Der „Nicht-Despot-Despot“ und die Dichtung

Der Sammelband „Despoten dichten“ von Albrecht Koschorke und Konstantin Kaminskij fragt nach dem Verhältnis von Literatur und Tyrannei

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als tyrannische und inhumane Diktatoren erlangten sie eine unrühmliche Popularität – ob Josef Stalin, Mao Zedong oder Saddam Hussein, sie alle wurden durch Rücksichtslosigkeit und menschenverachtende Brutalität weltweit ebenso bekannt wie gefürchtet. Weniger geläufig ist hingegen eine andere Seite ihres Wirkens: ihre schriftstellerische Aktivität. Dabei ist es gerade der Aspekt der intensiven literarischen Tätigkeit, der eine interessante Parallele im sonst so unterschiedlichen Führungsstil dieser Herrscher darstellt. Der Sammelband „Despoten dichten. Sprachkunst und Gewalt“ nimmt sich nun dem Nexus aus Motivation, Argumentationsstruktur und Folgewirkung dieser Texte an und liefert damit Anstöße der „vergleichenden Diktatorologie“, wie die Herausgeber Albrecht Koschorke und Konstantin Kaminskij, beide Literaturwissenschaftler an der Universität Konstanz, ihr Arbeitsfeld umreißen.

Dabei wird zunächst einmal eine Kernfrage in den Blick genommen: Wie politisch ist Literatur überhaupt? Seit Jahrhunderten herrscht in unserer westlichen Welt das Bild vor, Schriftsteller und Herrscher gehörten zweier verschiedener, nicht verbundener Kosmen an. Auf der einen Seite steht der politische Souverän, auf der anderen Seite der machtferne Künstler, nur verbunden durch eine „schweigende[r] Kooperation“ über unterschiedliche Sphären hinweg. „Herrschaft und Dichtkunst bewohnen, so will es das Klischee, weit auseinanderliegende Welten“, beschreiben Koschorke und Kaminskij diese Scheinsituation. Dabei ist das Verhältnis realiter viel komplexer und von gegenseitig bedingter Art. Vor allem Diktatoren nutzten in der jüngeren Vergangenheit die Möglichkeit der Literatur, um ihren ultimativen Herrschaftsanspruch auf unterschiedlichste Weise zu legitimieren. Sie trachteten danach, den Graben zwischen intellektuellen Künsten und den politischen Verhältnissen durch schriftstellerisches Schaffen zu überwinden. Zugleich stelle diese literarische Ambition demonstrativ einen ultimativen Herrschaftsanspruch dar; der Despot gibt sich schon qua definitionem nicht mit dem politischen Bereich zufrieden, sondern strebt danach, sich auch in der kulturellen Welt zu profilieren.

„Du bist heldenhafter als ein Held und doch bescheiden, / Du bist kampffreudiger als der Kampf, aber dennoch ehrenvoll auf dem Schlachtfeld! / Du bist stark und nichts kann dich beugen, / Aus dem Karakum bist du, Turkmene, die unbesiegbare Erzmine!“ Diese und andere Verse dichtete der langjährige turkmenische Alleinherrscher Saparmyrat Nyýazow im Jahre 2001. Was er seinem Land nach seinem Tode 2006 hinterließ, war das Buch „Ruhnama“ – eine Schrift, um die sich im postsowjetischen Turkmenistan ein von der Regierung forcierter Kult entwickelt hat. In seinem Beitrag macht der Bonner Literaturwissenschaftler Riccardo Nicolosi die Motive des Autors deutlich und zeigt die auffällige Ausnahmestellung des Buches auf. Die Verehrung „Ruhnamas“ geht zum einen auf das entworfene Weltbild zurück: Nyýazow konstruiert in seinem Hauptwerk eine durch tribalistische Tradition geprägte nationale Identität. Er selbst tritt in seiner Geschichte als einende, den genuinen Gegensatz von Stammeskultur und Nationalstaat überwindende Führergestalt auf. Zum anderen sorgten auch zielgerichtete Rahmenaktionen Nyýazows für die Zentralstellung: So wurde ein überdimensionales Monument des Buches errichtet, das mit öffentlichen Lesungen und weiteren multimedialen Vorführungen bis heute eine enorme Strahlkraft besitzt. Darüber hinaus wurde „Ruhnama“ zentrales Schriftstück des Bildungssystems und die Vernichtung etlicher Geschichtsbücher, die der Lehre Nyýazows entgegenstanden, tat ein Übriges zu dieser exklusiven Stellung des Werkes.

Der Beitrag Nicolosis ist das Meisterstück des Bandes: Er bietet eine kurze Charakteristik und Einordnung des Autors, stellt dessen Hauptwerk vor, hinterfragt den Inhalt kritisch und zeigt die langfristigen Folgen des Buches auf. Nicolosi legt dar, wie die „Modellierung einer nationalen Identität“ durch die Literatur des Diktarors im Fall Turkmenistans unter Nyýazow vonstattenging.

