Im langen Schatten der Staatenkriege

Beatrice Heuser analysiert die Erscheinungsformen so genannter asymmetrischer Konflikte und lotet die Möglichkeit und Grenzen zukünftiger Interventionen der westlichen Staatengemeinschaft aus

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Ende des „Kalten Krieges“ und dem blutigen Zerfall Jugoslawiens stehen Analyse und Deutung so genannter asymmetrischer Kriege an erster Stelle der Agenda von Militärhistorikern, Politologen und Soldaten. Doch schon die Debatte über Herfried Münklers viel beachtete Studie über die „Neuen Kriege“ hatte rasch ergeben, dass die darin beschriebenen Konflikte unterhalb der Handlungsebene international anerkannter Staaten alles andere als neu sind. Insgesamt bildeten sogar nicht etwa die „Kleinen Kriege“ die Ausnahme in der Militärgeschichte, sondern seit alters her eher die klassischen Staatenkriege.

Selbst innerhalb der Auseinandersetzungen hoch gerüsteter und disziplinierter Armeen, die spätestens seit dem so genannten Westfälischen Frieden die europäische Kriegführung prägten, fand sich abseits der großen Schlachten und Belagerungen noch genügend Raum für die diversen Aktionen kleiner hochbeweglicher und spezialisierter Korps. Es waren in der damaligen Diktion so genannte Partisanen oder Parteien, die von allen Kriegführenden gern für Nachrichtengewinnung oder Störung der feindlichen Kommunikationen eingesetzt wurden und es dabei mit den sonst akzeptierten Regeln der Kriegführung nicht allzu genau nahmen.

Die in Großbritannien lehrende Politologin Beatrice Heuser hat sich nun in ihrer angekündigten Folgestudie (die erste befasste sich mit klassischen Strategien) ausführlich dieser uralten Grauzone asymmetrischer Kriegsführung zwischen primitivem Beutemachen und dem heroischen Kampf für Freiheit oder Gerechtigkeit gewidmet. Dabei setzt sie sich in einem ersten Teil mit der gängigen Begrifflichkeit von der Antike bis heute auseinander, ehe sie im zweiten Abschnitt auf die unterschiedlichen Strategien der Aufstandsbekämpfung eingeht.

Von Anfang an versäumt sie es jedoch, den bisherigen Forschungsstand und ihre daraus entwickelten leitenden Fragestellungen zu skizzieren. Stattdessen führt sie den Leser ansatzlos in eine Erörterung der zu bestimmten Zeiten gebräuchlichen Benennungen für Aufständische, Guerilleros oder Partisanen. Dass sie sich dabei, wie schon im ersten Band, gelegentlich zu historiografischen Unschärfen neigt, (so etwa fanden sich im ausgehenden 15. Jahrhundert die albanischen Stradioti zunächst auf Seiten der norditalienischen Städte, etwas später im Text kämpften sie dann aber plötzlich für den gegnerischen Franzosenkönig Karl VIII.) könnte man noch überlesen.

Unklar bleibt aber, weshalb die Verfasserin zunächst den Begriff „Partisan“, weil „verwirrend“, vermeiden möchte, dann aber auf den nächsten 30 Seiten über nichts anderes spricht. Heuser nimmt auch keine Einordnung der jeweils gebrauchten Bezeichnungen in ihren historischen Kontext vor, würdigt kaum die prägende Rolle von Nationalstaaten, sondern beschränkt sich auf die Aussage, dass aus dem ursprünglichen Söldner-Partisan im Ancien Regime nach der amerikanischen und französischen Revolution allmählich der ideologisierte Kämpfer im Volkskrieg wurde. Zwar änderte sich damit seine Motivation, nicht aber die Methoden seiner Kriegführung, die im Wesentlichen als „hit and run“–Taktik seit der Antike bis heute unverändert geblieben sind.

Vieles in Heusers Studie bleibt nur angedeutet, wie etwa das durchaus zutreffende Bild von der doppelten Asymmetrie zwischen Rebellen und Counterinsurgency. Während die einen um ihre schiere politische Existenz kämpfen und daher auch zum Äußersten bereit sein müssen, verfügt die jeweils intervenierende Hegemonialmacht zwar in der Regel über eine bedeutende materielle und personelle Überlegenheit, selten aber über den Willen, diese auch konsequent zum Einsatz zu bringen. Im Hinblick auf die Berichterstattung moderner Medien könnte man inzwischen sogar von einer dreifachen Asymmetrie sprechen, da selbst brutalste Übergriffe von Aufständischen heutzutage gerne übergangen oder klein geredet werden, während jede zweifelhafte Gegenaktion bei Bekanntwerden grundsätzlich zu öffentlichen Entrüstungsstürmen in der westlichen Medienwelt führen.

