Der Ironiker ist konservativ

Thomas Sprecher und Klaus Niklaus über die Religion in Thomas Manns Romanen

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Je, den Düwel ook, c’est la question, ma très chère demoissele!“. Thomas Manns Erstling „Buddenbrooks“ fängt mit einer Anspielung auf den Heidelberger Katechismus an. Der Geist der Lübecker Kaufmannsfamilie ist – zumindest am Anfang – von der protestantischen Ethik mit seinem ora et labora geprägt. Von den „Buddenbrooks“ über die religiös-philosophischen Gespräche im „Zauberberg“ bis hin zu dem Amalgam aus Luther und Nietzsche in „Doktor Faustus“: die Religion ist in fast allen von Thomas Manns Romanen präsent. Wer jedoch die Beiträge in dem von Thomas Sprecher und Klaus Niklaus herausgegebenen Band liest, staunt über das, was er bei früheren Lektüren überlesen hat.

Gehört beim „Verfall einer Familie“ in den „Buddenbrooks“ auch die Religion in die Niedergangslinie hinein? Wie erscheint der Glaube hoch auf dem „Zauberberg“? Und warum fängt Adrian Leverkühn, die Hauptfigur aus „Doktor Faustus“, nach dem Schulabschluss ausgerechnet ein Theologiestudium an? Diese Fragen beantwortet der Band der Thomas-Mann-Studien in klar geschriebenen Beiträgen. Er macht deutlich, wie „das religiöse Problem“ für Mann immer stärker „das humane Problem“ wurde, „die Frage des Menschen nach sich selbst“.

Macht sich Thomas Mann in den „Buddenbrooks“ noch manchmal über die Religion lustig – der Glaube scheint doch etwas für alte Jungfern und enttäuschte Witwen zu sein – allmählich wird seine Haltung ernster. Es ist sogar die Frage, ob es, wie Iso Camartin schreibt, schon in den „Buddenbrooks“ nicht um mehr als Spott geht: „Trotz einer durchweg spürbaren religionskritischen Haltung des Autors und seiner Spottlust über Bigotterie, Scheinheiligkeit und religiös camouflierte (sic!) Geschäftstüchtigkeit ist er hellhörig genug, all das aufzunehmen, was die Menschen in ihrem Bedürfnis nach Orientierung und Zuversicht über den Alltag hinaus leitet“.

Die Beiträge dieses fünfundvierzigsten Bandes der Thomas-Mann-Studien werfen zudem ein Licht auf die Ironie Thomas Manns. Es ist eine liebevolle Ironie. So bei dem alten Thomas Buddenbrook, der nach der erschütternder Schopenhauer-Lektüre zum Glauben seiner Ahnen zurückkehrt, einem Glauben, in dem es um Individualität und Eigenverantwortung geht: „So aber geschah es, daß Thomas Buddenbrook, der die Hände verlangend nach hohen und letzten Wahrheiten ausgestreckt hatte, matt zurücksank zu den Begriffen und Bildern, in deren gläubigem Gebrauch man seine Kindheit geübt hatte.“ Thomas Buddenbrook erinnert sich bald wieder seiner Pflichten, bestellt den Notar und macht sein Testament. Auch Manns Kritik am Katholizismus ist nicht sarkastisch oder zynisch, sondern ironisch. In den „Buddenbrooks“ mit dem witzigen, aus Bayern stammenden Herrn Permaneder. In „Doktor Faustus“ mit dem nach Luther modellierten Musikdozenten Ehrenfried Kumpf – der nicht, wie Luther in der Überlieferung, ein Tintenfass nach dem Teufel wirft, sondern eine Brezel.

Schade nur, dass der Band sich – wie allerdings der Untertitel schon deutlich macht – auf das Romanwerk beschränkt. Denn auch die Essayistik Manns macht viel über sein Religionsverständnis deutlich. So ist es nicht nur die Joseph-Tetralogie selbst, sondern das während der Arbeit am Joseph-Roman entstandene „Fragment über das Religiöse“, das das Religionsverständnis des späteren Thomas Manns auf den Punkt bringt: das religiöse Problem ist „das humane Problem, die frage des Menschen nach sich selbst“. Auch in den „Betrachtungen des Unpolitischen“ bieten nacheinander die Kapitel „Vom Glauben“, „Ästhetische Politik“ und „Ironie und Radikalismus“ viel Aufschlussreiches für den Leser, der die Romane aus den 1920er- Jahren verstehen will. Lange Zeit wusste die Germanistik nicht, was sie mit diesem dunklen Essay anfangen sollte. Doch er bietet einen wichtigen interpretatorischen Zugang zu Thomas Manns Gedanken über Literatur, Politik und Gesellschaft. Für die Qualität der Beiträge spricht aber, dass diese Texte bei der Interpretation berücksichtigt werden. Der Band ist zudem ergänzt durch eine ausführliche Bibliografie, erarbeitet von Gabi Hollender vom Zürcher Thomas-Mann-Archiv.

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Thomas Sprecher / Niklaus Peter (Hg.): Der ungläubige Thomas. Zur Religion in Thomas Manns Romanen.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2012.
234 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-13: 9783465037453

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