Mord und Totschlag in Graubünden

Über Silvio Huonders Roman „Die Dunkelheit in den Bergen“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt solche und solche – ein Satz, der auf Alles und Nichts anzuwenden ist und der doch seine Berechtigung hat. Historische Romane beispielsweise sind ein solches Themenfeld; da gibt es die sehr einfach gemachten, mit viel Getöse und Röckerauschen daher kommenden, sogenannten Historienschinken, die gern 500 Seiten aufwärts aufweisen und prall gefüllt sind mit Intrigen, Liebeleien und allerhand schmückendem und füllendem Beiwerk. Da sind aber auch die politisch motivierten Bücher, die oftmals gar nicht allzu umfangreich sind, dafür genau gearbeitet und stilistisch anspruchsvoll.

Die Britin Hilary Mantel, die bereits 2009 für ihren Roman „Wolf Hall“ (deutsch: „Wölfe“, DuMont) den Man Booker Prize erhielt, macht vor, wie das Genre an Reputation gewinnen kann. Und auch Teil zwei ihrer Cromwell-Trilogie, „Bring up the Bodies“, wurde in diesem Jahr mit dem wichtigsten britischen Literaturpreis ausgezeichnet. In diesem Kontext haben es anspruchsvolle historische Romane eventuell leichter, Aufmerksamkeit und Leser zu gewinnen beziehungsweise außerhalb des oben genannten Vorurteils als ernsthafte Lektüre wahrgenommen zu werden.

„Die Dunkelheit in den Bergen“ ist genau ein solcher Roman. Der 1954 in Chur geborene Silvio Huonder hat mit diesem Buch, das vor circa 190 Jahren in Graubünden spielt, den Beginn der Kriminalistik einerseits und ein komplexes und hoch interessantes historisches Porträt seiner Heimat andererseits geschaffen, insofern könnte man auch von einem historischen Heimatkrimi sprechen, doch das würde als Etikett möglicherweise erneut falsch verstanden und dem Buch nicht gerecht werden. Im engeren Sinn hat dieser sehr genau recherchierte Roman drei Hauptfiguren. Da sind zum Einen die aus Holland heimkehrenden Soldaten Karl Rauch und Linus Hostetter, die sich nach Jahren in der Fremde auf Chur, ihre Familien und Verwandten freuen. Zum Anderen der frisch verheiratete Baron Johann Heinrich von Mont, seines Zeichens Verhörrichter in der Hauptstadt des Kantons Graubünden. Kaum sind die jungen Männer zurück, überschlagen sich die Ereignisse. Furchtbare Morde sollen in der Weihermühle bei Bonaduz verübt worden sein (Grundlage für diese Idee ist ein nie ganz aufgeklärter Fall). Da der Verhörrichter nicht über genügend Männer verfügt, macht er die Beiden kurzerhand zu Landjägern und nimmt sie mit an den Tatort, wo sich ihnen ein grausiges Bild bietet.

Was folgt, ist klassische Ermittlungsarbeit, wie man sie heute aus jedem Polizeikrimi kennt, Zeugen befragen, Tatort sichern, im weitesten Sinne eine pathologische Untersuchung durchführen. Und einen dringend Tatverdächtigen verfolgen. Diese Aufgabe kommt den beiden Neuen zu, die die Gegend gut kennen, außerdem furchtlos und geübte Reiter sind. Und hier liegt eine der vielen Stärken dieses sehr lesenswerten und mit viel Gespür für Tempowechsel und Dramaturgie geschriebenen Romans: die Beschreibung der Landschaft zu einer Zeit, als es noch keine befestigten Strassen gab, die kleinen Orte und Gehöfte, die Stadt, in der nachts noch kein Gaslicht brannte und die vom Nachtwächter bewacht wird, das Leben in engen und niedrigen Räumen, die Mahlzeiten und Kleider, die Pferde, Kutschen und Karossen – Huonder hat sich viel Platz für verbürgte Begriffe genommen und Details genau gesetzt, sein Roman wird dadurch lebendig und kommt seinen Personen sehr nah.

Diese Nähe verstärkt er noch durch flüssige und stimmige Dialoge. Dass er, der bei Heiner Müller studiert hat und heute am Schweizer Literaturinstitut in Biel unterrichtet, weiß, welche Zutaten ein gutes und unterhaltendes Buch sonst noch benötigt, erwartet man vom Autor so erfolgreicher und bekannter Bücher wie „Adalina“ und „Valentinsnacht“. Und so kriecht der Leser mit dem jungen Ehepaar unter die Bettdecke, erfährt von Karl Rauchs zwanghafter Suche nach Essbarem und von des Verhörrichters Kindheitstrauma, das der mit diesem Fall in gewisser Weise noch einmal durchlebt.

Silvio Huonder hat viele Quellen für sein neues Buch benutzt und so einen wasserdichten Geschichtsroman geschrieben, der all jenen viel Lesefreude bereiten wird, die die Bücher von Andrea Maria Schenkel und Virginia Doyle schätzen oder – ganz aktuell und auch im vorliegenden Buch quasi gestreift – Lukas Hartmanns „Räuberleben“.

Titelbild

Silvio Huonder: Die Dunkelheit in den Bergen. Kriminalroman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2012.
224 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783312005420

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