Heusers systematischer Ansatz verleitet sie allzu oft dazu, ihre Aussagen mit Belegstellen aus den verschiedensten Jahrhunderten zu stützen. Das Springen zwischen den verschiedensten Epochen lässt den Text allerdings oft oberflächlich erscheinen. Ihre Urteile wirken daher zum Teil wenig überzeugend oder einfach nur banal. So sei das 19. Jahrhundert eine Epoche von hoher Akzeptanz von Grausamkeiten gewesen, auch wegen seines Rassismus. Allein die Europäer hätten Dank neuer Kriegsmittel in dieser Phase, so etwa in Nordafrika, vorher nicht praktizierte Massaker an unbewaffneten Zivilisten verübt. Dabei erwähnt die Verfasserin selbst, dass die Auslöschung ganzer Städte oder die Deportation von Bevölkerungen schon seit der Antike praktiziert wurde. Ob sich überdies tatsächlich zwischen den beiden Weltkriegen eine Menschenleben gering achtende Einsatzdoktrin der RAF entwickelt hatte, die sich von der humaneren Einstellung des britischen Heeres unterschied, sollte noch genauer untersucht werden. Ebenso wie die Aussage, ob es im Dreißigjährigen Krieg tatsächlich eine Taktik der verbrannten Erde gab. Jedenfalls starb daran nicht ein Drittel der mitteleuropäischen Bevölkerung, sondern hauptsächlich Bewohner der deutschen Staaten, das sollte zumindest der historiografischen Ehrlichkeit geschuldet sein.

Heuser zieht eine durchwachsende Bilanz der Counterinsurgency im 20. Jahrhundert. Dort wo der Widerstand sich auf auswärtige Hilfe stützen konnte, war er oft in der Lage, sich wie im Falle der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg auch gegenüber grausamsten Repressalien zu behaupten. Eine entscheidende Rolle in asymmetrischen Kriegen spielte auch regelmäßig die Bevölkerung in den Kampfgebieten. Gelang es den Rebellen, deren Unterstützung zu gewinnen, oft genug auch durch eigenen Terror, war ihre Niederschlagung nur noch mit genozidalen Mitteln, wenn überhaupt möglich. Dazu zählten die Vernichtung der Ernten, Geiselnahme, Folter oder seit dem kubanischen Unabhängigkeitskrieg (1895-98) auch die Verschleppung in besondere Lager. Noch in Algerien schreckte die französische Armee nicht vor der Anwendung dieser völkerrechtswidrigen Repressalien zurück und erzielte damit zunächst durchaus militärische Erfolge, doch eine Nation, die sich seit jeher als Sperrspitze aller Zivilisationen verstand, mochte Folter und Massaker an Zivilpersonen zurecht nicht auf Dauer hinnehmen.

Wo die radikalen Methoden der Counterinsurgency in den so genannten Mutterländern nicht mehr akzeptiert wurden und daher auch nicht mehr wirkten, entwickelte sich schließlich ein neuer Ansatz, der darauf zielt, durch ein Bündel von zivil-militärischen Maßnahmen jetzt die „Herzen und den Verstand der Bevölkerung“ zu gewinnen und damit den Aufstand auszutrocknen. Dies hat zumindest bis zu einer gewissen Höhe von Kosten und personellem Aufwand den Vorteil, von den postheroischen westlichen Gesellschaften moralisch akzeptiert zu werden. Heuser favorisiert mit guten Gründen diesen Ansatz (überhaupt ist dieses 6. Kapital das Beste im ganzen Buch), den die Amerikaner schon auf den Philippinen und in Vietnam, dort aber mit geringem Erfolg angewandt hatten. Auch die jüngsten Beispiele im Irak und Afghanistan führten nicht zu den erhofften Resultaten, was Heuser zunächst einem verspäteten amerikanischen Strategiewechsel anlastet, dann aber auch den bestehenden kulturellen Gräben, die sich nach ihrer Auffassung kaum in überschaubarer Zeit überwinden lassen. Korruption, Vetternwirtschaft, religiöser Aberglaube und Unterdrückung von Frauen oder Minderheiten dürften in vielen Kulturen noch lange akzeptierte Standards bleiben. Die wachsende Neigung westlicher Regierungen und ihrer Berater, sämtliche Kulturen der Welt als äquivalent einzustufen, sieht Heuser daher sehr kritisch. Sind doch inzwischen humanitäre Gesichtspunkte (etwa der Schutz vor so genannten ethnischen Säuberungen) in der hiesigen Öffentlichkeit die einzig noch akzeptierten Gründe für zukünftige militärische Interventionen. Die grundsätzliche Akzeptanz von Mord-und Totschlag-Kulturen dürfte dazu jedoch kaum passen.

Titelbild

Beatrice Heuser: Rebellen – Partisanen – Guerilleros. Asymmetrische Kriege von der Antike bis heute.
Schöningh Verlag, Paderborn 2013.
308 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783506776051

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