Finalist oder Experimentator einer Kunstvorstellung?

Im 150. Geburtsjahr Gustav Klimts legt das Wien Museum mit der Ausstellung seiner gesamten Klimt-Sammlung auch dessen Bestandsverzeichnis vor

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er war zweifellos ein Epochenkünstler, ist immer noch eine Leitfigur der seither entstandenen österreichischen Kunst. Ergriffen steht der nach Wien kommende Kunsttourist im Belvedere vor dem „Kuss“ (1908), jener zur Ikone stilisierten Darstellung des ewigen Paares Adam und Eva, er begibt sich dann ins Leopold-Museum, um erschauernd vor der Darstellung der zyklischen Gestalt des Lebens – „Tod und Leben“ (1910-11,umgearbeitet 1916) – zu verharren. Weiter geht es in die Albertina und das Wien Museum, und überall wird man Spitzenwerke dieses Künstlers finden. Weil mehr als ein Dutzend seiner Gemälde als Reproduktionen weltweit so bekannt sind, vermag allerdings das Erlebnis der Originale in Wien bei manchem Betrachter nur noch einen Aha-Effekt auszulösen. Seit 1986 ist auch der berühmte Beethovenfries wieder im Secessionsgebäude installiert und damit der Öffentlichkeit zugänglich. Im Jubiläumsjahr 2012 bieten Wiener Museen dem Kunstinteressierten allein zehn Sonderausstellungen zum Thema Klimt an. Und zudem sind die Vereinnahmungsstrategien in der Tourismusbranche, der Hotellerie und Gastronomie, im Marketing oder ‚City Branding‘, in der Souvenirartikelindustrie so vielfältig und ausgeklügelt, dass die Wiener Presse von einem „Klimt-Overkill“ spricht.

Dieser „visuelle Wortführer seiner Zeit“, wie Klimt bezeichnet wurde, war ein höchst vielseitiger Maler, er beherrschte alle Stile – von der klassischen akademischen Malerei bis hin zu intimen Zeichnungen – und legte größten Wert auf Handwerklichkeit, Design und Detail. Völlig naturalistisch-akademisch behandelte Elemente, wie etwa der weibliche Akt, konnten von ihm in ein abstrakt dekoratives Gefüge eingebunden werden und dort fast wie objets trouvés wirken. Rein flächenhaft erfolgte die Darstellung mit arabeskenhaft geführten Umriss- und Binnenzeichnungen und ebenso flächig wurde auch die Farbe eingesetzt. Beides, Linien und Farben, aber auch die von ihnen gestalteten Formkomplexe folgen bestimmten dekorativen Prinzipien, wie parallelen Formwiederholungen, Harmonie und Gleichklang, sorgfältiger Abstimmung, häufiger Tendenz zur Monochromie. Entscheidend ist aber vor allem, dass die immateriellen Eigenschaften des Motivs in die Erscheinung eintreten, ein Prinzip, an das dann der Jugendstil anknüpfen sollte.

Das Wien Museum besitzt nicht nur eine Reihe vorzüglicher Gemälde wie das berühmte „Porträt Emilie Flöge“ (1902), Klimts „ewiger Liebe“, die ein ornamentiertes, geometrisch wie vegetabil zu bezeichnendes Gewand umhüllt, sondern auch die größte Sammlung von Arbeiten auf Papier, aus allen Schaffenszeiten, von der Studienzeit Klimts bis fast vor seinem Tod, die vorwiegend in großen zyklischen Zusammenhängen stehen. Sie werden noch bis zum 16. September vollständig in einer Sonderausstellung gezeigt, und dazu wird ein Bestandskatalog der Werke Klimts im Wien Museum vorgelegt, den zu durchblättern ebenso Freude bereitet wie Erkenntnisgewinn vermittelt. Im Textteil informiert Ursula Storch, Kuratorin der Ausstellung, über die Klimt-Sammlung des Wien Museums, während sich Marian Bisanz-Prakken speziell den „Höhepunkten und Raritäten“ der Klimt-Zeichnungen des Wien Museums zuwendet. Brigitte Borchhardt-Birbaumer untersucht Klimts Frauenbild und verweist auf das vielschichtige patriarchalische Rollenspiel des Künstlers, dessen Sicht der Frau als Jungfrau oder hohe Dame (das sind auch Klimts Auftraggeberinnen), Mutter und Hure (das sind seine Modelle, als „Wiener Mädel“ benannt) zu unterscheiden ist. Klimt „im Spannungsfeld zwischen Politik und Gesellschaft“ widmet sich Sophie Lillie und sucht den Widerspruch zwischen der öffentlichkeitsscheuen, in der Abgeschiedenheit seines Ateliers rastlos arbeitenden Künstlerpersönlichkeit und dessen Ruf als Skandalkünstler zu erklären. Dem „Klimtisieren“ in der Wiener Secession und in der Wiener Werkstätte – am Beispiel der Zusammenarbeit von Klimt und Josef Hoffmann – wendet sich William M. Johnston zu, während Kerstin Kremm „Betrachtungen aus einem Jubiläumsjahr“ anstellt und den „Aufmerksamkeitswellen“ der Klimt-Rezeption von dessen Tod bis heute nachgeht.

