Absolut verboten

Ein interdisziplinär angelegter Sammelband bemüht sich um die Stärkung des gesellschaftlichen Konsenses über die Ächtung der Folter

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Folter wird wieder salonfähig. Oder, wie es die Herausgeber des Sammelbandes „Die Wiederkehr der Folter? Interdisziplinäre Studien über eine extreme Form der Gewalt, ihre mediale Darstellung und Ächtung“ etwas vorsichtiger ausdrücken: „Es scheint so, als ob eine schleichende Relativierung des bislang weithin akzeptierten Grundsatzes der absoluten Ächtung der Folter im Gange ist, die verschiedene gesellschaftliche Bereiche erfasst.“

Die Analysen ihres Bandes wollen aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen dazu beitragen, die Akzeptanz des absoluten Folterverbots zu erhöhen. Dazu ist es unerlässlich, den Begriff „Folter“ zunächst so zu definieren, dass nicht bereits sprachliche Aufweichungen zu einer Verharmlosung des Phänomens im Bewusstsein der Menschen führen. Wenn alles mögliche als „Folter“ bezeichnet wird – auch ein langweiliges Fußballspiel –, dann verliert die „echte“ Folter ihren Schrecken, den sie – das zeigen nicht zuletzt auch die (medizin-)historischen Beiträge – ohne Zweifel hat. Denn Folter verletzt die personale Integrität des Menschen und ist damit das glatte Gegenteil einer Erfüllung des grundgesetzlichen Auftrags an Staat und Gesellschaft, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.

Die Autoren, zu denen nähere bio-bibliografische Angaben leider fehlen, kommen nach einer „interdisziplinären Herleitung“ zu folgender Begriffsdefinition: „Folter ist eine staatlich oder parastaatlich veranlasste oder gebilligte Zufügung von seelischen und / oder körperlichen Schmerzen und / oder Leiden, durch die eine Person in einer Bemächtigungslage ihrer Subjektivität beraubt wird oder werden soll.“

Ob diese Bestimmung dazu beiträgt, die bemängelte „unpräzise und unterschiedliche Verwendung des Folterbegriffs“ zu beenden, darf bezweifelt werden – stellt sie doch eher den kleinsten gemeinsamen Nenner der beteiligten Fachdisziplinen dar und fasst den Begriff damit sehr eng. Es bleiben Fragen offen: Was ist mit Folter unter Privatpersonen? Was ist, wenn Gewalt „nur“ angedroht, nicht aber zugefügt wird? Andererseits ist fraglich, ob es die Spezifizierung der Opfersituation („Bemächtigungslage“) wirklich braucht oder ob diese nicht die Voraussetzung schlechthin darstellt, um überhaupt von Folter sprechen zu können. Zudem wird mit „Subjektivität“ ein zeitgeistiger Ersatz für den unbestimmten (und wohl auch unbestimmbaren) Begriff der „Würde“ eingeführt, der sich jedoch (zumindest in Deutschland) bewährt hat, so dass hier eine Bezugnahme die Tiefe der von Folter herbeigeführten Verletzung markiert und einen Anschluss an die Grundsätze der verfassungsmäßigen Rechtsordnung hergestellt hätte. Es wird fernerhin immer noch genügend Grenzfälle geben, in denen sich etwa die psychologische von der juristischen Sicht unterscheidet.

Dennoch ist der Versuch, mit einem gemeinsam getragenen Konzept der „gesellschaftlichen Debatte neue Impulse [zu] verleihen“, um eine „Grundlage für das Fortbestehen eines breiten [..] Konsenses über die Ächtung der Folter“ zu legen, beachtlich und wichtig, denn „eine genaue Terminologie stärkt das absolute Folterverbot“. In der Tat, weil es eben dazu befähigt, klare Grenzen zu ziehen, etwa in der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Aus diesem Bereich stammen auch die Haupteinwände gegen die Absolutheit des Folterverbots. Dass jedoch die beliebten Gedankenexperimente in Gestalt von „ticking-bomb-Szenarien“ aus der Debatte um die Zulässigkeit der „Rettungsfolter“ ungeeignet sind, realen Entscheidungsproblemen gerecht zu werden, zeigt Heike Schmitz. Sie rügt, dass die konstruierten Dilemmata die Folter als „einzige Lösung für den denkbar schlimmsten Fall anbieten“ und dass die dabei handlungsleitenden „theoretischen Grundannahmen einer fiktiven Extremsituation“ dazu verleiten, „auf komplexere, nicht in der Weise eindeutige – gerade reale – Konfliktlagen übertragen werden, ohne hinsichtlich der Sicherheit der den Eingriff tragenden Prämissen zu differenzieren“.

Einer solchen Aufweichung ist zu wehren, zum einen, indem die scheinbar glasklaren Szenarien auf ihre Praxisrelevanz hin befragt werden, zum anderen, indem die traumatischen Folgen der Folter in ihrer ganzen Grausamkeit aufgezeigt werden. Auf den Umstand, dass sich die medizinisch-psychologische Forschung hierbei in Deutschland lange schwer getan hat, verweist Elke Mühlleitner. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten sei das wissenschaftliche Interesse an der Folter und ihren Folgen gestiegen, was angesichts der vielschichtigen Traumata (dargestellt im Beitrag von Maximiliane Brandmeier und Johannes Kruse) auch dringend nötig zu sein scheint. Mareike Hoffmann untersucht die Rolle medizinischer und psychologischer Gutachten in Asylverfahren und plädiert für eine stärkere Berücksichtigung des Einflusses von „traumatischen Erfahrungen auf das Verhalten und Gedächtnis von Flüchtlingen“. Wie die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland verlief, skizziert Nicola Willenberg. Zentrale Denkfigur war dabei seit dem 19. Jahrhundert die „Einhegung des gewaltsamen Zugriffs des Staates auf den Einzelnen“ im Zuge der „Anerkennung des Einzelnen als Rechtssubjekt mit unverbrüchlichen Freiheitsrechten“. Weitere Beiträge befassen sich mit der medialen Verarbeitung der Folter – Julia Bee und Heike Lesch analysieren dazu Filme und Serien.

So erschreckend es ist, dass nicht ein Boulevardblatt, sondern ein wissenschaftlicher Sammelband den Titel „Die Wiederkehr der Folter?“ trägt, dass also das Folterverbot unter Juristen ernsthaft zur Disposition gestellt wird, so wichtig ist es, dass der Band mit seinen ebenso sachlichen wie engagierten Beiträgen erscheinen konnte.

Titelbild

Karsten Altenhain / Reinhold Görling / Johannes Kruse (Hg.): Die Wiederkehr der Folter? Interdisziplinäre Studien über eine extreme Form der Gewalt, ihre mediale Darstellung und Ächtung.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012.
320 Seiten, 46,90 EUR.
ISBN-13: 9783847100089

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