Immer wieder samstags

Christian Davids Thrillerdebüt „Mädchenauge“ zeigt Wien von seiner dunklen Seite, nimmt sich aber insgesamt ein bisschen zu viel vor

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wien im Juni. Über der Stadt liegt die erste Hitzewelle des Sommers und treibt die Menschen auf die Straßen. Endlich kann wieder unter freiem Himmel geplaudert, getrunken und geflirtet werden. Und die „mediterrane Strandatmosphäre“ an beiden Ufern des Donaukanals verlockt ein junges und zahlungskräftiges Publikum bis weit in die Nacht hinein zu gepflegtem Müßiggang. Wenn nur der Mörder nicht wäre, der sich alle vierzehn Tage aus den ausgelassen Feiernden ein Opfer aussucht. Zwei Studentinnen hat er bisher getötet und gleich zu Beginn von Christian Davids Thriller-Erstling „Mädchenauge“ schlägt er ein weiteres Mal zu. Scheinbar wahllos geschehen die Verbrechen und an den jeweiligen Tatorten werden keine verwertbaren Spuren hinterlassen. Dass der Täter seinen Opfern die Augen aussticht, weiß nur die Polizei.

Davids Roman spielt in Wien zu einem Zeitpunkt, als der amtierende Bürgermeister Berti Stotz keine Unruhe in der Bevölkerung gebrauchen kann. Durch die populistische Parole, die Donaumetropole zum sichersten Ort auf Erden zu machen, ist er vor mehr als vier Jahren auf seinen Stuhl gekommen. Am Anfang hat er noch mit harter Hand durchgegriffen, doch seit geraumer Zeit steht lediglich noch „Machterhalt“ in seiner Agenda. Und nun, gerade da die nächsten Wahlen anstehen, macht ein Psychopath Österreichs Hauptstadt unsicher, während die Stellvertreterin des Bürgermeisters, Marina Lohner, sich still und heimlich darauf vorbereitet, Stotz vor dem Wahlvolk bloßzustellen und kalt abzuservieren.

Aus New York nach Wien zurückgekehrt in diesen Tagen ist auch die junge Staatsanwältin Lily Horn. In den USA privat gescheitert, sucht sie die große Herausforderung in ihrer Heimatstadt, will sich in Arbeit stürzen und darüber sämtliche persönliche Niederlagen vergessen. Da kommt ihr der in der Presse langsam für Furore sorgende Serienmörder-Fall gerade recht. Und weil sie in den Wiener Filz nicht verwickelt ist, muss sie auch keinerlei Rücksichten nehmen auf intrigante Politiker, katzbuckelnde Beamte und eine Boulevard-Presse, die sich der Auflage und nicht der Wahrheit verpflichtet fühlt.

Ein Wahnsinniger, der sich alle 14 Tage samstags ein neues Opfer greift. Eine politische Schlangengrube, in der keiner der Agierenden weiß, wer noch mit ihm und wer schon gegen ihn ist. Eine sympathische junge Frau, die einen Neuanfang sucht und in ihren Ermittlungen von einem kauzig-bärbeißigem Polizeimajor und seinem Team tatkräftig unterstützt wird. Christian David hat damit eigentlich alle Ingredienzien beisammen, aus denen sich ein spannender Thriller bauen ließe. Dass man am Ende trotzdem ziemlich enttäuscht ist, liegt nicht allein an der altväterlichen Betulichkeit, mit der hier über weite Strecken erzählt wird. Weil der Roman zu häufig ausschweift, kann er auch seinen Spannungsbogen nicht bis zum Ende durchhalten und erzählerische Logik wie Plausibilität bleiben auf der (allzu langen) Strecke.

„Mädchenauge“ hebt voller Pathos an. „Es gab einen Sommer, da kam die große Angst nach Wien. Einer Seuche gleich hielt sie Einzug in die Stadt… Von diesem Sommer und der Angst, die ihn regierte, soll hier Zeugnis abgelegt werden“, liest man da unter anderem zwischen einem Sigmund-Freud-Zitat aus „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ und dem Beginn des ersten Kapitels. Damit hat sich der Autor die Latte ziemlich hochgelegt – bemüht sich in den folgenden fast 500 Seiten allerdings vergeblich darum, sie auch zu überspringen. Allein in der Rubrik „Lokalkolorit“ vermag das Buch hier und da noch zu punkten, so dass seinem Verlag, der ihm bescheinigt, „endlich ein Wien-Krimi, der dieser Stadt von den coolen Bars am Donaukanal bis in die gemütliche Vorstadt gerecht wird“, zu sein, im Großen und Ganzen zugestimmt werden kann. Ansonsten wird mit vielen spannungsstimulierenden Tricks gearbeitet, die man schnell durchschaut, die Handlung zerfasert zusehends, Nebenschauplätze werden eröffnet, ohne dass deren Notwendigkeit einleuchtet, und der am Ende präsentierte Täter qualifiziert sich als solcher nur aus dem einzigen Grund, dass er diejenige Romanperson ist, die der Leser am wenigsten auf seiner Rechnung hatte.

Titelbild

Christian David: Mädchenauge. Kriminalroman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013.
461 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552062085

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