„Ich spiele bedingungslos mit“

Der Sonderband als Lobeshymne auf Yoko Tawada

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Band 191/192 der renommierten Zeitschrift Text + Kritik widmet sich der japanisch-deutschen Autorin Yoko Tawada und lässt Dichterkollegen, Freunde und Wegbegleiter der Literatin zu Wort kommen. Schon dies alleine macht die Besonderheit des Bandes aus, denn selbst die wissenschaftlichen Beiträge sind nicht nur analytisch, sondern auch von einer sehr poetischen Sprache geprägt und korrespondieren so auf eine sehr harmonische Weise mit den in diesem Band erstveröffentlichten Texten Tawadas.

Diese beiden kurzen Prosastücke bieten vor allem für die Leser, die Tawada erst durch diesen Band entdecken würden – wäre es aber denkbar, dass die Leser von Text + Kritik diese Star-Autorin nicht kannten? – die Möglichkeit an, das immer wieder Beschworene, die Sprache Tawadas, direkt zu erleben. Bereits der Eröffnungstext „Vierundzwanzig“ zeigt Tawadas Vorgehensweise auf und weiht den Leser in ihre Poetik ein, die sich nach dem Schneeballsystem aus Assoziationen zusammensetzt. Die inhaltlichen Assoziationen scheinen dabei vom lautlichen Klang der Wörter abgeleitet zu werden: „Ball“, „Ballung“, „Haltung“, „Ball zu halten“, „das Gehaltene“, „den Gehalt“; „mit tiefen Farben und Falten findet der letzte Kampftanz der Wale statt“, um nur einige zu nennen. Die Tawada‘sche Methode ahmen einige DichterkollegInnen in ihren Beiträgen nach, was an meditatives Sprach-Yoga erinnert. Man macht die Übung mit – an manchen Stellen sogar mit gutem Erfolg –, aber die Anleitung dafür ergibt sich aus keinem Beitrag.

Siegrid Weigel verweist sehr treffend auf die Quelle der Sprachkreativität Tawadas: „Den Klang-, Schrift- und Sprachbildern, denen die Schreibende auf ihren Übergängen zwischen verschiedenen Schriftordnungen begegnet, entlockt ihr studierendes Schreiben eine Fülle an Beobachtungen.“ Auch andere Beiträge exponieren Tawadas „fremden Blick“, der sich aus dem Unterschied der Kulturen, Sprachen und Schriften ergibt und virtuos beschrieben wird. Zwar ist ihren Texten „Differenz“ eingeschrieben, aber sie beruht auf einer tieferen, beinahe intuitiven Universalgemeinsamkeit, die es eben ermöglicht, das Unterschiedliche wahrzunehmen.

Der Autorin in ihrer sprachlich-poetischen Vorgehensweise auf die Spur zu kommen, ist äußerst schwierig, denn Tawada hat einen sprachlichen Wissensvorsprung und eine brillante philologische Ausbildung, mit denen sie ihren Leser fasziniert, sich ihm aber nie ganz offenbart. Was ihre Metaphern, Bilder, Motive auf verschiedenen Interpretationsebenen meinen, bedarf einer forschenden Lektüre, wie sie in diesem Band beispielhaft Bernard Banoun in seinem Beitrag „Leben – Schrift – Bruch. Jüdische Spuren in Texten Yoko Tawadas“ unternommen hat. Hier legt er nicht nur Bezüge zwischen dem Schwimmbad in Bordeaux und der jüdischen Geschichte der Region offen, sondern verweist auf die Bedeutung des Ortsnamen (Tel-Aviv), die sich erst in der Übersetzung aus dem Hebräischen erschließt. Bereits diese Sprachlatenz (Carmine Chiellino) vermittelt den Eindruck, wie subtil Yoko Tawada vorgeht und wie viel Arbeit sie ihrem Leser zumutet. Solche Latenzen, Verschränkungen, Verdichtungen und Bedeutungsüberlappungen sind sowohl auf der sprachlichen Ebene als auch im Zusammenhang mit historischen Ereignissen, Mythen, Riten und Aberglauben zu entdecken.