Der erstmals vorgelegte Bestandskatalog aller Werke von Klimt aus der Sammlung des Wien Museums ist in zehn Themenbereiche gegliedert. Akademische Studien männlicher Akte, auch nach Kindern, sowie eines der frühesten Auftragsporträts, nach einer Fotografie angefertigt, gehören zu den Blättern aus der Ausbildungszeit des jungen Klimt an der Wiener Kunstgewerbeschule 1877-1881 (erste Phase). 1881 beteiligte sich Klimt an einem Zyklus „Allegorien und Embleme“ für den Wiener Verleger Martin Gerlach, der 1895-1900 eine Fortsetzung fand. Hier vollzog Klimt bereits eine Abkehr vom Akademischen, Salonmäßigen und entwickelte zur Allegorie eigene Vorstellungen (zweite Phase). Mit seinem Bruder Ernst und seinem Studienkollegen Franz Matsch zur Künstler-Compagnie zusammengeschlossen, erhielten die drei Aufträge für das Stadttheater in Karlsbad, für die Stiegenaufgänge im neuen Burgtheater und für das Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums, aber auch für das Palais Dumba am Parkring. Dazu befinden sich viele Entwürfe, Studien und Skizzen in der Sammlung. Den prestigeträchtigsten Auftrag erhielten die drei jungen Maler, als sie den Neubau des Burgtheaters an der Ringstraße mit Deckenbildern in den Stiegenhäusern ausstatten sollten. Vor dem Abriss des alten Hof-Burgtheaters am Michaelerplatz hielten Klimt und Matsch jeweils in einem großformatigen Aquarell den Zuschauerraum mit seinen illustren Gästen fest. Die Skizzen zu diesem „Who’s who der Wiener Hochgesellschaft“ beschäftigen sich allerdings mehr mit der räumlichen Anordnung von Figurengruppen, den perspektivischen Verzerrungen der Logen und oder Details der Beleuchtung des Theaterraums, während die Porträts selbst wohl nach fotografischen Vorlagen angefertigt wurden (dritte und vierte Phase).

1897 wurde die Wiener Secession gegründet, Klimt zum ersten Präsidenten gewählt und galt damit als Wortführer der modernen Kunstbewegung in Österreich. Einige künstlerische Beiträge Klimts für die Vereinszeitschrift „Ver sacrum“ befinden sich im Besitz des Wien Museums. Vor allem aber ist das monumentale Gemälde „Pallas Athene“ zu nennen, das Klimt auf der zweiten Secessionsausstellung 1898 zeigte, ein programmatisches Bild der neuen Künstlervereinigung. Zum „Beethovenfries“, einer monumentalen Interpretation der 9. Symphonie Beethovens, die Klimt 1902 im Innern der Secession direkt an die Wand malte und die als ein Hauptwerk der europäischen Kunst von 1900 gilt, kann das Wien Museum einige der insgesamt 125 Entwurfszeichnungen vorführen (fünfte Phase). Besonders reich – allein 57 Blätter – ist die Zahl der Studien zu den umstrittenen Skandalbildern, den allegorischen Darstellungen der Philosophie, Medizin und Jurisprudenz (1894/95-1903), die die Decke des Festsaals der neuen Universität schmücken sollten, aber nie dorthin gelangten. Sie verbrannten 1945. Deshalb lässt sich die inhaltliche und formale Entwicklung der Fakultätsbilder heute nur noch an den erhalten gebliebenen Studien und Entwürfen ablesen (sechste Phase).

