Mehr als nur Techno

„Der Klang der Familie“ von Felix Denk und Sven von Thülen erzählt die Geschichte der Berliner Rave-Kultur zur Wendezeit

Von Stefanie RoennekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Roenneke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man die breite Bevölkerung anno 2012 nach der Geschichte von Techno befragen würde, dann könnten die Antworten mit Sicherheit einige Verweise auf Marushas „Somewhere over the Rainbow“ und die Loveparade in Berlin beinhalten. Wenn dem so sei, dann war Techno für viele das, was 1994 auf dem Musiksender Viva in Rotation lief und im grellen 90er-Look von Moderatoren wie Mola Adebisi angekündigt wurde und jenes Phänomen, das im Jahr 1999 angeblich ganze 1,5 Millionen Besucher nach Berlin zog. Hin und wieder wären die Antworten mit den Namen populärer DJs bespickt, die heute noch aktiv sind.

Rückblickend kann die Geschichte einer Musikrichtung also aus der bloßen Sichtbarkeit kommerziellen Erfolges bestehen, oder sie ergibt sich in einem Lexikoneintrag aus der Summe von Orten, Personen, technischer Details, Genres und Einflüssen. Doch die eigentliche Bedeutung einer Musikrichtung und deren Entwicklung ist mehr als nur die bloße Auflistung von Daten. Ein Phänomen erhält erst dann eine Bedeutung, wenn es emotional aufgeladen ist. Und Fakten sind dafür oftmals zu kalt. Im besten Fall gibt es eine Geschichte zu erzählen.

Und in „Der Klang der Familie“ wird nicht nur eine Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte einer Stadt, an die sich heute kaum einer mehr erinnert, weil sie sich so weit von dem entfernt hat: das Berlin zur Wendezeit. Es ist die Geschichte eines Aufeinandertreffens deutsch-deutscher Jugendkultur. Es ist die Geschichte einer gemeinsamen Leidenschaft – Techno – und eines Wunsches: Die Nutzbarmachung eines öden Berliner Landes. Und es ist schließlich die Geschichte vom Aufstieg einer Subkultur in den Mainstream und den damit zusammenhängenden Ausdifferenzierungen und Schwierigkeiten.

Dabei ist die gewählte Perspektive besonders spannend. Denn Felix Denk und Sven von Thülen lassen die Protagonisten selbst zu Wort kommen: DJs, Clubmacher, Musikproduzenten, Türsteher und Szenegestalten. Das Arrangement ihrer Antworten lässt weder einen polyphonen Noise noch ein langweiliges Protokoll entstehen, sondern einen verblüffend unterhaltsamen Erzählrhythmus, der „einen der größten Glücksfälle des Pop“ Kapitel für Kapitel zum Leben erweckt.

„Der Klang der Familie“ füllt somit eine große Lücke, die zwischen den Technobüchern und Nachschlagewerken klafft, die in den 1990er-Jahre erscheinen sind und einzelnen Erzählungen wie „Rave“ von Rainald Goetz, und Büchern einer jüngeren Generation wie „Strobo“ von Airen oder dem Sachbuch „Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjetset“, wo bereits ein ganz anderer Kosmos beschrieben wird.

Titelbild

Felix Denk / Sven von Thülen: Der Klang der Familie. Berlin, Techno und die Wende.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
424 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783518463208

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