Update wurde nicht ausgeführt

Mit „Drama und Regie. Lars von Triers Breaking the Waves, Dancer in the Dark, Dogville“ hat Georg Tiefenbach ein eigenartiges Buch zu drei Filmen des dänischen Regisseurs vorgelegt

Von Andreas KirchnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Kirchner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob es eine Folge seiner mal mehr, mal weniger gezielt fabrizierten Skandale ist, oder ob es an der Qualität seiner Filme liegt, lässt sich schwerlich sagen: Ein prominenter Platz in den Feuilletons ist Lars von Trier jedenfalls alle zwei bis drei Jahre – so viel Zeit vergeht in der Regel, bis er einen neuen Film präsentiert – sicher. Und auch Kulturwissenschaftler verschiedener Disziplinen schenken dem dänischen Regisseur und seinem Werk ungebrochene Aufmerksamkeit.

In „Drama und Regie“ hat sich der um einen Austausch von Theorie und Praxis bemühte (Drehbuch-)Autor, Dramaturg und Theaterwissenschaftler Georg Tiefenbach mit „Breaking the Waves“ (1996), „Dancer in the Dark“ (2000) und „Dogville“ (2003) drei der bekanntesten Filme aus von Triers umfangreichem Œuvre herausgepickt und aus theaterwissenschaftlicher Perspektive untersucht. Sein in der Einleitung formuliertes Anliegen ist es, „Dramaturgie und Realisierung in ihrer Allgemeingültigkeit zu verstehen und zu erläutern“, was an den ausgewählten Filmen konkretisiert werden soll. Neben der Analyse der ausgewählten Filme sind es seine erklärten Ziele, „eine Entwicklung vom Naturalismus zu Abstraktion und Reduktion zu untersuchen“ sowie „der Frage nachzugehen, wie Trier seine Zuschauer in seinen Bann zieht und wie Emotionalisierung auf hohem Niveau möglich ist, ohne zu Effekthascherei zu verkommen“.

Ein solch hoch gesteckter Anspruch weckt entsprechende Erwartungen. Umso überraschender, dass der Autor eines 2010 erschienenen Buchs nicht nur auf eine Einbeziehung der einschlägigen Publikationen zu Lars von Trier aus den letzten Jahren (etwa „Playing the Waves“ von Jan Simons oder „The Cinema of Lars von Trier – Authenticity and Artifice“ von Carolin Bainbridge, beide 2007) verzichtet, sondern auch die in jüngerer Zeit erschienene Literatur zu den Themenkomplexen Suggestion/Manipulation (zum Beispiel „Ritual & Verführung“ von Marcus Stiglegger, 2006 ) und Emotionalität (etwa die Sammelbände „Kinogefühle“, 2005 oder „Audiovisuelle Emotionen“, 2007) ignoriert. Die Überraschung legt sich allerdings, sobald man bemerkt, dass sämtliche Internetquellen letztmalig im Frühjahr 2005 konsultiert wurden und im selben Jahr auch die Filmografien abbrechen. Offenbar schlummerte das Manuskript zur vorliegenden Studie einige Jahre auf einer Festplatte und wurde zur Veröffentlichung nicht noch einmal überarbeitet.

Dass nicht nur auf die aktuelle Forschungs-, sondern zudem auch weitgehend auf filmwissenschaftliche Basisliteratur verzichtet wurde, lässt sich trotz der theaterwissenschaftlichen Prägung der Arbeit nur schwer entschuldigen. Dieser Verzicht hat nicht nur einige bedenklich unreflektierte Verwendungen zentraler Begriffe wie „Stil“ und „Naturalismus“ zur Folge, sondern führt auch dazu, dass der Autor sich der herausragenden Bedeutung des Editings offenbar erst während des Schreibprozesses bewusst wurde, obwohl elaborierte Reflexionen über die Montage schon seit dem frühen 20. Jahrhundert den Kern einflussreicher Filmtheorien bilden – am prominentesten sicher bei den Klassikern Eisenstein und Pudovkin.

Wäre es also besser gewesen, das Manuskript hätte das Licht der Öffentlichkeit nie erblickt? Nein. Trotz der offensichtlichen theoretischen Schwächen profitiert „Drama und Regie“ von den praktischen Erfahrungen des Autors und eröffnet einige neue Perspektiven auf die analysierten Filme und das Werk Lars von Triers. Der Rückgriff auf die Originaldrehbücher und Interviews mit drei Mitarbeitern Triers (der Kostümbildnerin Manon Rasmussen, der Cutterin Molly Malene Stensgaard und dem Tonmeister Per Streit) liefert Einblicke in die Dynamik des filmischen Entstehungsprozesses und veranschaulicht, wie sehr das Filmemachen auf einem Zusammenwirken verschiedener kreativer Köpfe beruht. Diese Würdigung der Mitarbeiter wird gerade bei Regisseuren, denen der Status eines Auteurs zugesprochen wird, allzu häufig vernachlässigt. Erhellend ist auch die Offenlegung zahlreicher Bezüge zu verschiedenen Texten, Filmen und Kunstwerken und die damit einhergehende intermediale Verortung der untersuchten Filme. In diesem Zusammenhang ist auch die konkrete Bezugnahme auf Texte der Regisseure Carl Theodor Dreyer, Ingmar Bergman und Andrej Tarkowskij zu erwähnen, die in anderen Publikationen eher allgemein und unkonturiert als wichtige Einflüsse für die Filme Lars von Triers genannt werden.

Insgesamt hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits wird man das Gefühl nicht los, man halte eine mit theoretischen Mängeln behaftete, zeitverzögert publizierte Abschlussarbeit in Händen, bei der vor der Veröffentlichung kein Update mehr vorgenommen wurde und für eine sorgfältige Überarbeitung des Layouts (ein Großteil der häufig viel zu kleinen Abbildungen ist im falschen Seitenverhältnis dargestellt) die Zeit gefehlt hat. Andererseits kann man dem Autor eine gewisse Chuzpe nicht absprechen, die es ihm erlaubt, trotzdem zu schlüssigen Analysen und interessanten Ergebnissen zu gelangen. So bedingen die Schwächen des Bandes gewissermaßen seine Stärken und eröffnen einen frischen Blick auf die behandelten Filme. Ruft man sich in Erinnerung, dass „das Vergessen von Fachkompetenz, nutzloser Routine, nutzlosem Schönmachen“ zur Wiedererlangung eines „naiven Blicks“ eine der zentralen Forderungen Lars von Triers an die Bildgestaltung von „Breaking the Waves“ gewesen sein soll, drängen sich gewisse Parallelen zum vorliegenden Band geradezu auf. Doch während der Film zu einem Meilenstein im Werk des Dänen wurde, ist „Drama und Regie“ weit davon entfernt, vergleichbare Bedeutung in dessen Erforschung zu erlangen.

Titelbild

Georg Tiefenbach: Drama und Regie. Lars von Triers Breaking the Waves, Dancer in the Dark, Dogville.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2010.
251 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826040962

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch