„die Max und Môritz sîn genant“

Die von Wilhelm Busch im Jahre 1865 publizierte „Bubengeschichte in sieben Streichen“ erfährt eine neuveröffentlichte mittelhochdeutsche Nachdichtung

Von Sascha Ulrich-MichenfelderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Ulrich-Michenfelder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zweifelsohne zählt das literarische Gesamtwerk Wilhelm Buschs als zeitloser Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur, der auch Erwachsenen große Lesefreude bereitet. „Max und Moritz“ – die Geschichte zweier Brüder, die sich in sieben Taten an der Witwe Bolte, dem Schneider Böck, dem Lehrer Lämpel, ihrem Onkel Fritz, dem Bäckermeister sowie dem Bauer Mecke mit Hilfe von Streichen vergehen – bildet in diesem Zusammenhang das wohl bekannteste Werk Buschs, das vielen Lesern aus Kindertagen präsent sein dürfte.

Zu Buschs Lebzeiten erwies sich die Bildergeschichte, die lange Zeit als „jugendgefährdend“ eingestuft wurde, als wenig erfolgreicher Band. Erst nach Buschs Tod wurde „Max und Moritz“ ein großer Erfolg. Neben den über 120 Auflagen, die seitdem erschienen sind, stehen heute vor allem Übersetzungen und Nachdichtungen im Zentrum der Editorik. Vermehrt ist in den letzten Jahren die Bildergeschichte in verschiedenen Mundarten (zum Beispiel Pfälzisch, Bayerisch, Plattdeutsch, Berlinerisch) erschienen. Nun findet sich endlich eine neuveröffentlichte, adäquate Nachdichtung auf Mittelhochdeutsch.

Der 78 Seiten umfassende Band beinhaltet neben der mittelhochdeutschen Übersetzung der sieben Taten mit ihrer jeweiligen Illustration auch eine angehängte, neuhochdeutsche Übersetzung und ein Nachwort. Der Verfasser des Nachworts, Ries van den Broek, beschreibt hier die Nachdichtung als „Philologenspaß“, der bereits in Form einer Übertragung in beispielsweise Latein, Griechisch und Altenglisch vorgenommen wurde. Eine erste mittelhochdeutsche Übersetzung wurde 1982 in einem Sammelband zur dialektalen Übertragung aufgenommen. Im Wesentlichen basiert die dort veröffentlichte Nachdichtung auf zwei anonym verfassten Fragmenten aus einem nicht näher bestimmten hessischen Kloster, die jedoch stilistisch und lexikalisch nicht den Ansprüchen des Verlags zu entsprechen scheinen.

Die im Band abgedruckte Übersetzung geht auf Oskar Reichmann aus Heidelberg zurück, der sie für den Sammelband „Metamorphosen: neue Mundartübersetzungen des Max und Moritz“ verfasste. Nun liegt „Max und Moritz“ als Einzelausgabe vor. Dass diese Übersetzung durchaus gelungen ist, zeigt nicht nur die sorgfältige Umschreibung all jener Gegenstände, die im Mittelalter nicht bekannt gewesen sein dürften (etwa ein Bügeleisen), sondern vor allem die sich an der Vorlage Buschs orientierenden Reime und die stilistische Adaption des Strickers, auf die ebenfalls im Nachwort verwiesen wird. Besonders gelungen erscheint in diesem Zusammenhang die Übertragung der 4-hebigen Trochäen ins Mittelhochdeutsche, die Buschs Stil auch auf Mittelhochdeutsch zur Geltung kommen lassen.

Im Nachwort betont Ries van den Broek die leichte Verständlichkeit der mittelhochdeutschen Übertragung. Dies soll an dieser Stelle neben der sprachlich-stilistischen Übertragung als deutlicher Vorzug des Bandes hervorgehoben werden. Zugleich eröffnet die leichte Verständlichkeit mehrere Perspektiven, auf welche im Nachwort verwiesen wird: Die Grundlagen des Mittelhochdeutschen können – sowohl für Schüler als auch für Studienanfänger – mit Hilfe dieses Bandes vermittelt werden.

Bereits seit über zwei Jahrzehnten liegt die didaktische Vermittlung der Mediävistik weitgehend brach; ein eklatanter Mangel an Konzepten und didaktisch reduziertem Textmaterial ist zu verzeichnen. Nicht zuletzt zählt das Mittelalter in zahlreichen Bundesländern als „Sternchenthema“ des Deutschunterrichts und erfährt deshalb nur wenig Beachtung. Häufig wird ein mangelndes Interesse von Schülerinnen und Schülern einerseits und Lehrkräften andererseits unterstellt. Der Band „Max und Moritz auf Mittelhochdeutsch“ könnte das Interesse für mittelalterliche oder – daran anknüpfend – im Mittelalter entstandene Dichtung wecken sowie Schülerinnen und Schüler mit einer ihnen fremden Vorstufe des heutigen Deutsch vertrauter machen. Sprach- und Literaturgeschichte finden hier eine sinnvolle, altersadäquate Synthese. Zudem ist dank der bebilderten Übertragung ein Exkurs in die Intermedialität von Text-Bild-Beziehungen möglich, der seine Fortführung im Aufzeigen der Illustrationen diverser mittelalterlicher Handschriften finden kann. In der Analyse von Form und Inhalt können darüber hinaus Grundlagen erarbeitet werden, die im Bereich der Minnelyrik weiter gefestigt werden könnten. All dies vermag die gute und zugleich formal genaue Nachdichtung zu leisten. Auch der Einsatz für Studienanfänger wäre im Hinblick auf eine erste sprachhistorische Orientierung denkbar. Die stilistische Nähe zur Märendichtung des Strickers zeichnet hier eine mögliche Lernprogression gewissermaßen vor.

Problematisch an diesem Band erscheint in Bezug auf die mögliche Didaktisierung jedoch die angehängte, neuhochdeutsche Übersetzung, die im Übrigen nicht mit Illustrationen versehen ist. Ein eigenes Übersetzen von Schülern und Studierenden wird hiermit nahezu unterbunden. Ferner fehlen wesentliche Hintergrundinformationen zum Autor, die zumindest in Form einer Auflistung von Lebensstationen zur zeitlichen Verortung ergänzt werden sollten. Das Nachwort von Ries van den Broek erscheint überdies bei einer näheren Betrachtung episodisch, da der größere, übergeordnete Zusammenhang entlang einzelner Aspekte, die sinnvoll zusammengeführt werden könnten, nicht hergestellt wird. Ein Abschnitt zum Erfolg Buschs steht gewissermaßen einem Abschnitt zur stilistischen Übertragung unverbunden gegenüber.

Neben diesen durchaus vertretbaren Mängeln erscheint in der mittelhochdeutschen Nachdichtung ein bekannter Klassiker in einem neuen Licht, wenn potenzielle Didaktisierungsmöglichkeiten verdeutlicht werden. Sprachlich-stilistisch ist die Übertragung in jedem Falle sehr gelungen und bereitet auf diese Weise sicher dem interessierten Leser einen vergnüglichen – und darüber hinaus mittelhochdeutschen – Einblick in die „büebesch maere in sîben tâten.“

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Wilhelm Busch: Max und Moritz auf Mittelhochdeutsch.
Mittelhochdeutsche Nachdichtung und Nachwort von Rien van den Broek.
Reclam Verlag, Stuttgart 2012.
79 Seiten, 3,00 EUR.
ISBN-13: 9783150188798

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