Die geheimen Verbindungen der Psyche

Schreiben als Erfindung: Walter Gronds autobiografischer Roman „Mein Tagtraum Triest“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Kindheit mit einer bigotten Mutter in einem steirischen Bergdorf – da würde sich wohl so mancher an einen fernen Sehnsuchtsort wünschen. Zumal, wenn dann noch Jahre in einem Klosterinternat folgen, in dem Gewalt und Missbrauch Alltag sind. Im Falle von Walter Grond, 1957 in Leoben geboren, war dieser Wunschort jene Stadt, aus der die Familie väterlicherseits angeblich stammte: Triest. So sehr habe er sich in seiner Jugend die Stadt an der Adria als sein ganz privates Paradies imaginiert, dass er sich in seiner steirischen Wirklichkeit wie ein Exilant vorkam – als der einzige „freiheitsliebende Italiener“ unter lauter Österreichern.

Dass es mit den mediterranen Wurzeln seiner Familie nicht weit her war, sollte der Autor erst später erfahren. Und ebenso, dass ihn seine vom früh verstorbenen Vater übernommene Angewohnheit, den Namen seiner gefühlten Heimat „Tríest“ auszusprechen (statt „Triést“), gerade nicht als „echten Triestiner“ auswies. Ein solcher war auch Gronds Großvater Liborius Zeeman nicht. Über diesen Ingenieur und k.u.k.-Marineoffizier kursierten in der Verwandtschaft viele Legenden, darunter die einer wilden Ehe mit der Tochter seiner Zimmerwirtin, mit der sich der Vorfahr seine Offizierskarriere ruinierte. An Geschichten wie dieser entzündeten sich die Fantasien des jungen Walter Grond, und sie sind es auch, aus denen sich noch sein bemerkenswerter autobiografischer Roman „Mein Tagtraum Triest“ speist.

Liborius Zeeman stammte ursprünglich aus Böhmen und war vermutlich ein Jude wie sein Mentor Siegfried Popper, Österreichs genialer Schiffskonstrukteur. Als dessen rechte Hand brachte Zeeman in den Jahren nach 1884 den technischen Fortschritt nach Triest. Pendelnd zwischen Triest und Pola, den einzigen beiden Häfen der Donaumonarchie, führte er die österreichische Marine ins Zeitalter der Moderne. Widerstände gab es viele: von konservativen Militärbürokraten in Wien bis zu meuternden italienischen Werftarbeitern. Dank Popper und seinem Werftdirektor Zeeman entstanden in den Werften der „Stabilimento Tecnico Triestino“ so genannte „Dreadnoughts“, moderne Schlachtschiffe wie die 1911 vom Stapel gelassene „SMS Viribus Unitis“.

Mit ihrem Nimbus einer unbesiegbaren Kriegsflotte würden diese fantastischen Schiffe einen Krieg gerade verhindern, glaubten Popper und Zeeman. Besser gesagt: Sie glauben das in Gronds Roman, denn bis auf einige Dokumente, Fotos und besagten Familienlegenden ist Liborius Zeemans Leben eine einzige Leerstelle. Weshalb sich letztlich die Fantasie als einzige brauchbare Quelle des Autors erweist: „Die geheimen Verbindungen der Psyche, ja, wenn das vorstellbar ist, die Gene der Psyche lassen mich zwar nicht wissen, was mein Großvater wirklich machte, aber doch erahnen, was er getan und was er nicht getan haben könnte. Diese Annahme jedenfalls bestimmt meine Vorstellung von Großvaters Triest.“

Schreiben als Erfindung also, jenseits der Grenzen von Wahrheit und Fiktion, um das lebenslange „hartnäckige Gefühl der Deplatziertheit zu ergründen“: Grond, von dem zuletzt der Roman „Der gelbe Diwan“ (2009) und ein Reiseführer durch die Wachau erschienen sind, lässt in seiner melancholisch gestimmten Romanautobiografie nicht nur seinen Großvater wiederauferstehen. Sondern mittels seiner geschmeidigen Prosa in berückend schönen Bildern auch jenes verlorene Triest, das „ein verkleinertes und übertriebenes Wien“ gewesen ist. Das von einer provinziellen Kleinstadt zur boomenden Drehscheibe des Handels zwischen Orient und Okzident aufstieg, zu einer Begegnungsstätte der Kulturen, wo man in den Kaffeehäusern Sigmund Freuds „Traumdeutung“ im Original las und wo italienische Irredentisten in den Straßen Schmählieder auf die Habsburger anstimmten. Wo die vom Handel reich gewordenen Patrizier über ihre slowenischen Bediensteten die Nase rümpften und ihre Töchter als Au-pair-Mädchen nach Kairo oder Alexandria schickten. Und wo ein irischer Sprachlehrer namens James Joyce den Farbenfabrikanten Ettore Schmitz (alias Italo Svevo) unterrichtete – der wiederum gerade für die fantastischen Schlachtschiffe Siegfried Poppers und Liborius Zeemans einen revolutionären fäulnishemmenden Anstrich produzierte.

Titelbild

Walter Grond: Mein Tagtraum Triest. Roman.
Haymon Verlag, Innsbruck 2012.
180 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783709970034

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