Ein Stadtporträt vom Allerfeinsten

Über David Wagners Betrachtungen zur Frage „Welche Farbe hat Berlin?“

Von Friederike GösweinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friederike Gösweiner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass David Wagner zurecht als „scharfsinniger Beobachter des Alltags“ gilt, wie es in Rezensionen zu seinen Büchern immer wieder heißt, hat der 1971 geborene Schriftsteller inzwischen mehrfach eindrücklich bewiesen – nicht nur als Romanautor, sondern auch als Feuilletonist für die Berliner Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder als Kolumnist für „Die Zeit“. Als solcher schreibt Wagner schon seit vielen Jahren über seine Wahlheimatstadt Berlin. Und eben jene kurzen Alltagsbeobachtungen und Prosaminiaturen aus den Jahren 2004 bis 2011, teilweise bereits in Zeitungen veröffentlicht, versammelt nun der im Oktober 2011 im Verbrecher Verlag erschienene Band „Welche Farbe hat Berlin?“.

Nachzulesen ist in diesem handlichen roten Büchlein im sympathischen Design des Verbrecher Verlags unter anderem, wann Schloss Monbijou abgerissen wurde, wie es derzeit um die Oderberger Straße bestellt ist, wie es rund um den Bahnhof Zepernick aussieht, warum die alte Rostlaube (FU Berlin) saniert wird oder wie sich der Rosenthaler Platz über die Jahre verändert hat. Über diesen hatte einst schon Alfred Döblin Franz Biberkopf in „Berlin, Alexanderplatz“ geschickt, was David Wagner natürlich auch weiß und in seine Beschreibung einfließen lässt: „Die Stehbierhalle Aschinger, an der Biberkopf auf seinem Weg in die Sophienstraße vorbeiläuft, befand sich nirgendwo anders als in dem Eckhaus, in dem dass Oberholz geöffnet hat.“ – Nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie genau der Autor „seine“ Stadt und ihre Geschichte(n) kennt; zweifellos, Wagner hat viel gelesen, nicht nur Döblin, sondern auch Theodor Fontane (Stechlin), und viel recherchiert, er beeindruckt den Leser mit oftmals erstaunlichem Detailwissen, vor allem was Berlins jüngere und ältere Geschichte angeht. Eine umfassende Geschichte Berlins gibt der Band zwar dennoch nicht ab, dafür wird der Leser nach der Lektüre aber in Diskussionen über Berlin mit einigem originellen Insiderwissen punkten können.

David Wagner weiß Bescheid, und von diesem Wissen, das Wagner geschickt in seine Texte einzuflechten vermag und so dem Leser herrlich unaufdringlich en passant mitgibt, leben seine Berlin-Miniaturen zu einem guten Teil. Aber sie wären nichts ohne die überragende Fähigkeit des Autors, präzise Momentaufnahmen seiner räumlichen Umgebung zu zeichnen – eines Straßenzuges, eines Platzes, eines Seeufers – und diese in wunderbar leichte, poetische Sätze zu gießen, in die sich immer wieder auch eine hübsche Portion Humor mischt und das allzu vollkommene Poesie-Stillleben wohltuend durchbricht. Zuweilen schlägt Wagner auch ernste Töne an, etwa wenn er über das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ von Peter Eisenman schreibt. Und manchmal bleibt Wagner auch ungebrochen poetisch und beschreibt einen Ausflug in den Grunewald so bezaubernd, dass der Leser eigentlich nur eins will: sofort auch dorthin.

Ein gelungenes Porträt in der Malerei, so sagt man, zeichnet nicht nur die äußere Erscheinung nach, sondern bildet auch die Persönlichkeit, das Wesen dessen ab, was porträtiert wird. Eine Stadt zu porträtieren, ist nun kein ganz leichtes Unterfangen, und Wagner ist nicht der erste und einzige, der versucht, eine Stadt literarisch zu beschreiben. Viele haben das vor ihm gemacht, in London, New York, Paris. George Perec etwa, auch das weiß Wagner, hat einmal versucht, ein paar Nachmittage lang alles aufzuschreiben, was er an der Place Saint-Sulpice wahrnehmen konnte. Er wollte das Unmögliche versuchen und „einen Ort erschöpfen“.

David Wagner versucht das gar nicht erst. Seine kleinen, liebevollen Berlin-Hommagen wollen nichts bis ins letzte Detail vollständig „erschöpfen“, sie wollen, jede für sich, nicht mehr sein als sie sind – kurze, sorgfältig geschriebene, höchst subjektive Detailaufnahmen einer Stadt, die sich ständig wandelt und deren Charakter sich vielleicht deshalb tatsächlich mit kurzen Miniaturen am besten einfangen lässt, wie das Wagner versucht. Aneinandergereiht ergeben sie ein buntes Kaleidoskop an Berlin-Impressionen, die sowohl Berlins äußere Erscheinung beschreibt, seine Denkmäler, Plätze und verborgenen Nischen, als auch das Wesen der Stadt, das Magische des Ortes Berlin, sprachlich einfängt. Mit dem Band „Welche Farbe hat Berlin?“ ist David Wagner damit zweifellos ein Stadtporträt vom Allerfeinsten gelungen – unterhaltsam, klug und voller Poesie.

Titelbild

David Wagner: Welche Farbe hat Berlin? Betrachtungen.
Verbrecher Verlag, Berlin 2011.
215 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426963

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