Im Schatten des Klimawandels
Jeremy Rifkin entwirft in seinem Buch „Die dritte industrielle Revolution“ ein ermutigendes Bild einer humaneren Zukunft ohne Öl, Atom und Großkonzerne
Von Klaus-Jürgen Bremm
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm eigenen Land gilt der Prophet wenig. Dieses Diktum lässt sich offenbar auch auf den amerikanischen Soziologen Jeremy Rifkin anwenden, dessen Thesen über eine dezentrale und ökologische Wirtschaft der Zukunft im alten Europa offenbar mehr Anklang finden als in der so genannten Neuen Welt. Jedenfalls präsentiert sich Rifkin in seinem aktuellen Buch „Die Dritte Industrielle Revolution“ als enger Vertrauter europäischer Spitzenpolitiker, die seinen Anregungen zu Meetings und Fördermaßnahmen offenbar bereitwillig folgen.
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint sich der renommierte Lehrer an der Wharton School of Business regelmäßig auszutauschen, während US-Präsident Obama trotz seiner zahlreichen ökologischen Lippenbekenntnisse den Rat seines heimischen Auguren bisher offenbar nicht beansprucht hat. Mit dem typischen Optimismus eines Amerikaners sieht Rifkin den Klimawandel und seine bedrohlichen Konsequenzen auch als Chance, die Weltökonomie von Grund auf zu revolutionieren. Kerngedanke ist dabei, alle bisherigen Maßnahmen zur Dekarbonisierung der großen Volkswirtschaften endlich zu einem integrierten Konzept der Verwendung erneuerbarer Energien zu bündeln und mit einem propagandistisch verwertbaren „Narrativ“ zu versehen.
Rifkin spricht hier von den „fünf Säulen der Industriellen Revolution“, womit er den konsequenten Einsatz erneuerbarer Energien meint, ihre dezentrale Erzeugung in so genannten (privaten) Minikraftwerken sowie innovative Speichertechniken auf Wasserstoffbasis kombiniert mit intelligenten Verteilernetzwerken (Energy-Sharing-Nets). Als fünfte Komponente fordert er die vollständige Umstellung aller Fahrzeugflotten auf Elektro- oder Brennstoffzellenbetrieb. Nach Ansicht Rifkins steht die Menschheit jetzt bereits am Ende der so genannten Zweiten Industriellen Revolution, deren Schmiermittel Öl und Atomenergie waren. In der nachhaltigen Verteuerung fossiler Energieträger sieht er auch – durchaus eine gewagte These – die wahre Ursache der gegenwärtigen Finanzkrise. Die dritte (und offenbar letzte Phase) der industriellen Revolutionen seit 1800 wird daher nach Ansicht Rifkins vollkommen auf den erneuerbaren Energien beruhen, deren Potential er mit eindrucksvollen Zahlen zu belegen versucht.
So ließe sich allein durch die bisher kaum erschlossene geothermische Energie auf dem Territorium der Vereinigten Staaten, deren energetischen Gehalt dem von 75 Billionen Tonnen Öl entspräche, der gesamte Energiebedarf des Landes für die nächsten 30.000 Jahre (!) decken. Darüber hinaus könnte man jedes halbwegs stabile Gebäude auf der Welt als Minikraftwerk nutzen, wenn es mit intelligenter Technik zur Nutzung von Sonnen- und Windenergie versehen würde.
Voraussetzung dazu sind allerdings gewaltige Investitionsprogramme, die Rifkin nicht der Privatwirtschaft allein zutraut. Hier müsse der Staat massiv eingreifen und mit Förderprogrammen diesen gewaltigen Transformationsprozess steuern, der in seiner endgültigen Ausprägung allein auf dem Gebiet der 27 EU-Mitgliedsstaaten etwa 190 Mio. Minikraftwerke hervorbringen könnte. Bei der Speicherung und Distribution der so erzeugten Energie setzt er auf Wasserstofftechnologie und Internetnetze. In einer gewaltigen Strombörse könnte dann jeder Hausbesitzer grenzüberschreitend als Nachfrager und Anbieter von Strom auftreten. Selbst die gespeicherte Energie der zukünftig elektrisierten oder mit Brennstoffzellen betriebenen Fahrzeugflotten könnte in ein gigantisches dezentrales Netz abgegeben werden, wenn die Fahrzeuge gerade nicht benötigt werden.