Im Wien Museum befinden sich mehr als 40 Zeichnungen aus drei Jahrzehnten, die im Zusammenhang mit malerischen und grafischen Arbeiten Klimts stehen und die dessen permanente Suche nach der perfekten Form, aber auch die Auseinandersetzung mit bestimmten Themenkomplexen – so zu den Gemälden „Hoffnung I“ (1903) und „Hoffnung II“ (1907), zu dem Bild „Die drei Lebensalter“ (1905) oder zu dem unvollendeten Gemälde „Adam und Eva“ (1917/18) – widerspiegeln. Besonders groß ist die Zahl der Skizzen zu bekannten wie unbekannten Damenbildnissen, ihnen stehen nach der Jahrhundertwende nur wenige Zeichnungen nach Kindern und nur vereinzelte nach Männern gegenüber. Etwa ein Viertel der grafischen Arbeiten im Wien Museum sind Aktstudien oder erotische Zeichnungen, die sich über alle Schaffensperioden erstrecken. Darunter befinden sich Studien zu dem Bild „Tod und Leben“, zu den Gemälden „Die Jungfrau“ (1913) und „Die Braut“ (1917/18), zu „Leda“ (1917), „Die Freundinnen“ (1916/17) oder zu den „Wasserschlangen I/II“. Einander umarmende Körper oder Liebespaare hat Klimt über viele Jahre hinweg variiert. Die bekannteste Interpretation stellt sein berühmtes Bild „Der Kuss“ dar, das in der Zeit der Vorbereitungen für ein weiteres monumentales Werk fiel, den Fries des Speisesaales im Brüsseler Palais Stoclet: Einer Tänzerin auf der Seite der „Erwartung“ ist auf der Seite der „Erfüllung“ ein Paar in Umarmung gegenübergestellt. Bei einer Vielzahl von Studien von stehenden Umschlungenen aus den Jahren 1904/05 und1907/08 ist nicht eindeutig zu klären, ob sie im Zusammenhang mit dem „Stoclet-Fries“ oder dem „Kuss“ entstanden sind (siebte bis zehnte Phase).

Klimts Zeichnungen haben wiederholt Wandlungen erlebt, am stärksten um1909, als er mit den Arbeiten von Toulouse-Lautrec und El Greco konfrontiert wurde. Seine Zeichnungen verloren zusehends ihre Zweidimensionalität. Die dritte Dimension wurde durch spannungsgeladene Verkürzung, diagonale Gesten der Modelle und dramatisch gebrochene Linien eingeführt. Die früheren ruhigen Szenen wichen der Leidenschaft und der Ekstase. Trotz dieser Veränderungen waren Klimts späte Zeichnungen nicht expressionistisch. Er behielt seinen Ästhetizismus bei, vermied jede schmerzliche physische und psychische Unmittelbarkeit, die dann für die Bilder Kokoschkas oder Schieles so charakteristisch wurde. Seine Größe bestand in der staunenswerten Gabe, komplizierten und esoterischen Bildern visuelle Unmittelbarkeit zu verleihen. Seine Allegorien entfalten ihre Themen rund um den großen Zyklus von Leben und Tod, auf der Grundlage einer eklektischen Auswahl aus zeitgenössischen antirationalistischen Philosophien. Klimt sah das Leben stets von Tod und Verfall bedroht, aber trotz dieser pessimistischen Sichtweise strahlen seine Werke eine Weisheit und natürliche Sinnlichkeit aus, die aus der Freude an der Schönheit des Lebens und seiner unaufhörlichen Erneuerung geboren sind.

Titelbild

Ursula Storch: Klimt. The Collection of the Wien Museum.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012.
304 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783775733601

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