Doch auch die anderen Beiträge vermitteln ebenso interessante wie bisweilen überraschende Zusammenhänge und Erkenntnisse: Die Autoren unterziehen die Vielfalt des literarischen Schaffens von Benito Mussolini, Josef Stalin, Adolf Hitler, Kim Il-sung, Mao Zedong, Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein und Radovan Karadžić einer näheren Analyse. Darunter finden sich bekanntere Werke wie Maos „Kleines Rotes Buch“ und Hitlers „Mein Kampf“, aber auch weniger populäre Dichtung wie al-Gaddafis Erzählungsband „Das Dorf, das Dorf, die Erde, die Erde und der Selbstmord des Astronauten“, in dem sich der 2011 gestürzte und getötete Herrscher als „Nicht-Despot-Despot“ charakterisiert, der vom Volk unterdrückt werde. Dabei versuchen die Autoren stets, das große Ganze in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen zu stellen, die Merkmale des Schriftguts in Verbindung zu den politischen und gesellschaftlichen Umständen der Despotie zu setzen. Während Stalins Texte so eine „zwiefache Lektüre“ erfordern würden und sein „Kurzer Lehrgang“ eine „Pforte ins Königreich Sozialismus“ weise, wären die Auftritte Mussolinis „eine moderne politische Version eines Orgasmus“.

Eingerahmt werden diese Untersuchungen zu den dichtenden Despoten des 20. und 21. Jahrhunderts durch einen einleitenden Beitrag zur „artistische[n] Selbstexpansion“ Neros und einem abschließenden Essay zum generellen Verhältnis von Poesie und Tyrannis. Leider wirkt der erste Aufsatz über das bekannte Bild des singenden Nero vor der Kulisse des brennenden Roms gleich in mehrfacher Hinsicht deplatziert: Zum einen handelt er inhaltlich in der Hauptsache von der generellen Kunstliebhaberei und Kunstausübung Neros und nur am Rande von seinem literarischen Schaffen. Zum anderen fällt die Person Neros aus der Reihe, da es sich hier um den einzigen Despoten in diesem Band handelt, der außerhalb der jüngeren Geschichte anzusiedeln ist; der Brückenschlag über rund 2.000 Jahre Geschichte hinweg mutet zumindest eigentümlich an – gleichwohl wäre es durchaus spannend, mehr über die Verschränkung von Literatur und Gewalt bei den antiken Tyrannen zu erfahren.

Doch nicht nur auf der vertikalen Zeitachse weist „Despoten dichten“ zwangsläufig einige Lücken auf. Auch fokussiert sich der Band in der Horizontale auf Gewaltherrscher Europas, Ostasiens und Arabiens – eine Lücke, die deutlich schwerer zu verschmerzen ist. Wenngleich von Seiten der Herausgeber ein Anspruch auf Vollständigkeit nicht nur nicht gestellt, sondern sogar ausgeschlossen wird, so wäre der Einbezug von afrikanischen und vor allem lateinamerikanischen Despoten sicherlich ebenso fruchtbar wie ergebnisfördernd.

Bei all der Aufmerksamkeit um die Schriften der Tyrannen darf jedoch nicht der Fehler gemacht werden, diese Werke als große Literatur zu interpretieren. Vielmehr griffen die Despoten auf längst bekannte, aus der romantischen Tradition stammende Muster zurück. Eine gewisse „literarische Kultiviertheit“ wird lediglich Mao Zedong zugesprochen, der den Brauch des schreibenden chinesischen Beamten fortführte und mit „Nähe zur archaistischen“ und „legalistisch-konfuzianischen Tradition“ dichtete. So entstanden in aller Regel oberflächlich bleibende, klischeehaft-skizzenhafte Werke aus unterschiedlichsten Genres, die weniger einem dichterisch-intellektuellen Anspruch entsprangen, sondern eher von einem aus der Zeit der Jugend und des militärischen Widerstandes stammenden Gefühl herrührten. So war Literatur „nicht schöngeistige Kür“ der Herrschaft, „sondern Pflicht bis in den Tod“. In letzter Konsequenz diente sie meist nur zur Legitimierung der Herrschaft und Erhöhung der Nation sowie zur Mythenbildung um die eigene Person. Letztlich zeigt der Band „Despoten dichten“ die „abgründige Verbundenheit von Tat und Geist“, den hohen Grad der politischen Instrumentalisierung der Dichtung unter Gewaltherrschern und liefert so neue Anstöße zur Forschung auf dem Gebiet der „vergleichenden Diktatorologie“.

Titelbild

Albrecht Koschorke / Konstantin Kaminskij (Hg.): Despoten dichten.
Konstanz University Press, Paderborn 2011.
362 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783862530151

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