Das Licht in der Welt

Der Sammelband „Die Aufklärung und ihre Weltwirkung“ untersucht die „Tendenzen zur Universalisierung von Aufklärung“

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist Aufklärung? Mit dieser basalen Frage muss sich die moderne Forschung ebenso auseinandersetzen wie einst Immanuel Kant und Moses Mendelssohn. Während dabei jahrzehntelang lediglich die europäischen Ausprägungen und Folgen der Aufklärung im Mittelpunkt des Interesses standen, wird diese geografische Grenze in jüngeren Untersuchungen zunehmend gesprengt. Vermehrt geraten auch globale Aspekte in den Vordergrund. Diesem Ziel hat sich auch der von Wolfgang Hardtwig herausgegebene Sammelband „Die Aufklärung und ihre Weltwirkung“ verschrieben. Dabei will sich der Band nicht nur von geografischen, sondern auch von zeitlichen Fesseln befreien und stellt daher die Frage nach einem „Zeitalter der Aufklärung bis heute“, wie Hardtwig, emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin, vorgibt. Durch diese breite Anlage soll den „Tendenzen zur Universalisierung von Aufklärung“ nachgegangen werden.

Zunächst einmal beginnt allerdings auch in „Die Aufklärung und ihre Weltwirkung“ alles ganz konventionell: Die Dreiteilung des Bandes geht von Aufklärung in Deutschland über Europa erst im dritten Schritt in die Welt hinaus. Der Akzent des Titels liegt folglich auf dem unscheinbaren Wörtchen „und“, er ist daher nicht als „Die Weltwirkung der Aufklärung“ misszuinterpretieren. So schlägt das Buch einen weiten Bogen und widmet sich unterschiedlichsten Themen, von der Briefkorrespondenz der Illuminaten und Aufklärung an der deutschen Universität über die Bedeutung des schottischen Historikers William Robertson und dem französischen Jansenismus bis hin zur Aufklärung in den USA, China und dem Osmanischen Reich. Höhepunkt ist dabei zweifelsohne das Drittel, oder genauer gesagt: die vier Beiträge, die unter dem Stichwort „Weltwirkung“ firmieren und eine näheren Betrachtung wert sind.

So fragt der Amerikanist Volker Depkat unter dem Titel „Angewandte Aufklärung?“ nach der Rezeption aufklärerischer Ideen in den USA und kommt auch auf die Schattenseiten zu sprechen: so wurde beispielsweise die Vertreibung und Ausrottung der Ureinwohner als ein Akt von Fortschritt und Aufklärung interpretiert. Einem ähnlichen Aspekt hat sich Andreas Eckert gewidmet, der einen Beitrag zum Problemfeld von Aufklärung und Sklaverei beigesteuert hat. In diesem hinterfragt er den auffälligen „Boom“ der Sklaverei im 18. Jahrhundert und bespricht die Ideen des französischen Sklavereigegners Marquis de Condorcet. Die Wirkung und Rezeption der Aufklärung in Richtung Osten haben Sabine Dabringhaus für China und Christoph Herzog für das Osmanische Reich beleuchtet und stellen dabei den Aspekt des Kulturkontakts in den Mittelpunkt. Herzogs letzter, auf die Türkei bezogener Satz bringt dabei nochmal das grundsätzliche Dilemma der Thematik zur Sprache: Die Aufklärung ist „heute vor allem ein kulturpolitischer Kampfbegriff geworden“.

Die heterogene Mischung ist Stärke wie Schwäche des Bandes zugleich. Durch die Vielgestaltigkeit der zehn Beiträge liefert er zahlreiche attraktive Anstöße und führt in aktuelle Debatten rund um die Aufklärung ein – zugleich bleibt bisweilen aber ein roter Faden auf der Strecke. So wird dem Leser wie nebenbei und ganz unbeabsichtigt auch die schier unüberschaubare Vielgestaltigkeit des Phänomens „Aufklärung“ vor Augen geführt. Gerade vor dem Hintergrund, dass es als Projektionsfläche für unterschiedlichste Strömungen und Ideen gilt, wäre auch eine einleitende Arbeitsdefinition der Begrifflichkeit wünschenswert gewesen. So erfolgt eine Begriffsbestimmung nur unsystematisch und lediglich in einigen der Beiträge.

Trotz dieser Schwächen ist „Die Aufklärung und ihre Weltwirkung“ zweifelsohne eine gewinnbringende Lektüre. Insbesondere die facettenreiche Zusammenstellung der Beiträge dürfte auch bei Aufklärungs-Kennern für neue Impulse und Eindrücke sorgen. Dass die Aufklärung auch weiterhin ein gewinnbringendes und spannendes Forschungsfeld ist, beweist der Band dabei allemal und gibt sogleich die Richtung vor, in die es in Zukunft gehen wird: in die weite Welt hinaus.

Titelbild

Wolfgang Hardtwig (Hg.): Die Aufklärung und ihre Weltwirkung.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010.
323 Seiten, 43,90 EUR.
ISBN-13: 9783525364239

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