Wie konnte diese Sache einem Mann passieren, der offensichtlich nicht in diese Gesellschaft passte?“ Weiterhin schreibt sie an Fest: „Ihre Erklärung (die ja halbwegs auch von Speer akzeptiert wird – unter ihrem Einfluss?), nämlich ,Technokrat‘, hat mir nie eingeleuchtet und leuchtet mir nach Kenntnis des Buches [,Speer. Eine Biographie‘] noch weniger ein.“

In seinem Antwortbrief greift Fest die Kritik an seinem Buch auf, er schreibt: „Ich habe während der vielen Zusammenkünfte, die ich mit Speer hatte, immer wieder versucht, herauszubekommen, wie er sich selber in dieser Umgebung gesehen hat. In der Tat ist ja sehr einfach zu begreifen, wie er an Hitler und die ganze Gang geraten ist; unsere Verblüffung resultiert ja wohl eher daraus, daß es so lange dauerte, bis er innerlich Abstand gewann.“

Im letzten Kapitel werden vier Beiträge zur Kontroverse um das Eichmann-Buch vorgestellt, deren Auswahl sich an den Gesprächen und Briefen Hannah Arendts mit Joachim Fest orientiert. Darunter zählen die Erklärung des „Council of Jews from Germany“, die die Kontroverse 1963 auslöste, ein Beitrag Golo Manns, eine Stellungnahme von Mary McCarthy, einer guten Freundin und Befürworterin der Position Arendts und ein Text von Reinhard Baumgart, der auf die philosophische Dimension des Textes jenseits der Kontroverse hinweist.

Insgesamt vermittelt das Buch „Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe“ einen authentischen Einblick in das intellektuelle Gespräch von Hannah Arendt und Joachim Fest. Gleichzeitig kann es als guter Einstieg in die Arendt-Kontroverse betrachtet werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Auf Grund der verschiedenen im Buch repräsentierten Primärtexte liefert dieser Band einen inhaltlich tieferen Einblick in die Diskussion um „Eichmann in Jerusalem“ als eine rein sachliche Darstellung der Kontroverse. Das Buch ist eine wichtige Ergänzung zur anhaltenden Diskussion um den Bericht von der „Banalität des Bösen“ und schließt in diesem Zusammenhang eine Lücke, durch umfassende und gute Anmerkungen der Herausgeber ergänzt.

Hannah Arendt, Joachim Fest: Eichmann war von empörender Dummheit.

Titelbild

Hannah Arendt / Joachim Fest: Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe.
Herausgegeben von Ursula Ludz und Thomas Wild.
Piper Verlag, München 2011.
206 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783492054423

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