Phraseologie eines Psychoanalytikers

Tilmann Mosers Versuch einer psychoanalytischen Lektüre bekannter Romane scheitert

Von Max BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Max Beck und Lea WieseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Wiese

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis von Psychoanalyse und Literatur ist historisch vielfältig und immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Der Freiburger Psychoanalytiker und „Körperpsychotherapeut“ Tilmann Moser versucht nun in seinen „Lektüren eines Psychoanalytikers“ Romanhelden bekannter Autoren einer psychoanalytischen Deutung zu unterziehen, etwa aus Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“, Samuel Becketts „Warten auf Godot“ und Charlotte Roches „Feuchtgebiete“.

Die Lektüre ist anspruchsvoll. Nicht wegen des komplexen Inhalts, sondern weil der Autor nicht schreiben kann. Schon die erste Seite zeugt von der ausgeprägten Vorliebe, einfache Sachverhalte möglichst kompliziert und mit peinlichen Rechtschreibfehlern zu formulieren, was wohl auch im Lektorat des Psychosozial-Verlags niemanden zu stören scheint. Statt der angekündigten „neue[n] Dimensionen des Verstehens“ ist lediglich die Dimension der Moserschen Phraseologie eindrucksvoll: „Fast dreißig Jahren [sic] sind vergangen seit der Niederschrift des ersten Bandes der Romane als Krankengeschichten […]. Hat sich die Thematik der diesmal ebenfalls als Krankengeschichten ,diagnostizierten‘ Romane verändert? Kaum. Auch Handkes Die Stunde der wahren Empfindung hatte ich damals als den inneren Monolog eines Borderline-Patienten gelesen, der seinen trüben und wechselnden Stimmungen verfallen war und die Welt wie die Mitmenschen durch die Brille seiner präzisen, aber höchst subjektiv verzerrten Wahrnehmung sah.“

Den merkwürdigen Satzbau mag man dem Autor noch als Schrulle durchgehen lassen. Dass sich sein Buch „auch“ wie eines von Handke liest, mag zwar sein, lässt den Leser aber „auch“ ratlos vor den Moser’schen Zeilen sitzen. Zu sagen, an welches Buch er hier noch denkt, würde das Verständnis wohl unnötig vereinfachen. So darf sich der Leser an merkwürdigen Formulierungen, bei denen das „Warten auf Godot“ „einen konstant eingestreuten steten Refrain“ bildet, oder an Situationen, in denen „man sich psychoanalytisch über moderne Literatur beugt“, erfreuen.

Der Autor und sein Knacks

Immerhin scheint es Moser wichtig zu sein, bei der Analyse der Werke „keine Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale der Autoren“ zu ziehen – und er erkennt damit ganz richtig, dass sich Romane nicht auf die Psyche ihrer Erschaffer reduzieren lassen. Vielmehr knüpft das emphatische Verhältnis des Schriftstellers zu ,seinen‘ Figuren an entsprechende Erfahrungen an. Diese Offenheit und „einfühlsame[…] Sensibilität“ für ihre Protagonisten erkennt auch Moser und vermutet sie in einer „durch Konflikte und Traumata ihrer eigenen Lebensgeschichte“ gebildeten Erfahrung.

Dementsprechend erscheint es an geeigneten Stellen, wie bei Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“, durchaus plausibel, biografische Bezüge zwischen Autor und Werk herzustellen. Problematisch wird es allerdings an der Stelle, an der Mosers ,Schutz‘ vor Pathologisierung bei den „Romanhelden“ endet, die er zu „Patienten“ macht. Und so erfolgt, was eigentlich vermieden werden wollte: Der Autor landet nun doch mit auf der Couch. Auch der Rechtfertigungsversuch, diesen „zweifellos übergriffige[n] Versuch einer Deutung“ als „legitimiert“ darzustellen, „da der Autor, in intuitiver Verbindung mit seiner eigenen Seelenbiographie, den mitfühlenden Gang in die Tiefe menschlicher Erlebnisformen wagt“, ist zum Scheitern verurteilt. Dass ein Schriftsteller sich mit etwas mehr als oberflächlichen menschlichen Sachverhalten befasst (und man versuche sich an dieser Stelle bitte auch nur ein einziges bekanntes Werk der Weltliteratur ohne einen solchen ,Tiefgang‘ vorzustellen) ist keine hinreichende Legitimation für seine ,Methodik‘, aus der Person des Autors und seinem künstlerischen Werk eine neue Patientenkartei zu basteln.

Schuster, bleib bei deinen Leisten

Als therapeutischer Psychoanalytiker beschränkt sich Moser darauf, Romanprotagonisten auf die Couch zu legen. Aber „natürlich“ weiß er auch, dass dieser Ansatz „absolut einseitig, nur auf die tiefenpsychologische Diagnose der Figuren ausgerichtet“ ist. Die Arbeitsteilung hat er so sehr internalisiert, dass er alles darüber Hinausgehende wohl als etwas ansieht, das seine ,Kompetenzen‘ überschreitet, und er die Analyse dessen lieber anderen Disziplinen überantwortet. Dass er weiß, was er tut, macht die Sache nicht besser. Das Falsche ist jedoch bereits die Trennung, die einen Roman in eine Krankengeschichte oder eine wie auch immer darüber hinausgehendende Thematik dividiert. Ob dieses Ansatzes wäre ebenso ein Buch mit dem Titel „Lektüren eines Verhaltenstherapeuten“ denkbar, dessen Autor sich auf die erlernten Verhaltensweisen der Romanprotagonisten à la Pawlow’scher Hund beschränkt. Mit dieser Beschränkung besitzt die Psychoanalyse keinen darüber hinausgehenden Erkenntniswert mehr.

So erscheinen die Figuren Wladimir und Estragon in Becketts „Warten auf Godot“ Moser dann folgerichtig lediglich „als menschliche Wracks, tiefenpsychologisch als Verstörte“. Kein Wunder also, dass bei einer derart beschränkten Rezeption literarische (Kunst-)Werke in Mosers Augen nunmehr zu „erlittene[n] Leseerfahrungen“ mutieren und „für künftiges Lesen verstörender Texte“ erst wieder „Mut“ gemacht werden muss – ein Vorhaben, das sich Moser mit seinem Buch für „nicht professionelle Literaturliebhaber“ natürlich selbst zum Ziel gesetzt hat.

Titelbild

Tilmann Moser: Lektüren eines Psychoanalytikers. Romane als Krankengeschichten.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2013.
120 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783837922868

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