Kurze goldene Jahre

Ihre Zeichnungen gaben den Goldenen Zwanziger Jahren ein Gesicht: Dörte Clara Wolff, genannt Dodo. Ihr Werk ist jetzt in einem Katalog zu besichtigen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Leben besteht aus mehr als einem Werk, und doch kann ein Werk den Blick auf ein Leben bestimmen. Wie im Fall der Zeichnerin Dörte Clara Wolff. Die 1907 als Tochter einer wohlhabenden deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie geborene Wolff machte sich Ende der 1920er-Jahre als Illustratorin binnen kurzem einen Namen. Ihre Karriere dauerte allerdings nur knapp zwei Jahre. Dann verlor die unter dem Namen Dodo zeichnende Künstlerin ihr wichtigstes Publikationsforum, die Zeitschrift „Ulk“. Mehr als 60 Illustrationen sollten es zwischen 1927-1929 für den „Ulk“ werden, ein lange nachwirkendes Werk, auch wenn es aus dem Bereich der angewandten Kunst und der Illustration stammt. Die Weltwirtschaftskrise machte den Goldenen Zwanzigern ein Ende und der Karriere Dodos zugleich mit.

Zwischen 1927 und 1929 zeichnete Dodo ihre Porträts der mondänen Gesellschaft, des Neuen Berlins und auch der Neuen Frau. Ihre überschlanken, gelangweilt einherblickenden jungen Frauen, die sich – a la mode gekleidet, perfekt frisiert und herablassend in der Haltung – von wohlhabenden Männern aushalten lassen, passen für das heutige Auge überaus gut in die überschießende Welt der Vergnügungskultur, die in den 1920er-Jahren ihren Zug in die Moderne antrat. Der kühle Blick, die stark geschminkten Gesichter, die mondäne Ausstattung – diese Frauen bewegen sich in einem kleinen Segment der modernen städtischen Kultur, das von Reichtum und Eleganz bestimmt ist. Und das sich jederzeit überall hin übertragen lässt. Egal ob Berlin oder die Alpen, diese Frauen sind überall sich selbst genug.

Mit kaltem Charme blicken sie ihre Betrachter an, während ihre Männer kaum der Rede wert sind. In der kleinen Serie „Abstieg“ werden sie älter je mehr sie in der Lage sind, den Damen die angemessene Ausstattung zu bieten. Und blasser.

In „Wedding auf dem Dachgarten“ (1929) sind die Männer auf zwei Rollen beschränkt, auf die des Obers und die des Finanziers, der übellaunig durch sein Monokel starrt und an seiner Zigarre saugt. Der „Held“ des gleichnamigen Blattes von 1928 mag sich seiner Eroberung rühmen. Ihr gelassener und unberührter Blick aber zeigt, dass er sich ihrer nicht sicher sein kann. Ob sie sein Ausstattungsstück ist oder er das ihre, bleibt offen. Diese Frauen scheinen jedenfalls immer auf der Suche nach einem noch besseren Ausstatter zu sein, denn nichts währt ewig, nicht einmal Reichtum.

Dominant sind diese Frauen, die nichts zu berühren scheinen und deren Hauptehrgeiz anscheinend darin besteht, ihre Oberfläche möglichst glatt und unbeteiligt erscheinen zu lassen. Nichts regt sich in diesen Gesichtern, die Miene ist blasiert, der Mund verschlossen, vielleicht verkniffen, die Augen sind zu schräg stehenden Schlitzen verengt.

Die Generalausrichtung, die Dodo ihren Blättern gibt, weist in zwei Richtungen: Männer beschauen Frauen und Frauen schauen den Betrachter an. Damit entwirft Dodo das ikonografische Gegenmuster zu Christian Schads Selbstbild aus dem Jahr 1927, in dem der Mann aus dem Bild herausblickt, während die Frau abwesend zur Seite schaut.

Bei Dodo ist das anders: Hier sind es die Frauen, die aus dem Bild herausschauen, nicht zuletzt Demonstration ihres neuen Selbstbewusstseins, mit dem sich Frauen (als ehemals schwaches und aufs Haus geworfenes Geschlecht) zu Akteurinnen des öffentlichen Lebens gemacht haben. Ihre Präsenz ist davon bestimmt: Frisuren, Gesicht, Blick, Haltung, alles das, was diese Bilder zu typischen Erscheinungen dieser Goldenen Jahre machte, findet sich in den Blättern, die in diesem Band zusammengestellt sind.

Gefühlskalt kann man solche Haltungen nennen, und dennoch sind sie die einzig angemessene Art mit dem Chaos der Neuen Zeit umzugehen. Das urbane Leben fordert solche Gefühlskälte, die Georg Simmel schon als „blasiert“ bezeichnet hat. Niemanden an sich heranzulassen, bedeutet ja eben nichts anderes, als jeden anderen auf seinen subalternen Platz zu verbannen. Gibt es eine bessere Demonstration eines antipsychologischen Ansatzes als diese Zeichnungen? Hier wird ein Konzept entwickelt und vorgestellt, mit dem man in der Moderne überleben kann, zumindest in einer Moderne, in der die Mode, das Nachtleben und finanzielle Unabhängigkeit die wichtigsten Elemente sind.

Die Karriere Dodos ist nur kurz, wenn auch heftig. 1926 – noch nicht 20 Jahre alt – schließt sie ihre Ausbildung in der privaten Kunst- und Kunstgewerbeschule Albert Reimann in Berlin-Schöneberg ab. Ein Jahr später landet sie beim „Ulk“ und findet genau das Medium, das zu ihr passt, und muss 1929 bereits ihre Karriere beenden. Danach verschwindet Dodo weitgehend aus den Medien und aus der Öffentlichkeit. Drei Ehen mit zwei Männern, zwei Kinder und zwei Abtreibungen, die Überlast der jungen Mutter, das englische Exil ab 1936, kleinere Auftragsarbeiten kennzeichnen die weiteren Jahre – die öffentliche Wirkung Dodos verblasst binnen weniger Jahre, auch wenn das Leben Dodos ereignisreich geblieben sein mag. Das was davon übrigbleibt, ist ein Werk, das eng verbunden ist mit jenen Jahren, in denen die Moderne zu sich selbst kommen wollte, und dabei eben auch ihre größten Krise erlebte.

Titelbild

Renate Krümmer (Hg.): Dodo. Leben und Werk 1907 - 1998.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012.
216 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783775732741

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