Kleine Studie in Zwangsläufigkeit

Matthew Stokoes Krimi „Empty Mile“ ist ziemlich konsequent

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Abgelegene Ort haben ihre Eigenheiten, zumal dann, wenn man von langen Reisen zurückkehrt. Daraus lassen sich einige Funken schlagen, wie gerade im amerikanischen Roman zu sehen ist, in dem das platte Land einen anderen Stellenwert hat als im dichtbevölkerten und zivilisationsmüden Europa.

Blutrünstig und archaisch kann es hier zugehen, so als ob die Zivilisation, wie wir sie kennen, nur eine Tünche über ein anachronistisches Sozialwesen wäre, das sich irgendwie in die Gegenwart gerettet hat.

Diese Folie hat sich auch Matthew Stokoe zunutze gemacht. Ein junger Mann namens Johnny kehrt nach acht Jahren in ein amerikanisches Provinznest zurück, das er verlassen hatte, weil ihn die eigene Vergangenheit, genrespezifisch „Schuld“ genannt, zu sehr belastet. Schuld heißt in diesem Fall, dass er, um mit der Freundin seines besten Freundes zu schlafen, seinen Bruder unbeaufsichtigt gelassen hat, so dass dieser beinahe ertrunken wäre. Zurückbehalten hat der Junge eine geistige Behinderung, die aus dem eminent intelligenten Burschen (was man angesichts seiner Tauchaktion bezweifeln mag) einen tumben Kerl macht.

Johnny kehrt nun nach einer Weile dem gewesenen Freund, der neuen Geliebten und dem behinderten Bruder den Rücken zu, um zu so etwas wie sich selbst zu finden. Was allerdings nicht gelingt, weil die Botschaft des Buches bereit hier offensichtlich ist: Der Schuld entkommt man nicht, man muss sie tragen.

Das sehen andere anders, aber eine solche Botschaft, wenn sie denn nun einmal in die Welt soll, muss erzählerisch aufgearbeitet werden. Nichts einfacher als dass, kann man sagen, wenngleich dazu einige Buchseiten zu füllen sind.

Denn Stokoe macht nichts anderes, als erst einmal Johnny mit allen Figuren seiner Vergangenheit zusammenzuführen, was eben dazu führt, dass man sich herzlich aneinander abarbeitet. Da müssen noch alte Rechnungen beglichen und neue aufgemacht werden. Johnny kommt also heim zu Vater, Bruder, Ex-Freundin und Ex-Freund und knüpft halbwegs da wieder an, wo er vor acht Jahren abgebrochen hat.

Aus einem Bruder ist mittlerweile ein aus der Form geratener Halbwüchsiger geworden, der sehr gut tanzt. Der Ex-Freund betreibt mit dem Vater ein Motel und ist noch als Zuhälter aktiv. Und die Ex-Freundin ist eines seiner Mädel, die er zu seinen Kunden schickt.

Das alles ist eben acht Jahre später und aus den hoffnungsvollen jungen Leuten sind mittlerweile frustrierte und einigermaßen abgehalfterte Gestalten geworden, die ihren Obsessionen folgen.

Und es müssen diverse Merkwürdigkeiten begangen werden, die wohl vor allem von Provinzlern übernommen werden: Da überredet etwa ein örtlicher Lokalpolitiker und Händler Johnny und seine Ex dazu, es vor seinen Augen zu treiben. Wie sich herausstellt, werden die beiden dabei gefilmt. Und als die Frau des Voyeurs den Film sieht, bringt sie sich um.

Auftritt des Deus ex machina, der Bruder der Selbstmörderin, der Rache will (was sonst) und die vermeintlich Verantwortlichen vernichten will. Er nimmt sich allesamt vor, ruiniert das kleine Geschäft, das Johnny und sein Bruder begonnen haben, demonstriert vor allen seine Macht (meistens, in dem er über irgendeine der Frauen seiner Feinde verfügt), versucht den Bau einer Straße zu verhindern, und so weiter. Er ist nicht mit Konsequenz bei der Sache und wird deshalb auch ermordet.

Womit dann das Generalthema angesprochen wird: Der Vater Johnnys verschwindet, dem Mord am Rächer folgt ein zweiter, schließlich bringt sich Johnnys Bruder selbst um, fertig ist die Handlung, die Zurückgebliebenen verlassen das sinkende Dorf irgendwo in der amerikanischen Provinz.

Von einigen hinreichend überraschenden Wendungen abgesehen (wer ist der Mörder des Vaters zum Beispiel?), ist der Roman von Anfang an darauf ausgerichtet, möglichst viel Schaden bei seinem Personal anzurichten, dabei aber vor allem sein Zentralpaar möglichst mit Schuld zu überladen, die allerdings nicht abzutragen ist (siehe oben).

Dabei ist Stokoe denn auch ziemlich konsequent, wie zusehends zu merken ist. Insofern werden selbst die Überraschungen „normalisiert“, weil sie ins Bild passen. Was denn auch als Problem des Textes erkennbar wird. Außerdem will er es immer ganz genau wissen, benennen und aufschreiben. Dabei vergreift sich Stokoe jedoch gelegentlich stilistisch, wenn etwa Johnny sich auf die „emotionale Abhängigkeit“ seines Bruders vom gemeinsamen kleinen Geschäft besinnt. Das hat, wenn man bemerken darf, doch gefälligst ein weniger normaler formuliert zu sein.

Titelbild

Matthew Stokoe: Empty Mile. Roman.
Arche Verlag, Zürich, Hamburg 2013.
399 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783716026816

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