Weltmacht Wachtel

F. W. Bernsteins komische Tiergedichte

Von Stephan SperlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Sperl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer nicht glaubt, dass Goethe mit einem Kickelhahn erschlagen wurde, den belehrt F. W. Bernsteins Buch "Elche, Molche, Ich und Du" eines Besseren. Seit Jahrzehnten verfasst der als Fritz Weigle geborene Autor komische Lyrik. Vom Aurora-Astrild bis hin zur Zwergtimalie - das rund 130 Seiten große Gehege bietet Bernsteins hinreißenden Tiergedichten endlich eine Heimat.

In sechs Abschnitte ist das Buch unterteilt, den Auftakt macht "Tiere". Hier überführt Bernstein Herdersches Liebesgesäusel in die weitaus zeitgemäßere Fassung "Wenn ich ein Flugzeug wär". Auch jener aus dem Saarland stammende Kanon - vielen bislang nur als neapolitanische Canzonetta bekannt - wird als "Mein Hund, der hatte vier Ecken" neu interpretiert. Exemplarisch für Bernsteins Komik und dankbar berücksichtigt: das 1988 erstmals publizierte Gedicht "Wachtel Weltmacht?"

Schaut euch nur die Wachtel an!
Trippelt aus dem dunklen Tann;
tut grad so, als sei sie wer.
Wachtel Wachtel täuscht sich sehr.
Wär sie hunderttausend Russen,
hätt den Vatikan zerschussen
und vom Papst befreit - ja dann:
Wachtel Wachtel Dschingis-Khan!
Doch die Wachtel ist nur friedlich,
rundlich und unendlich niedlich;
sie erweckt nur Sympathie.
Weltmacht Wachtel wird sie nie!

Neben "Wachtel Weltmacht" stößt man auf den schon legendären Zweizeiler "Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher selber welche"; im Abschnitt "Elche und Gäste" verrät der zur Neuen Frankfurter Schule zählende Weigle, wie sein berühmter Aphorismus entstand. Außerdem gibt es Gastbeiträge von Wiglaf Droste, Volker Kriegel sowie Konrad Weigle, die sich mit raschelnden Kleidern, hopsenden Amseln und nackten Schafen vergnügen. Hinter "1 Mensch" verbirgt sich eine biographische Moritat: F. W. Bernstein lässt das Leben des ebenfalls in Göppingen geborenen Eduard Fuchs Revue passieren, natürlich in Reimform. Sein zeichnerisches Können stellt der Professor für Karikatur und Bildgeschichte im Kapitel "Schriftvieh und Bildtier" unter Beweis. Komische Zeichnungen korrespondieren hier mit parodistischen Texten. So persifliert Bernstein die Schauerballaden des 19. Jahrhunderts ("Ballade vom Fisch") und Franz Schuberts Liederzyklus "Winterreise" ("Die Wintermeise"). Apropos: Dem Werk des französischen Komponisten Camille Saint-Saëns widmet sich der Abschnitt "Musik". Animalische Verse zu "Le Carnaval des animaux" machen den Leser mit "Kontraschwan" und bösen "Maultierhorden" bekannt. Kalauernde Wortwitze ("Pü Reh" aus "Waldunsinn"), Nonsens-Reime - der illustrierte Gedichtband schließt mit "Zugaben und Nachlesen mit abnehmendem Sinngehalt".

Robert Gernhardt ahnte es bereits: "F. W. Bernstein wird als einer der schärfsten Kritiker der Wachtel in die deutsche Literaturgeschichte eingehen." Mit seinen feinen Reimen und Karikaturen ist "Elche, Molche, Ich und Du" zweifelsfrei ein Kleinod der Hochkomik. Nicht nur für Tierfreunde.

Titelbild

F. W. Bernstein: Elche, Molche, Ich und Du. Tierische Reime.
Verlag Antje Kunstmann, München 2000.
120 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3888972485

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