Von Maschinen und ihren Menschen

Meir Shalev erzählt in seinem neuen Roman „Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger“ israelische Geschichte und Geschichten

Von Bastian SchlüterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bastian Schlüter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Anton Tschechow stammt die Regel, dass ein Erzähler, der zu Beginn seiner Erzählung einen Nagel in der Wand beschreibe, am Ende den Helden sich an eben diesem erhängen lassen müsse. Am Beginn von Meir Shalevs famosem Roman nun steht ein weitaus moderneres Haushaltsutensil, nämlich ein chromglänzender Staubsauger auf vier imposanten Gummirädern. Es muss aber, glücklicherweise, am Ende niemand an ihm zu Schaden kommen.

Dieses Gerät, motivischer Dreh- und Angelpunkt im jüngsten Roman des israelischen Schriftstellers, ist ein Geschenk eines amerikanischen Schwagers an seine ferne Schwägerin. Verpackt in eine gut gepolsterte Holzkiste macht der Staubsauger in den 1930er-Jahren eine weite Reise: von der amerikanischen Westküste über den Ozean nach Europa und von dort aus nach Palästina, wo er sein Ziel erreicht im Dorf Nahalal. Hier, unter den jüdischen Siedlern der zweiten und dritten Einwanderungswelle in das Heilige Land, soll er sein segensreiches Werk tun und gegen Staub und Dreck kämpfen. Dies aber bleibt ihm verwehrt. Denn die besagte Schwägerin und Empfängerin des beeindruckenden Geschenks hat einen guten Grund, das moderne Gerät schon nach kurzer Zeit in das wohl verschlossene Geheimzimmer ihres penibel und blitzblank geputzten Hauses zu verbannen. Was schließlich, diese Logik ist bezwingend, gibt es Dreckigeres als das Innere eines Staubsaugers? Ein Beutel, gefüllt mit nichts anderem als Schmutz und Unrat. Viel zu viel des größten Übels für die Beschenkte.

Dieser Frau von eminenter Reinlichkeit hat Meir Shalev seinen Roman gewidmet. Sie ist seine Großmutter Tonia, die mit ihrem späteren Mann in den 1920er-Jahren aus der Ukraine kommend nach Palästina eingewandert war. Großmutter Tonia, aus jeder Zeile des Romans spricht es, war eine gleichermaßen resolute wie überaus liebenswerte Frau, deren skrupulöse Sauberkeit wahrlich nicht das einzig Erzählenswerte über sie ist. Auch ist sie gar nicht allein die Hauptfigur des Romans, ihr Mann und ihre Geschwister, ihre Kinder und sonst noch allerlei Anverwandte haben ebenfalls genug erlebt und viel zu erzählen. Auf den Staubsauger, dem Großmutter Tonia das Saugen verboten hat, kommt dennoch immer wieder alles zurück. Zu einem fulminanten Mythos scheint er in der Familie des Autors geworden zu sein, über sein sonderbares Schicksal hinter Schloss und Riegel kursieren mehrere Versionen.

Und so durchstreift Shalev mit Humor und Sensibilität seine Familiengeschichte über mehrere Jahrzehnte, kommt von einer Erinnerung zur anderen und bietet den Lesern ein buntes und breites Panorama der israelischen Geschichte vor und nach der Staatsgründung von 1948. Das Zentrum macht dabei immer wieder das Dorf Nahalal aus, in dem auch Tonia mit ihrer Familie lebte. Nahalal war der erste Moschaw im späteren Israel, neben den bekannteren Kibbuzim die zweite Siedlungsform der frühen Jahre, die genossenschaftlich angelegt war.

In diesen Geschichten aus Israel, die Shalev aus der Erinnerung seiner Familie erzählt, kommen dabei weder Verfolgung noch Krieg und Auseinandersetzung mit den Palästinensern vor. Das mag für die Leser außerhalb des Landes vielleicht zunächst bemerkenswert sein, es macht aber doch den besonderen Reiz von Shalevs Roman aus. In ihm kommt eine ganz eigene Geschichte Israels zum Ausdruck, die nicht von der Bedrohung durch andere berührt und beeinflusst ist. Geprägt ist die Fabulierlust über diese eigene Geschichte nicht zuletzt von einer ins Legendenhafte, ins skurril Anekdotische tendierenden jüdischen Erzähltradition Osteuropas, der Herkunft seiner Großeltern, der Shalev damit die Ehre erweist. Was am Ende allerdings mit dem legendären amerikanischen Staubsauger geschieht, darüber haben die Familienmitglieder wieder einmal unterschiedliche Versionen zu berichten. Er scheint auf wundersame Weise nach Großmutter Tonias Tod sein jahrzehntelanges Gefängnis verlassen zu haben. Wo er ist, weiß niemand. Oder doch: er ist zusammen mit seiner Besitzerin zur Erzählung geworden. Und die zu lesen macht großen Spaß.

Titelbild

Meir Shalev: Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
281 Seiten, 20,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067798

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