Marionettentheater der Lust
Der Berliner Illustrator Jakob Hinrichs interpretiert Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ als Graphic novel
Von Sigrun Galter
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer neue Schnitzler-Comic der Edition Büchergilde ist nicht der erste seiner Art. Schon 2010 hat der angesehene Berliner Avant-Verlag Manuele Fiors „Fräulein Else“ und 2011 die sehr lose an Schnitzler angelehnte Graphic novel „Reigen“ von Birgit Weyhe veröffentlicht. Diese Häufung scheint symptomatisch für den aktuellen Boom an Comic-Adaptionen kanonisierter Literatur. Doch mit Buchreihen wie „Brockhaus Literaturcomics“, die in der Tradition der „Illustrierten Klassiker“ Weltliteratur durch ein populäres Medium zugänglich zu machen versuchen, hat Jakob Hinrichs’ „Traumnovelle“ wenig zu tun. Seine eigenwillige Graphic novel dokumentiert eine persönliche Auseinandersetzung mit Schnitzlers Erzählung, greift zu einer unerwarteten Formensprache und setzt neue inhaltliche Akzente. Kenner des Schnitzler’schen Originaltextes mögen daher auf die erste Lektüre dieser Graphic novel mit Befremden reagieren, etwas ratlos sein angesichts einer derartig eigenständigen Herangehensweise an den Klassiker. Darin aber ist Hinrichs’ freie Adaption ihrer Textvorlage gar nicht einmal so unähnlich, schließlich reagierten Schnitzlers Zeitgenossen auf das Erscheinen der „Traumnovelle“ ebenfalls konsterniert. Löst man sich als Leser allerdings von den eigenen Erwartungen und lässt sich auf die Dynamik der Graphic novel ein, so kann sie eine besondere Faszination entfalten und nicht zuletzt auch neue Perspektiven auf Schnitzlers Erzählung eröffnen, die übrigens im Anhang des Bandes vollständig abgedruckt ist.
Hinrichs entwirft ein artifizielles und durchdesigntes Universum in einer 1960er-Jahre-Ästhetik, bevölkert von schablonenhaft wirkenden Gestalten, die nicht zufällig an Schattentheater-Figuren oder an Ausschneidebögen für Papierpuppen erinnern. In satten Primärfarben im Stile von Farbholzschnitten und Siebdrucken gehalten und an die Gebrauchsgrafik der Vor- und Nachkriegsmoderne angelehnt, zeugt Hinrichs’ „Traumnovelle“ von einem ausgeprägten Stilwillen. In diesen Rahmen versetzt Hinrichs die von Schnitzler entworfene Geschichte um eine Ehekrise, die durch das Aufeinanderprallen gesellschaftlich normierter Geschlechterrollen und unterdrückter sexueller Wünsche ausgelöst wird. Nimmt Schnitzlers Erzählung auf die Problematisierung tradierter Geschlechterverhältnisse in der Moderne Bezug, so stellt Hinrichs seine Adaption in den Kontext des Feminismus der 1960er-Jahre, wenn auf Albertines Nachttisch wie beiläufig das radikale „SCUM-Manifest“ Valerie Solanas’ liegt.
Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten
Bereits auf den ersten Seiten der Graphic novel steht die Diagnose für die Ehe von Fridolin und Albertine fest. Ein Familienausflug auf den Jahrmarkt bringt zum Vorschein, wie unvereinbar die Wünsche der beiden sind: Er lässt sich von einer üppigen Zuckerwatte-Verkäuferin in den Bann ziehen, sie kann die Augen nicht von einem Muskelmann lassen. Grafisch ist der tiefe Graben zwischen den Ehepartnern durch die Seitenstrukturen überdeutlich markiert, Mann und Frau sind parallele, aber getrennte Erzählstränge gewidmet. Schon hier ist kaum zu übersehen, dass sich Hinrichs in seiner Graphic novel fast ausschließlich auf die Kraft der visuellen Darstellung verlässt und im wahrsten Sinne des Wortes plakativ erzählt: ebenso von moderner Plakatkunst beeinflusst wie bestrebt, alles in eingängige grafische Formeln zu fassen.
Wie überzeugend er diese Technik allerdings einzusetzen weiß, zeigt beispielsweise die Inszenierung eines typischen Tagesablaufs der zwei Figuren. Auf einer Doppelseite führt er prägnant vor Augen, in was für getrennten Welten die beiden leben und wie unterschiedlich groß ihr Aktionsradius ist. Während Albertines Tätigkeiten sich rund ums Haus drehen und sie den ihr zugewiesenen Raum in einem einzigen Panel in der Seitenmitte nicht verlassen kann, bewegt sich Fridolin in dreißig Panels quer über die gesamte Seite und durchläuft eine Vielzahl von Stationen.
In Hinrichs’ „Traumnovelle“ erscheinen die erotischen Vorstellungen und Erlebnisse der Figuren als ebenso kulturell und ästhetisch überformt wie ihr Alltagsleben. So wirkt die geheime Maskenparty, auf der Fridolin Bestätigung sucht, wie ein Konglomerat aus Bildzitaten: In einer Villa im Stil der kalifornischen Moderne trifft Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ auf David Hockneys „A Bigger Splash“, während sich die unbekannte Retterin Fridolins im berühmten „Egg Chair“ Arne Jacobsens verbirgt.
Nach dem Sündenfall
Hinrichs bietet jedoch nicht nur auf stilistischer Ebene eine eigene Lesart von Schnitzlers Erzählung. In seiner Version der Geschichte ist die Kommunikationsstörung zwischen Fridolin und Albertine erheblich tiefgreifender als bei Schnitzler. Nachdem Albertines Geständnis ihrer sexuellen Fantasien endgültig einen Keil zwischen die Ehepartner getrieben hat, versagt Hinrichs den Protagonisten die Chancen weiterer Gespräche und lässt sie nach dem ersten Viertel der Graphic novel nicht mehr miteinander sprechen. So erfährt Albertine von Fridolins Abenteuern nur aus seinen Urlaubsaufzeichnungen, während Fridolin den Traum seiner Frau ebenfalls nur indirekt kennenlernt.
Am Ende steht hier kein klärendes Ehegespräch, sondern eine emblematische Krankheitsdarstellung: Unter dem Mikroskop tummeln sich Viren, die Fridolins sirenenhafter Dänemark-Bekanntschaft ähneln. Diese Graphic novel erteilt der bei Schnitzler angedeuteten temporären Wiederherstellung des Ehefriedens eine klare Absage, denn Mann und Frau können nicht noch einmal „vom Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen“ (Kleist).
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