Die Rolle der großen Energieversorger sieht Rifkin in Zukunft beschränkt auf eine Art Moderator dieses Prozesses und Bereitsteller der notwendigen Infrastruktur. Nicht nur die Wirtschaft wird sich nachhaltig verändern und ihre zentralen und hierarchisch aufgebauten Strukturen aufgeben müssen, wenn sich Produzenten und Verbraucher direkt im Internet abstimmen und maßgeschneiderte Lösungen vereinbaren können. Auch die Gesellschaften werden sich transformieren. Zentrale Werte wie Besitz und Bildung werden neu definiert. Zugangsrechte zu wichtigen Ressourcen wie Energie und Informationen dürften nach Ansicht Rifkins in Zukunft wichtiger sein als exklusive Verfügbarkeit und statisches Wissen, wie es jetzt noch in den meisten Schulen der Welt vermittelt wird. Auch wenn der Verfasser viele Aspekte seiner Vision einer neuen Welt nur skizzieren kann, und vieles von Kritikern noch als unausgegoren verworfen wird, so ist doch hier immerhin der ernsthafte Versuch unternommen worden, konsequent alle technischen, sozialen und energetischen Aspekte einer dezentral organisierten und ökologischen Weltwirtschaft zusammen zu denken.
Tatsächlich lässt sich das alles kaum noch als Zukunftsmusik abtun. Rifkin kann eine beachtliche Liste von Unternehmen und Pilotprojekten aufzählen, die bereits jetzt an der Dritten Industriellen Revolution arbeiten. Immer mehr Betriebe investieren in eigene, weitgehend autarke Energieversorgungen auf regenerativer Basis. Erstaunlich an Rifkins Darstellung aber ist, wie sehr die wichtigsten Entscheidungsgremien der Europäischen Union schon seine Agenda übernommen haben. Das Konzept der Dritten Industriellen Revolution scheint tatsächlich längst – kaum beachtet von der Öffentlichkeit und den Medien – von Brüssel in eine politische Programmatik umgesetzt worden zu sein, in der das dreifache 20 Prozent-Soll (Höhere Effektivität, weniger Schadstoffe, mehr erneuerbare Energie bis 2020) nur eine Etappe sein wird. Im Mai 2007 verabschiedete das Europaparlament in Straßburg eine Resolution, in der sich die Vertreter der 27 EU-Staaten sogar offiziell zum Konzept einer Dritten Industriellen Revolution und der Vision einer neuen Wirtschaft bekannten.
Der Begriff ist längst schon eine Art weltweites Label. Rifkin selbst moderiert inzwischen als Vorsitzender eines Third Industrial Revolution Business Round Table für die Städte San Antonio (Texas), Monaco, Rom und Utrecht die erforderlichen Transformationsprozesse, mit deren Hilfe sich die genannten Kommunen zu Pilotprojekten der neuen dezentralen und ökologischen Wirtschaft entwickeln wollen. Das handlungsleitende Motiv ist in allen Fällen das Konzept der „Dritten Industriellen Revolution“, das damit auch den Bereich der grauen Theorie verlassen haben dürfte.
Ob dabei nun tatsächlich, wie von Rifkin prophezeit, nicht nur neue Gesellschaftsformen, sondern sich auch ein neuer Mensch mit einem neuen ganzheitlichen Denken (Biosphärenbewusstein) entwickelt, bleibt abzuwarten. Bei der notwendigen Energiewende bleibt jedoch keine Zeit mehr, vielleicht ist die rote Linie sogar schon überschritten.
Bis 2050 müssen die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt vollständig dekarbonisiert sein, andernfalls besteht nach fast einhelliger Auffassung der Wissenschaft keine Aussicht mehr, das Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius (gerechnet seit Beginn der Industrialisierung) zu erreichen. Jenseits dieser Marke aber muss mit apokalyptischen Folgen gerechnet werden, die weite Teile unseres Planten unbewohnbar machen dürften. Falls sich die Weltgesellschaft nicht endlich auf konzertierte Aktionen zur Abwendung dieses Katastrophenszenarios einigen kann, bleibt eben kein anderer Weg, als dass einzelne Volkswirtschaften oder Regionen voranpreschen und zunächst im Alleingang versuchen, das Konzept einer neuen dezentralen Wirtschaft auf der Basis erneuerbarer Energien zu realisieren.
Funktioniert es, werden die anderen rasch folgen, zumal damit – wie Rifkin wiederholt betont – auch beachtliche Gewinnmöglichkeiten und viele neue Arbeitsplätze verknüpft sind. Kommt es zum Fehlschlag, sieht es düster aus, aber nicht düsterer, als wenn unter den alten Paradigmata weitergewurschtelt wird. Zu verlieren gibt es also nichts und es ist erfreulich, dass Rifkin, der immerhin zu den ersten Autoren gehörte, die seit den 1980er-Jahren wiederholt vor den Folgen eines anthropogen verursachten Klimawandels gewarnt haben, nicht in Kassandrarufe verfällt, sondern trotz aller Risiken ein überaus optimistisches Szenario einer näher zusammen gerückten Welt entwickelt, die vielleicht sogar lebenswerter und gerechter sein wird, als die bisherige.
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