Besonders große Bedeutung kommt der Intertextualität und den Personenreferenzen hinzu. Diese Aspekte werden im vorliegenden Band aber kaum thematisiert. Der bereits erwähnte Beitrag von Bernard Banoun exponiert die Bedeutung von Gershom Scholem, Paul Celan, Franz Kafka und Walter Benjamin neben Heinrich von Kleist und E. T. A. Hoffmann für das Werk Tawadas. Zurecht verweist Banoun auf die Bezüge zu den Autoren dieser „kleinen“ (Gille Deleuze und Félix Guattari) Literatur. Dabei wäre es auch interessant zu vergleichen, auf welche Autoren deutscher Sprache sich andere interkulturelle Autoren, die in die deutsche Sprache „eingewandert“ sind, beziehen. Bei genauer Betrachtung kann man feststellen, dass diese Bezugnahmen den Sprachwechslern wie Wegweiser in der neuen Sprache erscheinen können. Der Vergleich Yoko Tawadas mit anderen interkulturellen AutorInnen sollte man nicht scheuen, denn dadurch lassen sich Muster und Motive erfassen, die das Schreiben in der neuen Sprache begleiten.

Die sehr gute Handreichung von Christine Ivanovic und Miho Matsunaga „Tawada von zwei Seiten – Eine Dialektüre in Stichworten“ ist eine Art „Tawada-Glossar“, das eine ausführliche und schnelle Auskunft über die Begriffe und Themen darstellt, die wie ein roter Faden das Werk der japanisch-deutschen Autorin durchziehen: Auge, Asien, Finger, Fisch, Haut, Ohr, Schriftzeichen, Stein, Stimme, Tier und Zunge. Auch auf das Motiv des Dolmetschers / Übersetzers wird hingewiesen. Diese informativen, biografischen Angaben sind zwar für die Interpretation sehr hilfreich, aber ebenfalls wichtig ist darauf zu verweisen, dass das Motiv des Dolmetschers / Übersetzers und des Sprachenlehrers sich bei sehr vielen interkulturellen AutorInnen findet. Dies kann zum Einen als das ständige Pendeln zwischen zwei Sprachen im Prozess des Schreibens gedeutet werden, zum Anderen spiegelt es die Realität des Lebens in einer neuen Kultur wieder. Der Unterschied der meisten dieser AutorInnen zu Tawada besteht aber darin, dass dieses Motiv in ihren Werken irgendwann schwindet, weil sie sich auf die neue Sprache ganz eingelassen haben. Tawada, die auf Deutsch und Japanisch schreibt, befindet sich dagegen im permanenten Prozess des Pendelns, so dass das Übersetzer-Motiv ihr Werk weiterhin begleiten wird. Dennoch ist das „Tawada-Glossar“ sowie die von Ivanovic und Saito zusammengestellte Bibliografie eine unverzichtbare Grundlage für alle weiteren Auseinandersetzungen mit dieser Autorin.

Wenn Linda Koiran und Sigrid Weigel auf die verschiedensprachigen Texte im Werk Tawadas aufmerksam machen, würde sich der Leser in der Tat die von Matthew Königsberg vermutete Frage nach dem Unterschied zwischen den japanischen Geschichten und Romanen Tawadas und ihren deutschen Werken stellen. Leider wird die Antwort darauf in diesem Band nur ansatzweise gegeben. Königsbergs überraschende und „ernüchternde Antwort: Es gibt keinen Unterschied“ müsste als Antithese überprüft werden. Ebenso die Frage, wie sich die Sprache der japanischen Texte von der der deutschen Werke unterscheidet, werden sich weitere Forschungen zu Yoko Tawada annehmen müssen. Eine entsprechende Sprachkompetenz ist hierfür unabdingbar. Interessant ist auch zu fragen, inwieweit die japanischen Texte Tawadas sich aus den Differenzen zwischen dem Deutschen und Japanischen, zwischen Europa und Asien konstituieren.

Tawadas Texte werden den Lesenden sicherlich vor weitere Fragen stellen. In ihrem Prosastück „Vierundzwanzig“ heißt es: „Ich verhandle nicht mit ihnen, ich spiele bedingungslos mit.“

Titelbild

Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Yoko Tawada.
edition text & kritik, München 2011.
171 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783869161440

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