Was Sie schon immer über Ihren „Italiener“ wissen wollten

Karin Küsperts Roman „Pizza klein, bitte!“ erzählt aus dem Leben eines Gastarbeiters

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Karin Küspert nimmt sich eine schriftstellerisch noch wenig erfahrene deutsche Autorin einer Thematik an, die im Rahmen der Gastarbeiter-, heute Migrationsliteratur, ausführlich und facettenreich bearbeitet wurde: der Arbeitsmigration aus Südeuropa in die Bundesrepublik. Hier sind es die 1960er-Jahre, es geht um Süditaliener und man hat das Bild des millionsten Gastarbeiters Armando Rodrigues de Sá, eines Spaniers, mit seinem Moped vor Augen, wenn man der Lebensgeschichte von Giorgio neugierig folgt.

An einem Abend in einer Pizzeria mitten in Deutschland erzählt Giorgio einem Gast, was wir schon immer ahnten und wussten: Dass Süditaliener Schlitzohren, professionelle Herzensbrecher, Machos, Lebemänner und Muttersöhnchen sind, mit Geld nicht umgehen können, von ihren Müttern über alles geliebt, zugleich dirigiert werden, und ihre Frauen hübsch, temperamentvoll und begnadete Köchinnen sind. Dass ihnen allen Deutschland zu kalt, die Familie alles und die wirtschaftliche Lage der einzige Grund ist, um in Scharen die Heimat und ihre Lieben zu verlassen. All diese Stereotypen werden – und der Leser wird noch viele, die er in meiner Aufzählung vermisst, bei der Lektüre wiederfinden – nicht etwa thematisiert und problematisiert, sondern unreflektiert übernommen.

Giorgios Vater verließ das Dorf, um das nötige Geld anderswo zu verdienen, und auch seinen Sohn zog es schon mit 14 Jahren nach Rom. Mit 18 hatte er bereits in der Schweiz und Deutschland sein Glück versucht, sein Geld zu schnell verschleudert, jungen Frauen das Herz gebrochen und andere mit seinen Streichen zur Weißglut gebracht.

Wieder einmal in den Schoß der Mutter geflüchtet, verliebt er sich in die 13-jährige Nachbarstochter Lucia. „Das Bild, das er so abgab, entsprach genau dem Klischee eines romantischen Verführers, vor dem besorgte Mütter ihre Töchter immer warnen.“ Sie wird innerhalb eines Jahres schwanger, von den Eltern verstoßen und von Giorgio geheiratet. Während seine Frau zu den Schwiegereltern zieht, muss Giorgio in Deutschland das Geld für seine neuesten Verfehlungen verdienen. Mit 16 folgt ihm Lucia nach Deutschland in das triste, harte Gastarbeiterleben, dass sich allein Giorgio ab und zu mit Eskapaden und Gelagen versüßt. Den Sohn muss die junge Mutter der Schwiegermutter überlassen und schon ist „Mama Lucia“ für Marcello beim ersten Heimaturlaub (und viele Jahre danach) nur zweite Wahl. Der Ehemann findet das als „waschechter Süditaliener“ nicht so schlimm, aber die Mutter zerbricht fast daran. Währenddessen genießt es der einfache Schweißer, bei den Heimatbesuchen im Dorf den Gönner zu spielen. Seine Eltern sind stolz auf ihren Conte, denn von nun an lautet tatsächlich „Graf“ sein Spitzname.

Als er sich nach einem Streit mit Lucia, die sich nirgendwo wohlfühlt, da ihr Mann und Sohn weder in Italien noch in Deutschland zur Seite stehen, frustriert in einer Pizzeria betrinkt, bemerkt er wie schlecht Essen und Service sind. Der Schweißer wird zum Kellner, die Näherin Lucia zur Köchin, das Restaurant deshalb zur Goldgrube. Wie erwartet haben die beiden zum Schluss ihre eigene Pizzeria. Irgendwann kommt dann auch ihr Sohn nach Deutschland und integriert sich, weil er als Italiener natürlich hervorragend Fußball spielt. Auch Lucias Eltern vergeben den Verstoßenen auf der vorletzten Seite noch.

Auch wenn der Leser im ganzen Buch wenig Überraschendes findet, so liest es sich sehr spannend. Da ein Klischee nach dem anderen abgearbeitet, dauernd hin und hergereist wird, es neue Arbeit, neue Kollegen, neue Affären und Romanzen gibt, lassen die 164 Seiten nicht genug Platz für Hintergründe oder kunstvolle Formulierungen. Schön, dass die Autorin wenigstens auf gastarbeiterdeutsche Dialoge verzichtet.

Giorgios Schicksal auf dem Buchrücken als „repräsentativ für das Leben vieler Gastarbeiter, die in Deutschland eine neue Heimat finden“ zu bezeichnen, macht das Feuerwerk an Stereotypen und Vorurteilen leider noch nicht salonfähig.

Titelbild

Karin Küspert: Pizza klein, bitte!
Verlag Neue Literatur, Jena 2011.
164 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783940085405

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