Gedankenlandschaft

„Ich will im eigentlichsten Verstande ein Bauer werden“: Eine Ausstellungsdokumentation widmet sich Heinrich von Kleist in der Schweiz

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den zahlreichen Kleist-Veranstaltungen, die es 2011 weltweit anlässlich des 200. Todestags des lebenslang unbehausten Dichters gegeben hat, gehörte – fast muss man sagen selbstverständlich – auch eine Ausstellung zu Kleists Schweizer Aufenthalten, verantwortet vom Kleist-Ort Thun. Die Schau war seitdem auch an weiteren Orten zu sehen. Die von Philipp Burkard und Anett Lütteken unter Mitarbeit von Hannah Dotzauer vorgelegte Ausstellungsdokumentation, erschienen im Wallstein Verlag, ist, um es vorweg zu sagen, gelungen. Sie beleuchtet in neun Schritten, „Person und Werk“ Kleists „auf eine möglichst vielfältige Art und Weise“, wobei die „Thuner Perspektive“ eingenommen wird.

Einleitend ‚verortet‘ Lütteken unter der Überschrift „Kleist und Thun“ den „Dichter ohne Ort“, wobei sie mit Blick auf das „Guiscard“-Manuskript die „Bereitschaft zur Zerstörung“ als „konstitutive[n] Teil von Kleists (dichterischem) Selbstverständnis“ betont. Zeitgeschichtlich deutlich macht Lütteken im Abschnitt „Bern, Thun und das Aare-Inseli – politisch, prosaisch und poetisch betrachtet“, dass entgegen so mancher landläufigen Meinung heute Thun zu Kleists Zeit „keineswegs ein idyllischer, sehr wohl aber ein von ländlicher Armut geprägter Ort“ ist, wie aus zeitgenössischen Berichten, etwa den Reisebriefen Christoph Meiners, zu entnehmen ist. Bei Kleist sei erst aus der Distanz ein Schweiz-Bild, eine „Gedankenlandschaft“, entstanden, die durchaus kunsttheoretisch – etwa durch Johann Joachim Winckelmanns Schriften – vorgeprägt war.

Wenngleich „Kleists Leben auch später bestimmende Muster von leidenschaftlicher Begeisterung für Unerprobtes und den hieraus resultierenden, nicht selten existenziellen Krisenerfahrungen“ während seines Aufenthalts im Jahre 1802 deutlich wird, kann man im Nachhinein mit einigem Recht die „Schweizer Zeit“ vor allem auch als „Erfolgsgeschichte“ lesen. Schließlich erscheint bekanntlich nicht nur 1803 anonym sein Erstling „Die Familie Schroffenstein“, sondern in der Schweiz entsteht im „Zusammenhang mit einer Art Dichterwettstreit“ die erste Idee zum Lustspiel „Der zerbrochne Krug“.

Dem Kapitel „Revolution und Helvetik“ folgt ein „Seitenblick“ auf Christoph Martin Wieland – als „helvetischer Bürger und Kleist-Entdecker“. Thun als „Chef-lieu“ des „Cantons Oberland“ wird thematisiert, wobei akzentuiert wird, dass das Gebiet gerade während Kleists Aufenthalt ein „Zentrum des politischen Geschehens“ war. „Kleist – fern der Heimat“ mit „den Lebenskonstanten – chronische Krisen und finanzielle Nöte“ widmet die Ausstellungsdokumentation desgleichen einen Blick wie dem Erstling, dem „Krug“ und kreativen Kleist-Lesern wie Robert Walser, wobei auch „Kleistdevotionalien“ aus der Sammlung von Burkhard Wolter Erwähnung finden. Bevor Zeittafeln das Werk abrunden, rückt die Dokumentation das „Kleist-Inseli heute“ in den Fokus.

Der Hauptteil der Dokumentation gilt naturgemäß dem Thema „Kleist in Thun – der Traum vom einfachen Leben“ mit den Aspekten „Thun als Wohnort und Reiseziel“, „Kleist als Rousseau-Leser“, „Kleist und das Landleben“ mit einem Seitenblick auf „Kleist in Bern“.

Alles in allem zeigt der kleine Katalog eine Reihe von „Metamorphosen des Schweizerischen“ in Kleists Werk und widmet sich diesen Aspekten intensiv.

Titelbild

Anett Lütteken / Philipp Burkhard (Hg.): "Ich will im eigentlichsten Verstande ein Bauer werden". Heinrich von Kleist in der Schweiz. Eine Ausstellungsdokumentation.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
91 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308961

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